Blitzschlag macht Essens höchsten Kirchturm fünf Meter kürzer
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Essen. Ein Gewitter hielt Polizei und Feuerwehr am Freitagabend in Nordrhein-Westfalen in Atem. Eine Frau starb in Erkelenz, sie wird von einer stürzenden Hauswand erschlagen. In Essen war die Feuerwehr im Großeinsatz, weil ein Kirchturm brannte. Die Polizei sperrte vorsichtshalber die Umgebung ab und evakuierte drei Wohnhäuser und das Pfarrhaus.
Eine Gewitterfront ist am Freitag über Nordrhein-Westfalen hinweggezogen - eine Frau verlor dabei ihr Leben. Wie die Landesleitstelle in Duisburg mitteilte, wurde die 23-Jährige in Erkelenz von einer frisch gemauerten Wand erschlagen. Ein stürzender Baum traf zudem einen Mann in Mettmann, in Bochum fiel ein Radfahrer hin, als er gegen einen umgewehten Bauzaun fuhr. Beide Männer wurden schwer verletzt.
Nach einem Blitzeinschlag brannte ein Kirchturm in Essen. 24 Verkehrsunfälle und insgesamt 352 Einsätze gingen auf das Konto von "Anna", teilte die Landesleitstelle in Duisburg am Samstag mit. Der entstandene Sachschaden wird auf rund 200 000 Euro geschätzt. Die Unwetterzentrale in Bochum registrierte bis zu 119 Stundenkilometer schnelle Orkanböen. Die stärkste Böe wurde in Issum am Niederrhein gemessen.
Unwetter tobte über NRW
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Das bislang einzige bekannte Todesopfer hielt sich am Freitagabend während des Gewitters im Obergeschoss eines Rohbaus auf. Die junge Frau stand zwischen einer vor etwa einer Woche gemauerten Giebelwand und mehreren Paletten mit Steinen, als plötzlich beide Giebelwände des Neubaus durch den Winddruck des herrschenden Unwetters umgedrückt wurden, berichtet die Polizei. Die 23jährige geriet dabei unter eine einstürzende Wand und zog sich schwere Kopfverletzungen zu, denen sie später im Krankenhaus erlag.
Höchster Kirchturm in Essen brannte
Nach einem Blitzeinschlag ist in Essen der höchste Kirchturm der Stadt in Brand geraten. Wie Feuerwehr und Polizei am frühen Samstagmorgen mitteilten, schlug dieser gegen 20 Uhr in den 74 Meter hohen Turm der Pfarrkirche St. Hubertus und Raphael im Stadtteil Bergerhausen ein. Daraufhin habe sich ein Schwelbrand in der Kirchturmspitze entwickelt. Nach vielen Stunden konnte das unter der Dachverkleidung lodernde Feuer am Samstagmorgen gelöscht werden. Der 74 Meter hohe Turm gehört zur 100 Jahre alten Pfarrkirche St. Hubertus und Raphael. Befürchtungen, er sei einsturzgefährdet, bewahrheiteten sich nicht.
Die Polizei sperrte vorsichtshalber die Umgebung ab und evakuierte drei Wohnhäuser und das Pfarrhaus. In der Kirche bringen Berufs- und Freiwillige Feuerwehrleute Statuen und die Kreuzweg-Plastiken im Altarraum in Sicherheit. Da sich die Löscharbeiten als sehr schwierig erwiesen, forderte die Feuerwehr einen 84 Meter hohen Kran an. Wie ein Sprecher der dpa gegen 4 Uhr sagte, sägte die Feuerwehr das Dach von außen auf, um den Brand zu löschen. Zunächst fachte der Wind das Feuer an, erstmals waren Flammen zu sehen. Verletzt wurde niemand.
Aufräumarbeiten in Essener Kirche haben begonnen
Der Einsatz des großen Teleskopmastes zur Brandbekämpfung am Kirchturm St. Hubertus in Essen hat dann den erwünschten Erfolg gebracht. Das Feuer war unter Kontrolle, am Samstagmorgen liefen noch Nachlöscharbeiten. Allerdings müssen die Retter Teile der Turmspitze (etwa fünf Meter) abtragen und das Material mit dem Arbeitskorb des Mastes nach unten bringen. Dabei kam es auch zu Funkenflug. Allerdings hat es bisher keine Sekundärbrände gegeben.
Laut Homepage der katholischen Gemeinde St. Hubertus und Raphael ist die Kirche im vergangenen Jahr 100 Jahre alt geworden. Der Feuerwehrsprecher sagte, dass die Kirche den höchsten Turm der Stadt habe. Der Kirchturm ist jetzt allerdings um etwa fünf Meter kürzer als noch am Freitagabend, das schwere Kreuz liegt sicher im Foyer der Kirche.
Gemeindemitglieder sind am Samstag vor Ort, kehren Brandschutt weg, wischen Löschwasser aus dem Treppenraum des Turmes und hängen Skulpturen sowie den Kreuzweg wieder auf, heißt es in einer Pressemitteilung. Ein Dachdecker sei bereits vor Ort und sichere den schwarzen, weithin sichtbaren Stumpen des Kirchturmes gegen das kommende Wetter. Der Pastor der Gemeinde sei optimistisch und wolle am Sonntag um 11.15 Uhr den Gottesdienst in St. Hubertus feiern.
Wind deckte Dach von Schreinerei in Dorsten ab
Auch in anderen Städten in NRW gab es Schäden durch das Unwetter: In Dorsten-Wulfen fielen zwei Bäume auf die Straße und ein Peitschenmast einer Ampelanlage wurde verdreht. In Dorsten-Feldmark deckte der Sturm das Dach einer Schreinerei ab. Dabei wurde auch ein Auto beschädigt. In Marl-Hüls knickte der Wind einen Ampelmast um.
In Krefeld hatten die Sturmböen laut Polizei nur geringe Auswirkungen. So stürzten lediglich einige Zweige auf Straßen.
Baum stürzt nach Blitzschlag auf fahrendes Auto in Mettmann
In Mettmann schlug der Blitz gerade in dem Augenblick in einen Baum ein, als ein 47-jähriger Mann mit seinem Auto im Neandertal auf der Mettmanner Straße entlang fuhr. Der Baum stürzte um und begrub den Pkw unter sich. Der 34-jährige Beifahrer konnte sich selbst aus dem Auto befreien und erlitt einen leichten Schock. Der Fahrer war in dem Wagen eingeklemmt und konnte erst nach 45 Minuten von der Feuerwehr befreit werden. Das Auto hat einen Totalschaden.
Da noch mehr Bäume durch das Gewitter in Mitleidenschaft gezogen wurden, sperrte die Polizei das Neandertal zwischen der Metzkausener Straße und der Straße Feldhof - voraussichtlich bis Montag.
Die Bahn meldete "witterungsbedingte Störungen" im Raum Duisburg. Wegen einer Stellwerksstörung zwischen Düsseldorf Flughafen und Duisburg kam es zu weiteren Beeinträchtigungen und Ausfällen im Nah- und Fernverkehr der Bahn. Verspätungen bis zu einer Stunde wurden beispielsweise für die S1 in Richtung Dortmund sowie die S6 zwischen Essen und Düsseldorf gemeldet. Gesperrt war zeitweise die Strecke der S( zwischen Wuppertal und Gruiten - dort wurde ein Schienenersatzverkehr eingerichtet.
"Kurzes, aber knackiges" Unwetter
Meteorologe Rainer Buchhop bezeichnete das Unwetter als "kurz, aber knackig". Nach knapp einer Stunde war der Mix aus heftigem Graupelschauer und wilden Windböen bereits durchs Essener Stadtgebiet gezogen.
Die Front hatte sich nach Angaben des Wetterexperten von Meteomedia zuvor bereits in Nordfrankreich und Belgien ausgetobt - und sich dann über den Niederrhein in Richtung Ruhrgebiet bewegt. Schuld waren offenbar kalte Luftmassen, die auf die derzeit herrschenden, relativ warmen Temperaturen auf dem Kontinent trafen.
Gewitter deckt reihenweise Dächer in Nordhessen ab - Tornado?
Ein schweres Gewitter hat am späten Freitagabend etwa 20 Dächer in der nordhessischen Gemeinde Knüllwald (Schwalm-Eder-Kreis) abgedeckt. "Außerdem sind 50 Bäume umgeknickt oder entwurzelt worden, und umherfliegende Dachziegel beschädigten ein Auto schwer", sagte Gemeindebrandinspektor Ullrich Laabs am Samstag. Auch in Kassel wurden während des Gewitters zwei parkende Autos von herabfallenden Dämmplatten eines Hochhauses beschädigt, an dem zur Zeit gebaut wird.
Gemeindebrandinspektor Laabs geht davon aus, dass ein Tornado für die Verwüstungen im Knüllwalder Ortsteil Remsfeld verantwortlich war. "Ich habe ein Geräusch gehört, als würde ein schwerer Diesellaster vorbeifahren. Maximal zehn Sekunden. Dann war alles vorbei", sagte er. Kurz darauf machten die Feuerwehrleute eine Schneise von 800 Metern Länge und rund 30 Metern Breite aus. "Meinem Nachbarn hat es das Dach komplett abgedeckt, und bei mir ist gar nichts", erzählte Laabs. Schon in der Nacht wurde mit den Aufräumarbeiten begonnen. Dachdecker reparierten die beschädigten Dächer bis zum Nachmittag.
Dass ein Tornado durch Knüllwald fegte, ist jedoch noch nicht sicher. Laut Meteorologe Simon Trippler vom Deutschen Wetterdienst (DWD) können Dächer auch bei normalen Gewittern abgedeckt werden. "Hohe Windgeschwindigkeiten gibt es auch ohne Tornado", sagte er. Ein Tornado-Experte des DWD werde Anfang der Woche untersuchen, was der Grund für die Schäden in der Gemeinde war.
Schwerer Sturm sorgt auch in Belgien für Schäden
Ein schwerer Sturm hat am Freitagabend in Belgien zum Teil erhebliche Sachschäden angerichtet. In der Nähe von Lüttich und Verviers im Osten des Landes wurden Dächer zerstört und Bäume umgelegt, berichteten Polizei und Feuerwehr. Menschen kamen nicht zu Schaden.
In Aarschot (Flandern) rief der Bürgermeister den Katastrophenzustand aus, nachdem 500 Menschen in drei Eisenbahnzügen durch umgefallene Bäume mehrere Stunden blockiert waren. Ein Meteorologe sagte, die Stürme mit Windgeschwindigkeiten von 100 km/h und teilweise heftigeren Böen seien unter anderem durch starke Temperaturunterschiede ausgelöst worden.
Heftige Wintergewitter überrascht Meteorologen
Die Heftigkeit der Wintergewitter über Deutschland in der Nacht zum Samstag hat selbst einen Meteorologen überrascht. "In Bremerhaven gab es Orkanböen mit bis zu 126 Stundenkilometern", sagte Simon Trippler vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach am Samstag. Andernorts wurden starker Wind sowie Hagelkörner von bis zu zwei Zentimetern Durchmesser beobachtet. "Solche Strukturen sind sonst eher in den Sommermonaten zu finden und für Januar schon ziemlich ungewöhnlich", betonte er.
In den Sommermonaten entstehen dem Meteorologen zufolge besonders schwere Gewitter immer dann, wenn besonders hohe Temperaturen am Boden und besonders kalte Luft in der Höhe übereinanderliegen. "Aber auch die Dynamik der Atmosphäre spielt eine Rolle", sagte der Experte. So könnten Gewitter im Winter durch "dynamische Vorgänge in höheren Luftschichten" ausgelöst werden.
So geht es weiter mit dem Wetter in Deutschland
Am Sonntag soll es demnach im Osten Deutschlands regnen, sonst wird es trocken und teils sonnig bei fünf Grad im Alpenvorland und bis zehn Grad am Oberrhein. Zum Wochenbeginn erreichen dann Ausläufer von Tief "Christina" den Westen Deutschlands und bringen Regen und Wind. Am Montag liegen die Temperaturen voraussichtlich zwischen 4 und 14 Grad, am Dienstag zwischen 6 und 15 Grad. Bis Freitag sinken sie dann langsam. "Möglicherweise werden die Weichen dafür gestellt, dass der Winter bei uns Einzug hält", sagte Trippler. Für eine genaue Vorhersage sei es jedoch zu früh.
Einer alten Bauernregel zufolge sei der Stichtag 6. Januar ein guter Gradmesser für den weiteren Verlauf des Winters. Sie besagt: "Ist bis Dreikönig kein Winter, so folgt auch keiner mehr dahinter." Sollte der Winter bis dahin mild bleiben, werde es DWD-Statistiken zufolge bis Ende Februar wahrscheinlich nicht drastisch kälter, so Trippler.
Bis Mitte Januar werde es lediglich oberhalb von 1000 Metern Neuschnee geben, hieß es beim DWD weiter. Skifahrer kommen also am ehesten in den Alpen auf ihre Kosten. Dort sollen am Sonntag fünf bis zehn Zentimeter Schnee fallen. Im Skigebiet der Zugspitze sind nahezu alle Skilifte geöffnet, wie ein Sprecher am Samstag sagte. Auf Deutschlands höchstem Berg (2962 Meter) lagen rund 1,30 Meter Schnee. Auf dem Großen Arber im Bayerischen Wald waren es am Samstag 20 Zentimeter. (dpa/we)
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