Essen. . Die Diskussion um mangelhafte Versorgungsquoten für Ein- und Zweijährige hat Eltern verunsichert. Dabei haben sie in Essen vergleichsweise gute Karten. Die Stadt sieht sich ganz gut aufgestellt: Vor rund zehn Jahren gab es 300 Plätze für Ein- und Zweijährige, nun sind es knapp 4000. Rund 4500 sollen es zu Beginn des kommenden Kindergartenjahres sein.

Es ist ein abgekartetes Spiel mit falschen Zahlen, bei dem die Verlierer längst feststehen. Der politische Schlagabtausch um angeblich gute oder schlechte Versorgungsquoten zur Betreuung der Jüngsten in Tageseinrichtungen der Republik hat niemanden vorangebracht, aber viele irritiert zurückgelassen: Die Eltern von kleinen Kindern sind mit Blick auf den ab 1. August 2013 geltenden Rechtsanspruch für die Ein- und Zweijährigen in Kitas „erheblich verunsichert“, meint Sozialdezernent Peter Renzel.

Derartige Zahlenjonglagen um Versorgungsquoten machten keinen Sinn. Sie seien „einzig und allein“ Planungsgrundlagen, die kaum zuverlässiger dadurch werden, dass sie auf unterschiedlichsten Berechnungen aufbauten.

Die Betreuungsplätze sind entscheidend

So kennt Christina Bäuerle, Leiterin des Jugendamts, den Grund genau, warum etwa Essen, obwohl es den Kita-Ausbau seit Jahren „massiv vorantreibt“, im Vergleich zu anderen Städten relativ schlecht wegkommt in dem vor wenigen Tagen veröffentlichten Vergleich: „Andere Kommunen berechnen ihre Quoten zum Beispiel auf 24 Monate“, während Essen den Bedarf an Betreuungsplätzen auf der Grundlage von 36 Monaten plant, um den so genannten „hereinwachsenden Jahrgang“ – das sind alle Kinder, die jünger als ein Jahr sind – mit erfassen zu können. „Würden wir die Berechnungsgrundlage auch auf zwei Jahrgänge, also auf 24 Monate, verkürzen, wären wir in Essen schon fertig mit dem U3-Ausbau“, sagt Bäuerle.

Unterm Strich stünde dann eine konkurrenzlose Versorgungsquote von sagenhaften 50 Prozent, während knapp 34 als landesweite Vorgabe gelten. Legte man diesen Maßstab an, wäre die lokale Welt eine andere, Essen Spitzenreiter beim U3-Ausbau in NRW und gälte als die kinderfreundlichste Stadt im Revier, ohne jedoch auch nur einen einzigen Rechtsanspruch mehr erfüllen zu können. „Deshalb rechnen wir unsere Versorgungsquote nicht politisch geschmeidig, nur um schöne Überschriften zu produzieren“, sagt Renzel mit Blick auf so manche Stadt in Deutschland und in NRW. Denn am Ende seien doch nicht diese Zahlen, sondern tatsächliche Betreuungsplätze entscheidend für Kinder, Eltern und Betriebe.

Man sei dennoch noch nicht weit genug

Und was das angeht, „,müssen wir nicht im grauen Kittel herumlaufen“, meint Renzel. Essens Jugendhilfeplaner sehen sich ganz gut aufgestellt: Während vor rund zehn Jahren gerade einmal 300 Plätze für Ein- und Zweijährige existierten, sind es inzwischen knapp 4000. Rund 4500 werden es zu Beginn des kommenden Kindergartenjahres sein.

„Wir sind weit, aber nicht weit genug“, räumen Renzel und Bäuerle unisono ein, die dennoch von einer „relativ guten Versorgungssituation“ reden. Jedem zweiten der 8989 Ein- und Zweijährigen könne am 1. August ein Platz angeboten werden, wobei zu erwarten sei, dass nur 30 Prozent der dann vorhandenen Kapazitäten von den Eltern der Allerjüngsten in Anspruch genommen werden.

Überkapazitäten würden vom Land nicht finanziert 

Jedoch wird es keine „wohnortnahe Betreuungsgarantie“ und auch nicht genug Plätze für den hereinwachsenden Jahrgang geben. Das sei schon jetzt klar. Dennoch kann es sich die Stadt und können es sich die anderen Träger nicht erlauben, anhand von Prognosen bis zu 4500 weitere Plätze sozusagen auf Vorrat zu schaffen, um eine 100-Prozent-Quote, die ein Rechtsanspruch eigentlich verlangt, zu erreichen: Stünden am Ende Überkapazitäten, würden sie vom Land nicht finanziert und wären der wirtschaftliche Tod einer Einrichtung.

Es wird auch so eng ab dem kommenden Kindergartenjahr, doch die Stadt rechnet weder mit massiven Versorgungsproblemen noch juristischen Auseinandersetzungen mit Eltern, die ihren Rechtsanspruch einklagen könnten. Das ist in den vergangenen 22 Jahren gerade zwei Mal passiert und in beiden Fällen entschieden die Gerichte zugunsten der Stadt, sagt Renzel.

Auch wenn sich zurzeit die kunterbunte Kita-Kakophonie allein auf den Stichtag 1. August 2013 zu fokussieren scheint, sind die Jugendhilfeplaner bereits einige Schritte weiter: „Wir gehen davon aus, dass wir auch in den nächsten zehn Jahren weiter ausbauen müssen“, prognostiziert Renzel, der wie seine Jugendamtsleiterin deshalb einen dringenden Appell an die NRW-Regierung richtet, um wenigstens in Zukunft einen einigermaßen fairen Wettbewerb der Kommunen um junge Familien zu ermöglichen: „Das Land muss gesetzliche Grundlagen für eine gute und einheitliche Jugendhilfeplanung in Nordrhein-Westfalen schaffen und die Berechnungsgrundlage dafür gesetzlich festlegen.“

Ein Stichtag wie für die Einschulung

Zudem benötige die Jugendhilfe die selbe Planungssicherheit wie die Schulentwickler. Für die sei es relativ leicht, die Bedarfe einzuschätzen, da es einen Stichtag für die Einschulung gebe. Der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz beginnt aber mit Vollendung eines Lebensjahres – theoretisch also an 365 Tagen im Jahr. „Das kann keine Stadt in Deutschland sach- und fachgerecht steuern“, sagt Christina Bäuerle.