Essen. . Steuerstreit hin oder her – beim Treff des örtlichen Schweizer Vereins Essen/Ruhr gibt es wichtigere Themen als die Politik. Jeden dritten Dienstag im Monat treffen sich die Eidgenossen in einer Gaststätte. Die Treffen unterscheiden sich kaum von denen eines deutschen Kegelclubs.

„Steuer-CDs? Nein, die interessieren uns nicht“, sagt Frank Wyrsch und winkt ab. Seine Mitstreiter nicken. Die bunte Runde, die sich um ihn herumgesellt, diskutiert lieber leidenschaftlich über die neuesten „Machenschaften“ von FIFA-Präsident Joseph Blatter, den Neuzugang des FC Schalke 04, den Fußballprofi Tranquillo Barnetta, oder über private Befindlichkeiten fernab der Heimat. Rein äußerlich würde ein Beobachter die Stammtischgemeinschaft vielleicht als deutschen Kegel- oder Geselligkeitsclub wahrnehmen. Hört er aber genauer hin, bemerkt er den in unseren Breitengraden eher seltenen Dialekt.

Achtet er dann noch darauf, was die besprochenen Themen gemeinsam haben, dürfte er schnell draufkommen: „Das sind Eidgenossen.“ Genauer gesagt die Mitglieder des „Schweizer Verein Essen/Ruhr“. 54 Mitglieder – die meisten wohnen in Essen und Mülheim – zählt der 1920 gegründete kleine Verein. Und die sind mehr daran interessiert, sich regelmäßig mit Gleichgesinnten sich auszutauschen und Heimatgefühle zu pflegen, als sich dem aktuellen Disput der Regierungen wegen deutscher Steuersünder zu widmen.

Wegen der Arbeit zugezogen

Jeden dritten Dienstag im Monat verwandelt sich eine Ecke in den Prinzeß-Luise-Stuben im Mülheimer Stadtteil Broich in eine kleine helvetische Welt. Die Fähnchen mit dem weißen Schweizer-Kreuz stehen zwar dann nicht immer auf dem Tisch, aber die Sehnsucht nach der Heimat ist in den Geschichten präsent. Viele der Anwesenden sind wegen der Liebe oder der Arbeit ins Ruhrgebiet gekommen – oder bereits die Vorfahren.

„Mein Opa hat hier als Melker auf einem Bauernhof gearbeitet“, erzählt der Vereinspräsident Frank Wyrsch. Mittlerweile sind es mehrere Generationen der Familie, die im Revier leben – alle mit Schweizer Pass. „Einmal im Jahr machen wir einen Familienurlaub in der Heimat. Ein Muss“, erzählt Frank Wyrsch.

Traditionen pflegt auch der Auslandsschweizerverein: Vier Mal im Jahr werden Feste gefeiert, aber das wichtigste fehlt wegen der Sommerferien, und zwar der 1. August, der Nationalfeiertag. „Da sind die meisten im Urlaub“, sagt er lachend.

Sympathiebonus dank des Dialektes

Nichtsdestotrotz, sie fühlen sich wohl im Revier – was die Landsleute daheim wegen der medial kritisierten „Invasion der Deutschen“ nicht immer behaupten können. „Wir genießen einen Sympathiebonus, allein schon durch unseren Dialekt. Auch wenn der sich hier langsam abschleift“, erklärt Marlise Psiuk.

Die Realschullehrerin ist vor fünf Jahren aus Thun im Kanton Bern ins Ruhrgebiet gekommen. „Ich habe sofort Arbeit gefunden. Das lief reibungslos, meine Abschlüsse wurden anerkannt“, erzählt sie und witzelt: „Ich musste auch keinen Deutsch-Kurs machen“. Schwierigkeiten bereitete ihr dann schon eher das Durchsetzungsvermögen bei an der Fleischtheke im Supermarkt: „Ich war anfangs zu zurückhaltend“, blickt sie lachend zurück. Das Leben fernab der Heimat führt in ihren Augen aber auch zu einer Rückbesinnung: „Ich bin traditionalistischer geworden. Das habe ich irgendwann gemerkt und es hat mich doch sehr überrascht.“

Schweizer in Essen

Nach Auskunft der Stadt leben gerade einmal 150 Schweizer zwischen Borbeck und Burgaltendorf, 85 davon haben die doppelte Staatsbürgerschaft. Anlaufpunkt für die Auslandsschweizer im Ruhrgebiet war das Generalkonsulat in Düsseldorf, Mitte 2011 wurde es geschlossen. Viermal im Jahr erscheint die „Schweizer Revue“, ein wichtiges Magazin. Infos zum Schweizer Verein in Essen: www.schweizerverein-essen.de .