Essen. . Zum Prozessauftakt gegen vier mutmaßliche Straßenbahnschläger in Essen haben die Bilder aus der Linie 103 für Entsetzen gesorgt. Sie zeigen einen blutüberströmten, 43-jährigen Essener, umringt von mehreren Männern, die weiter auf ihn eintreten. Geholfen hat dem Opfer am 1. November 2011 niemand.
Es ist sehr still im Gerichtssaal 290. Alle Augen richten sich gebannt auf die entsetzlichen Bilder einer Videokamera, aufgezeichnet am Abend des 1. November vergangenen Jahres kurz nach 20 Uhr in der Straßenbahnlinie 103 in Altendorf. Blutüberströmt ist der 43-jährige Essener, der sich da vom Boden auf die Beine quält. Kurz zuvor sah man ihn umringt von mehreren jungen Männern, die wohl auf ihn einschlagen und treten, nachdem eine Bierflasche auf seinem Kopf zerschlagen wurde. Ein zufälliges Opfer für Wut, Hass und Aggressionen? Vier Männer im Alter von 21 bis 29 Jahren, sitzen seit Montag auf der Anklagebank der VI. Strafkammer des Landgerichtes. Sie sollen dabei gewesen sein. Sie schweigen bislang.
„Einmal aufstehen“, bittet die Vorsitzende Richterin Jutta Wendrich-Rosch die Angeklagten. Die vier erheben sich, die beiden in der hinteren Reihe, grinsen, finden das offenbar lustig. „Hinten links“, sagt der 43-Jährige auf dem Zeugenstuhl und deutet auf Khadis B. (29) einen in Essen lebenden Russen, das sei derjenige gewesen, so das Opfer, der ihm den ersten Faustschlag verpasst habe. Zwei russische Landsleute sitzen mit dem 29-Jährigen auf der Anklagebank. Tapa T. (27) ebenfalls aus Essen, Anton M. (21) ohne festen Wohnsitz und dazu Aleksandrs S. (24) aus Lettland.
Keiner hat geholfen - nicht einmal der Bahnfahrer
Der 43-Jährige war an jenem Abend mit einem Freund unterwegs. Gemeinsam waren sie schwimmen gegangen, hatte anschließend im Restaurant in Borbeck gegessen. Auf dem Weg in die Innenstadt stiegen beide an der Gemeindestraße in den Bus, damals als Schienenersatz Verkehr eingesetzt. An der Helenenstraße sollen die Männer dazu gekommen sein. Etwa sieben waren es, erinnert sich später als Zeuge, der 42-Jährige, der ebenfalls ein paar aber vergleichsweise glimpfliche Stöße abbekam. „Wir saßen in der letzten Reihe“, erinnert sich der 43-Jährige. Einer der Männer habe sich zwischen ihn und den Freund gesetzt und diesen auch „in sehr schlechtem Deutsch“ angesprochen.
Irgend etwas von Geld habe er gehört, nichts genaues. Als der Bus an der Endhaltestelle Kronenberg hielt habe einer der Männer an seinem Ärmel gerissen. „Ich nahm die Beine in die Hand und rannte raus“, erzählt der Zeuge. Er stieg in die Bahn 103. Die Männer seien gefolgt. Alles ging ganz schnell: Ein Kinnhaken habe ihn getroffen und von der anderen Seite eine Bierflasche. Er sei zu Boden gegangen „Dann habe ich nur noch Fußtritte gespürt“, sagt er. Er hat Erinnerungsglücken. Die Bahn fuhr weiter. „Die Leute sagten. Sie müssen sofort ins Krankenhaus“, weiß er noch. Geholfen hat keiner. Auch nicht der Bahnfahrer. Als Zeuge ist er nicht geladen.
Glassplitter von der Bierflasche im Auge
Der 43-Jährige steigt mit dem Freund zwei Haltestellen später aus. Sie gehen ins Klinikum. Fünf Verletzungen im Gesicht müssen genäht, sieben geklammert werden. Glassplitter im Auge, von der Bierflasche, so der Zeuge, habe sein Freund schon zuvor entfernt. Probleme habe er noch heute mit dem linken Knie. Dreieinhalb Monate sei er krank geschrieben gewesen. Der 43-Jährige ist jetzt arbeitslos.
Bei der Polizei macht er geltend, dass ihm nicht nur eine Hugo Boss Sonnenbrille im Wert von 240 Euro bei dem Tumult gestohlen worden sei, sondern auch seine 80 Zentimeter lange goldene 170 Gramm schwere „Königskette“ und das dazu passende 86 Gramm schwere „Königsarmband.“ Seit 22 Jahren trage er den Schmuck ständig, habe damals umgerechnet rund sechstausend Euro dafür bezahlt. Damals, so berichtet er auf Nachfrage der Richterin, habe er Geld übrig gehabt nach einem Autokauf. Das nämlich sei ihm von einer Freundin geschenkt worden, ein Mercedes 500 SLC. Diese Zeiten seien allerdings längst vorbei. Für den Prozess hat die Kammer zwei weitere Tage terminiert. Ein von Verteidiger Dr. Keil aus Menden angeregtes Rechtsgespräch mit der Kammer führte zu keiner Einigung.