Essen. . Es ist ein historischer Tiefstand: Der Essener Tennis-Bezirk verzeichnet mit 12.000 Mitgliedern so wenig Mitglieder wie niemals zuvor – 1995 waren es noch beinahe doppelt so viele Tennisspieler. Der Sport steckt in der Krise. Mehr Professionalität soll nun für Aufschwung der Vereine sorgen.

Wann haben Sie zum letzten Mal ein Tennisspiel live oder im TV verfolgt? In den meisten Fällen dürfte das lang her sein. Aus Zeiten, als die Endspiele zwischen Steffi Graf und Martina Hingis noch mit Fußball-Weltmeisterschaften vergleichbar waren. „Oder als in den 90er Jahren Boris Becker gespielt hat und jeder Mensch dir erklären konnte was ein Tiebreak ist“, erinnert sich Gerhard Nölle, der Vorsitzende des Essener Tennisbezirk.

Seit über 50 Jahren ist Nölle im Tennis engagiert. Nach langer Zeit als Vorsitzender ist er mittlerweile Ehrenpräsident im Verband Niederrhein, in Essen leitet er weiterhin die Geschicke. Und leidet, denkt er an die Tennis-Entwicklung der letzten 15 Jahren. Nicht nur in Essen – aber auch. Von 22.000 Mitgliedern im Jahr 1995 sind heute 12.000 geworden. Seit 1997 sinken die Mitgliederzahlen kontinuierlich. Von den 48 verblieben Essener Vereinen seien viele mehr oder weniger Karteileichen, „dort herrscht kein Vereinsleben mehr, die erhalten die Vereine als privater Seniorentreff am Leben“, sagt Nölle. Zeit für ein Umdenken, in Zeiten, da Deutsche Tennisspieler zumindest wieder das Halbfinale von Wimbledon erreichen oder unter der Top-10 der Weltrangliste stehen.

Es werden professionelle Trainer gebraucht

„Viele Vereine dachten, es gehe einfach so weiter, die Erwachsenen kommen, die Kinder automatisch hinterher – aber so läuft es nicht mehr“, weiß Peter Schuster, Präsident des Verbands Deutscher Tennislehrer. In Zusammenarbeit mit dem Verband habe man deshalb „tolle Konzepte“ entwickelt, die die Kinder wieder an den Sport heranführen. „Heute bekommen wir die Eltern über den Nachwuchs“, weiß Schuster. Doch der ist heiß umworben. Basketball, Handball, Leichtathletik und nicht zuletzt König Fußball – sie alle wollen ihr Stück vom Nachwuchskuchen. „Deshalb brauchen wir mehr Kümmerer“, sagt Schuster und meint damit professionelle Trainer, die sich in Vollzeit für die Belange der Spieler und des Nachwuchs einsetzen.

„Früher, als die Eltern die Vereine mitgestalteten, brauchte es weniger dieser Leute, da konnte man alles über das Ehrenamt auffangen“, erinnert sich Nölle. Doch die Zeiten haben sich geändert, die Gesellschaftsstrukturen mit ihr. „Kaum ein Verein hat mehr genug Ehrenamtliche um alles zu bewerkstelligen“, sagt der Bezirks-Vorsitzende.

Aus dem Mitgliederschwund entstanden weitere Probleme, infrastruktureller Art. „In den guten Zeiten haben die Vereine sich riesige Anlagen gebaut, heute können sie diese kaum mehr auslasten“, sagt Wolfgang Rohrberg, Geschäftsführer des Essener Sportbund. Das kostet Geld, denn die Anlagen sind, im Gegensatz zu vielen städtischen Fußballplätzen, mit einer jährlichen Pacht von drei Prozent belastet.

„Und ich sehe gar keine Chance für einen Erlass durch die Stadt“, ist sich Gerhard Nölle, angesichts des überstrapazierten Sportbudgets, sicher. Weniger Mitglieder, teure Anlagen – und trotzdem fordern Schuster und Nölle die Einstellung neuer Berufstrainer. Wie das zusammen passt? „Jeder zweite Verein sagt, das könne man sich nicht leisten. Aber diese Trainer finanzieren sich von selbst, denn sie bringen den Spaß zurück in den Sport“, beschreibt Schuster.

Ein Konzept, dass die Tennisabteilung des ETB Schwarz-Weiss bereits umgesetzt hat. „Mit unserem neuen Trainer haben wir die Zahl der Jugendlichen von 40 auf 130 gesteigert“, erklärt der Sport-Vorsitzende Peter Döpgen. Die neun Plätze der gepachteten Anlage sind maximal ausgelastet, der Verein mit knapp 550 Mitgliedern einer der größten im gesamten Verband.

Tennis als Spaßsport

Für Nölle ein Paradebeispiel, wie die Zukunft des Essener Tennis aussehen könnte: „Wer nicht mit der Zeit geht, der kann auf Dauer nicht durchhalten.“ Eine Fusion bestehender Vereine könne dabei nur die letzte Option sein. „Das Konzept mit neuen Trainern, und davon sind genügend auf dem Markt, bietet Chancen sich selbst zu renovieren“, sagt Schuster.

Von den 48 Essener Vereinen nutzen mittlerweile zwischen etwa die Hälfte professionelle Unterstützung. Die Mitgliederzahlen stabilisieren sich im gesamten Bezirk. „Jetzt muss das Ziel sein, die Strukturen weiter aufzubauen und dem Tennis ein neues Image zu geben“, sagt Schuster.

„Tennis als Spaßsport“, so soll die rosige Zukunft für den Breitensport aussehen, wenn es nach den beiden Essener Tennisfanatikern geht. Eine moderne Halle in Bergeborbeck und ein abgeschlossener Schrumpfungsprozess in vielen Vereinen lässt da gutes erhoffen. Und vielleicht darf sich Gerhard Nölle so doch noch mal über einen Tennisprofi aus Essen freuen. Den hat er nämlich auch nach über 50 Jahren Amtszeit noch nicht anfeuern dürfen.