Essen. . Denn was lange als out galt, steht bei Jugendlichen und Mitzwanzigern wieder hoch im Kurs: Selbstgenähte Kleidungsstücke jenseits der Massenware von der Stange. Seit knapp zwei Jahren gibt es das Nähcafé in der Essener Innenstadt - über mangelnde Nachfrage könne man sich nicht beklagen, sagt Geschäftsführer Joachim Bürger.

In Millimeter-Arbeit legt Sabine Bambynek zugeschnittene Stoffteile aufeinander, steckt vorsichtig eine Naht ab. „Mist, jetzt passen die Karos nicht zueinander!“ Für eine Nähanfängerin hat sich die 19-Jährige nicht gerade ein Einsteigermodell ausgesucht. Ein leicht ausgestelltes Kleid im 50er-Jahre-Stil soll es werden. Dazu besucht sie einen Anfängerkurs im Nähcafé „Zic’n Zac“ – und liegt damit voll im Trend. Denn was lange als out galt, steht bei Jugendlichen und Mitzwanzigern wieder hoch im Kurs: Selbstgenähte Kleidungsstücke jenseits der Massenware von der Stange.

Aufzeichnen, abstecken, kurbeln

Seit knapp zwei Jahren gibt es das Nähcafé in der Essener Innenstadt – über mangelnde Nachfrage könne man sich nicht beklagen, sagt Geschäftsführer Joachim Bürger. Der ehemalige PR-Berater wollte mit Anfang 60 unternehmerisch noch einmal durchstarten und schuf ein pfiffiges Geschäftsmodell. „Als ich an die vielen muffigen, etwas ältlich wirkenden Stoffgeschäfte dachte, kam mir der Gedanke, dass da ein großer Markt brach liegt.“ Zic’n Zac kombiniert jetzt den Verkauf von Stoffen und Nähmaschinen mit Kursen für Anfänger und Fortgeschrittene. Der Plan ging auf. Bundesweit plant Bürger gut 40 weitere Filialen in allen größeren Städten – Essen soll erst der Anfang sein.

Schnittmuster und Stoffballen

Sabine Bambynek ist ihre Naht mustergültig gelungen. Gemeinsam mit ihrer Mutter, die früher auch schon gelegentlich für sie genäht hat, und sechs weiteren Frauen sitzt sie an einem Gemeinschaftstisch – die Maschinen rattern, die Damen klönen, im Hintergrund läuft leise Musik. Von 19 bis Mitte 50 sind hier viele Altersklassen vertreten. Auf den Tischen liegen Schnittmuster und bunte Stofflagen ausgebreitet. Zeitlose Klassiker sind noch immer die „Burda“-Schnittmuster, nach denen schon während der Nachkriegszeit die modebewusste Damenwelt sich die Pariser Couture für kleines Geld selbst nachschneiderte.

Monique Kohirt, die den Einsteigerkurs leitet, hat alles im Blick. Die 27-Jährige ist ausgebildete „bekleidungstechnische Assistentin“, wie der Beruf der Näherin von der Industrie- und Handelskammer (IHK) offiziell bezeichnet wird – heute arbeitet sie selbstständig als Dozentin für Nähkurse. Trauen sich denn auch Männer ins Nähcafé? „Eher vereinzelt, aber das kommt durchaus auch vor“, verrät sie und muss leicht schmunzeln. Manchmal seien die Herren sogar eine Spur „pflegeleichter“ als die Damen: „Die stellen kaum Fragen und tun , was man ihnen sagt.“

Individualität statt Massenware

Martina Beerbaum (32) sitzt nicht zum ersten Mal vor einer Nähmaschine, doch liegen diese Zeiten schon etwas länger zurück: „Wir hatten das damals in der Schule im Handarbeitsunterricht, aber das Meiste habe ich vergessen.“ Richtig nähen lernen wolle sie vor allem, um sich mal ein individuelles Stück schneidern zu können, „mit dem bei der nächsten Party nicht wieder drei andere Frauen herumlaufen.“ Doch auch aus praktischen Gründen, um mal eine Hose kürzen oder eine Naht ausbessern zu können.

Eine andere Dame sieht das ähnlich: „Sicherlich macht das niemand von uns, um ein paar Euro zu sparen – dafür lohnt sich der Aufwand einfach nicht. Aber beim Nähen kann ich auch richtig gut abschalten.“ Und das Wichtigste: „Wenn das Stück fertig ist, hat man das gute Gefühl, das ganz allein geschafft zu haben.“

Anfangsschwierigkeiten seien normal

Spricht’s und schlüpft in eine Leinenhose, die sie für den Sommer kreiert hat. So richtig schließt der Bund noch nicht am Körper an, Monique Kohirts kritischem Blick entgeht nichts. Für eine andere Dame, die mit den technischen Tücken ihrer Maschine kämpft, hat sie die rettende Idee: „Im Zweifelsfall einmal aus- und wieder einschalten“, ruft sie über die Schulter. Wie beim Computer...

„Am schwierigsten ist es, sich bei der Planung die Kleidungsstücke dreidimensional vorzustellen“, so Kohirt. Doch Anfangsschwierigkeiten seien völlig normal – einmal mit dem Nähfieber infiziert, kämen viele nicht mehr davon los. Sabine Bambynek freut sich schon auf den Sommer: „Dann kann ich endlich mein Kleid anziehen – das gibt’s garantiert nicht bei H & M.“