Essen. Die Essener Nicola Völckel und Mark Becker leben seit zehn Jahren autolos und sind froh, dass sie sich nicht um Wartung, Tanken, TÜV kümmern müssen. Sie bewegen sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrrad oder Carsharing fort.

Eins stellt Mark Becker (39) gleich klar: Er sei weder Auto-Hasser noch ökologischer Missionar. Er habe Hunderttausende Kilometer am Steuer zurückgelegt, bevor er irgendwann merkte, dass er kein Auto brauche. Genauso ging es seiner Frau Nicola Völckel (42), die während des Studiums in Berlin noch einen Wagen hatte – und ihn kaum bewegte: „Irgendwann stieg ich ein und sah, dass die Fußmatte schon verschimmelt war.“

Seit einem Jahrzehnt sind die beiden autolos; was auch mit ihren Wohnorten zusammenhänge: Sie haben in Bonn, Münster, Berlin gelebt, seit 2008 wohnen sie in Essen. Allesamt große Städten mit Bahnanbindung und gutem öffentlichen Nahverkehr; einige auch radtauglich. „Ich komme aus einem 1000-Seelen-Dorf in Rheinland-Pfalz, da war das völlig anders. Da bedeutete ein Auto Selbständigkeit, ohne Führerschein ging es nicht“, sagt Becker. Heute halte er es für das größte Privileg in der Stadt zu wohnen, und zwar mitten in der Stadt.

Carsharing von "Stadtmobil"

Darum hat sich das Ehepaar eine Eigentumswohnung am Fuße des RWE-Turms gekauft, einen Steinwurf von Bahnhof und City entfernt. Beide haben ein Jobticket für den ÖPNV, fahren mit der U-Bahn zu ihren Arbeitsplätzen: Er zur Uni, sie zur Hochschule für Oekonomie und Management (FOM) weiter nördlich gelegen. Den zur Wohnung gehörenden Tiefgaragenplatz haben sie vermietet.

Trotzdem ist es nicht ganz korrekt, dass die beiden kein Auto haben, sie haben sogar eine ganze Fahrzeugflotte: Sie nehmen nämlich beim Carsharing von „Stadtmobil“ teil. Der Grund dafür ist vier Jahre alt und heißt Sam. Als er zur Welt kam, sind sie mit dem Taxi zur Geburtsklinik gefahren. Doch bald mussten sie feststellen, dass Zugfahrten mit Kinderwagen und Reisebett mühselig sein können. Vor allem, wenn man umsteigen muss und es am Zielort an Bussen und Bahnen fehlt. „Wenn wir meine Familie in Süddeutschland besuchen, sind wir mit dem Extragepäck fürs Kind ohne Auto doch eingeschränkt“, sagt Mark Becker.

"Nimm so viel Du tragen kannst"

Andererseits empfanden sie es als Luxus, ohne Auto zu leben. „Keine Parkplatzsuche, keine Reparaturen, Wartung, Autowäsche, TÜV. Weniger Kosten. Die Hürde, ein Auto anzuschaffen, war riesengroß“, sagt Nicola Völckel. Carsharing war für sie die richtige Lösung: Sie können drei Stadtmobil-Stationen locker zu Fuß erreichen und zahlen als Jobticket-Inhaber nur 36 bzw. 12 Euro (Partner-Tarif) Jahresgebühr. Dazu fallen – je nach Fahrzeugtyp verschiedene – Gebühren an, wenn sie ein Auto leihen.

Das gönnen sie sich für fünf bis sechs kleinere Fahrten im Monat: Mal fahren sie im Auto zu einem Konzert in Düsseldorf und bringen danach den Babysitter heim, mal nehmen sie sich einen Transporter, um Gartengerät in ihren Schrebergarten zu bringen und Grünabfälle abzutransportieren. Mit dem Opel Combo haben sie sogar ihren Umzug gemacht. Alltägliche Einkäufe erledigen sie ohne Auto: „Wir haben große Rucksäcke und beherzigen die Ameisen-Taktik: Nimm nur so viel, wie Du tragen kannst.“

Ein robustes "U-Bahn-Kind"

Weil sich dieses Prinzip für den Urlaub auf Amrum weniger eignet, schicken sie schon mal zwei, drei 15-Kilo-Pakete mit Urlaubslektüre und Spielzeug ans Reiseziel. „Mit Koffern, Laufrad und Ikea-Taschen haben wir dann immer noch genug Gepäck im Zug dabei“, sagt Nicola Völckel. Trotzdem empfinde sie Bahnfahren als bequemer. „Wir sind da halt geübt. Ich kenne auch viele Leute, die immer auf die Bahn und ihre Verspätungen schimpfen. Andererseits wundere ich mich, wie viele Menschen sich täglich den Stau auf der A 40 antun.“

Sam habe sich in der Kita schon den Ruf eines robusten „U-Bahn-Kindes“ erworben. „Der wird bei Schnee und Kälte dick eingepackt, während andere Kinder im Winter quasi in Hausschuhen in die Kita chauffiert werden.“ Doch während seine Eltern angesichts steigender Benzinpreise vom Trend zum geteilten Auto sprechen, hätte ihr Sohn nichts gegen einen Familienwagen, „am besten groß und blau“.