Essen. Helfer des Deutschen Roten Kreuz verteilen abends in der Innenstadt heiße Getränke und warme Kleidung an Obdachlose.

„25 Kilo sind das bestimmt. 20 Liter heißes Wasser und fünf Kilo das Material“, meint Sascha Dickmann, während er sich den schweren Behälter auf den Rücken spannt, ohne eine Miene zu verziehen. Die Kollegen des 28-Jährigen haben es da etwas leichter: Yara Keldenich schleppt einen Thermobehälter von vielleicht fünf Litern an der Hand, Florian Schyra hat den Rucksack voll mit Teebeuteln, Instant-Suppen, Decken und Kakao. Erleichterung könnte man ihr Ziel nennen, nicht nur für die eigenen Schultern, sondern auch für die Menschen, für die sie mehrere Stunden lang bepackt durch die Innenstadt ziehen und denen sie helfen wollen. Das Trio der Bocholder Bereitschaft des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) verteilt heiße Getränke, Suppen und Decken an Obdachlose. Kein einfaches Unterfangen, wie die NRZ feststellte, als sie die Helfer begleitete.

„Die Betroffenen halten sich nicht an festen Orten auf“, erzählt Dickmann, während die dreiköpfige Truppe ihren Rundgang auf dem Willy-Brandt-Platz beginnt. Mit ihren orangefarbenen DRK-Jacken sind sie weithin zu erkennen. Es dauert nicht lange, bis die erste Frau sie entdeckt und anspricht. Viel sagt sie nicht, etwas Heißes zu trinken möchte sie auch nicht, aber sie lächelt. „Die kennt uns schon“, sagt Dickmann. Passanten drehen sich um, schauen, was los ist. „Kaum einer von denen weiß, was wir hier machen, die denken meistens, wir hätten einen Rettungseinsatz“, erklärt das Trio und marschiert in der Kälte weiter die Kettwiger Straße hinunter. „Die, die betteln, sprechen wir auf jeden Fall an“, sagt Yara Keldenich. Und die Anderen? Das sei schwieriger, gerade wenn Betroffene nicht dem Bild des Obdachlosen entsprächen.

Vor einem Kaufhaus für Herrenmode werden die drei erneut fündig. Vor dem Schaufenster, in dem warme Winterklamotten ausgestellt sind, hockt eine ältere Dame eingehüllt in Decken. Sie friert dennoch, zittert, die Lippen sind schon leicht blau gefärbt. „Können wir Ihnen etwas Warmes zu trinken geben oder vielleicht eine Decke?“ , fragt Florian Schyra. Die Frau murmelt etwas und schüttelt mit dem Kopf. Mit der Ablehnung müssen die Helfer leben: „Viele wollen alleine klarkommen und nehmen dann gar keine Hilfe an“, erklärt Sascha Dickmann. Statt in eine Notschlafstelle zu gehen, blieben manche Obdachlose lieber im Freien. „Platte machen“ nennt sich das – und zwar aus Angst davor, in so einer Einrichtung von anderen beklaut zu werden, den tierischen Begleiter nicht mitnehmen zu können oder sich mit den dortigen Alkohol-Regeln konfrontiert zu sehen. So beschreiben es zumindest die Helfer.

Der krasse Gegensatz

Der krasse Gegensatz – drüben das Konsumtreiben, die gut besuchten Imbissstände des Weihnachtsmarktes, hüben die frierenden Bedürftigen – geht nicht an den drei Rotkreuz-Mitgliedern vorbei. „Privat hat man dazu viel mehr Distanz, aber in Uniform ist das wie eine Verpflichtung hinzuschauen“, betont Dickmann. Und manches, was man sieht, brennt sich wohl auch fest: „Wir haben am Vortag jemanden gehabt, der keine Schuhe anhatte“, erzählt er, als das Trio den U-Bahnhof unter dem Rathaus durchsucht.

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Fündig werden sie nicht, der Abend zieht sich. Dass auch Helfer ein Erfolgserlebnis brauchen, zeigt sich wenige Minuten später nahe der Marktkirche. Die dort campierenden jungen, teils alkoholisierten Punker singen den Helfern ein Ständchen, im Gegenzug nimmt einer einen warmen Tee. „Die müssen alle wiederbelebt werden, mit Alkohol“, grölt einer. Die jungen Bocholder nehmen es mit Humor und ziehen weiter. Über die Limbecker Straße, durch das Einkaufszentrum, geht’s bis zum Colosseum. „Elf bis 15 Kilometer können das an einem Abend werden“, schätzt Yara Keldenich. Der Weg ist wenigstens nicht umsonst: Ein Mann verkauft vor dem Eingang die Obdachlosenzeitung. Erfolg hat er dabei nicht, umso freudiger sein Gesicht, als er die Helfer erblickt. „Pfefferminz“ hätte er gerne, der ist aber aus, also gibt’s Kamillentee. „Das ist zwar nicht mein Geschmack, aber was soll’s“, sagt er.

Zwei verteilte Becher, fast eineinhalb Stunden unterwegs. Die magere Zwischenbilanz trübt die Stimmung von Sascha Dickmann jedenfalls nicht: „Jeder Einzelne zählt, dafür machen wir das.“