Essen. Der Essener Eduard Abbrent (61) pflegt seine an Multipler Sklerose leidende Lebensgefährtin zu Hause. Seine Arbeit ist unbezahlbar: Pflegedienste können sich solche Fälle kaum noch leisten, darum bleibt vielen Patienten nur der Umzug ins Heim.

Heidi Menikheim und Eduard Abbrent kennen sich seit 40 Jahren, seit 20 Jahren leben sie zusammen: Er ist ihre Liebe, ihr Lebensgefährte und ihr Pfleger. Die 59-Jährige leidet unter Multipler Sklerose, einer Krankheit, die erst in Schüben, dann schleichend verläuft; und während es in der ersten Phase auch mal bergauf gehen kann, verläuft die zweite „langsam, aber mit stetiger Verschlechterung“.

Abbrent kann mit Fotos und Daten von dieser Verschlechterung erzählen: „1999 konnte Heidi noch selbst Liegerad fahren, später sind wir auf ein Tandem umgestiegen.“ Ihre Beweglichkeit nahm ab, die Zahl der Hilfsmittel zu. Ein Treppenlift führt zur Wohnung im ersten Stockwerk in einem Altbau in Kray, Bett und Bad sind umgerüstet. Seit 2006 sitzt Heidi Menikheim im Rollstuhl, seit vergangener Woche hat sie eine Magensonde. Sie verlor immer mehr Fähigkeiten, er erwarb neue: Wie man einen Menschen mit fehlenden Muskeln und verkrümmten Beinen lagert, wäscht, füttert.

„Ich konnte in diese Krankheit hineinwachsen“, sagt der 61-Jährige schlicht. „Er ist vermutlich schneller und versierter als unsere Fachkräfte“, sagt Ulrike Kleinesudeik, Pflegedienstleiterin bei der Familien- und Krankenpflege e.V. (FuK). Zwar brächten examinierte Krankenschwestern und Altenpflegerinnen Fachwissen mit, das Abbrent fehle. „Aber die beiden sind ein eingespieltes Team, und die Erfahrung lehrt, dass Angehörige oft die wahren Pflegeexperten sind.“

Pflegedienste kalkulieren nach gesetzlichen Vorgaben

Und: Sie rechnen nicht. Pflegedienste dagegen müssen die Betreuung nach gesetzlichen Vorgaben kalkulieren. So dauert eine Ganzkörperwäsche offiziell 27 Minuten. „Ich dusche Heidi täglich. Vom Aus-dem-Bett-heben bis sie angezogen am Tisch sitzt, dauert das anderthalb Stunden“, sagt Abbrent. Auch eine Fachkraft schaffe das nicht in 27 Minuten, sagt Ulrike Kleinesudeik: „Das ist völlig utopisch.“

Bei Heidi Menikheim ist der Pflegedienst nur für das tägliche Wechseln des Wundverbandes zuständig. Wenn Eduard Abbrent zu Hause ist, muss dafür eine Pflegerin kommen, ist er bei der Arbeit, kommen zwei in den entlegenen Winkel von Kray. 20 bis 25 Minuten brauchen sie dann für den Verbandswechsel, anschließend müssen sie ihre Arbeit noch schriftlich dokumentieren. „Für die Wundversorgung rechnen wir 9,48 Euro ab, An- und Abfahrt sind darin pauschal enthalten. Ökonomisch ist das für uns nicht“, sagt Ulrike Kleinesudeik. Oder anders: „Wenn wir 30 Prozent solcher Fälle hätten, würden wir nicht mehr existieren.“

Die Alternative: Umzug ins Pflegeheim

Die Alternative für Heidi Menikheim wäre der Umzug in ein Pflegeheim, aber das möchte das Paar nicht. Darum hat Eduard Abbrent seine Arbeit als Rechtsanwalt auf maximal 30 Wochenstunden begrenzt. Wenn er keinen Gerichtstermin hat, bleibt er morgens bei seiner Lebensgefährtin, versorgt sie, sieht in Akten, telefoniert. Mandanten-Termine im Büro legt er auf den Nachmittag. „Zum Glück nehmen meine Kollegen große Rücksicht.“

Wenn der Anwalt Feierabend hat, beginnt die Spätschicht des Pflegers Abbrent. Was er leistet, ist unbezahlbar – und wird nur mit gut 700 Euro vergolten. Das ist der Satz für Pflegestufe III. Dazu bekommt er im Jahr 1500 Euro, um eine Ersatzpflege zu bezahlen, wenn er im Urlaub ist. Für die vier Wochen Atempause, die er sich gönnt, reicht das jedoch nicht.

Solche Hingabe, solche Selbstausbeutung könnte der beste Pflegedienst nicht bieten. „Doch wir nehmen schon mal Patienten an, die wir uns eigentlich nicht leisten können“, betont Ulrike Kleinesudeik. Auch erlebe sie häufiger, dass der Arbeitstag einer Pflegerin länger wird als geplant; nicht nur weil die Zeitvorgaben so eng sind: „Die Verfassung eines Patienten kann man nicht einplanen; und wenn jemand weinend da sitzt, können Sie nicht Dienst nach Vorschrift machen.“