Esen. . Jeder Zehnte will bei der Landtagswahl am 13. Mai die Piraten wählen, heißt es. Wir haben uns auf die Suche nach den Wählern gemacht - und nur Meuterer gefunden. Selbst auf dem Campus der Universität Duisburg-Essen gestaltet sich die Suche nach jungen Piraten schwierig.
Zwei Hüte aus dem Aalto-Fundus und dazu ein schöner alter Degen, die schwarze Augenklappe von der Marktapotheke gegenüber und goldene Ringe als Dreingabe: So postierte die NRZ sich auf dem Frohnhauser Markt – auf der Suche nach Piraten-Wählern, von denen es heißt, dass sie in neun Tagen bei der Landtagswahl jede zehnte Stimme im Land stellen.
Doch wer beschreibt unser Erstaunen über eine trostlose Ausbeute: Kein einziges Crew-Mitglied gab sich zu erkennen, sondern nur Meuterer. Sind die Sympathisanten nach den Debatten der vergangenen Wochen untergetaucht? Oder eint der Protestkurs der Piraten das Schicksal der einstigen RTL-Strip-Spielshow „Tutti Frutti“ – sensationelle Einschaltquoten, aber wenn man nachfragt, hat’s vermeintlich keiner gesehen?
„Ich weiß, dass es die gibt“, sagt etwa Bernhard Bergmann. Mehr fällt dem 84-Jährigen auch nicht ein. Immerhin, er will bei den Piraten den Daumen nicht gleich gen Boden senken, sondern „die erstmal richtig kennenlernen.“
„Die haben kein Konzept“ oder „Die Grünen waren zu Beginn doch auch so“ – diese Antworten bekommt die NRZ an diesem Tag mehrfach auf die Frage nach den orangefarbenen Rächern. „Ich bin noch unentschlossen, was meine Wahl betrifft...“, sagt eine Mittfünfzigerin, um gleich hinterherzuschieben: „...aber die Piraten wähl’ ich bestimmt nicht.“ Sie will, dass endlich mal gespart wird, dass die Leute von ihren Löhnen leben können.
Selbst auf dem Campus der Universität Duisburg-Essen gestaltet sich die Suche nach jungen Piraten schwierig: Bei der Landtagswahl sein Kreuzchen bei den Piraten zu machen, kommt für Lucien Luckau nicht in Frage. „Ich halte nicht viel von ihnen. Sie sind zwar ehrlich und geben zu, dass sie keine Ahnung haben. Aber das bringt uns nicht weiter“, sagt der 21-Jährige, der nur zum Spaß die Verkleidung anlegt: „Ich bin gespannt, was aus ihnen wird, ob sie den Sprung von einer Protestpartei zu einer Partei schaffen, die wählbar ist“, sagt der Student.
„Die Piraten suchen sich noch selber“
„Auf einmal waren sie da, wie die Freibeuter. Aber was die Piraten wirklich wollen, weiß ich immer noch nicht“, sagt Wilfried Kolling achselzuckend. Und das, obwohl ihn jüngst ein Pirat am Infostand über seine Partei „aufgeklärt“ habe. „Im Moment haben die keine eigene Meinung, sind mal wie die CDU oder die SPD eingestellt, dann grün, links oder liberal“, meint der 69-Jährige. In Frohnhausen könne man lange nach Piraten suchen, finden würde man sie im Stadtteil jedoch nicht. „Ich weiß gar nicht, ob wir die überhaupt brauchen. Versprechungen machen und nicht halten, das können schließlich auch die etablierten Parteien sehr gut“, scherzt der Senior.
Viele andere Passanten winken bei der Frage nach den Politamateuren gleich ab und wollen sich schon gar nicht interviewen lassen: „Gehen Sie mir weg mit denen“, ist noch eine der harmloseren Antworten. „Was wollen die eigentlich?“, „Wenn die an die Macht kommen, können wir auswandern“, krakeelt ein älterer Mann, namentlich zitieren lassen will er sich damit aber nicht. „Die sind doch nur im Internet, die kommen hier doch nicht hin“, frotzelt Alt-Sozi Helmut Hans Jagla. Er steht mit seinen Genossen von der AG 60plus außerhalb der Marktfläche und buhlt um Stimmen für die SPD.
Für die kann sich anscheinend auch Deborah Kather (23) eher erwärmen: „Ich hab kürzlich mal den Wahl-o-mat genutzt, mit den Piraten hatte ich keine großartigen Übereinstimmungen, dafür eher mit SPD und Grünen.“ Einen kleinen Generationenkonflikt skizziert eine andere Rentnerin: „Mein Sohn hat gesagt, ich soll die wählen.“ Entstehen so neue Protestwähler?
„Niemand weiß,wofür die stehen“
„Die schießen jedenfalls wie die Pilze aus dem Boden“, sagt Walburga Winkler, Jahrgang 1932. „Die haben überhaupt keine Meinung“, sagt sie. Den Satz hören wir an diesem Vormittag auch öfters, meist mit negativer Kommentierung des Auftritts der Piraten in der Spitzenkandidaten-Runde beim WDR.
Hartmut Bogusch kann mit den Piraten auch nichts anfangen: „Niemand weiß, wofür die stehen.“ Eine etwas andere Lanze will Freddie aus Frohnhausen brechen, so sei er jedenfalls bekannt im Stadtteil. „Ich wollte Kandidat werden“, sagt er. Erfolg hatte er nicht, er will seine Piratenbilder mal eben holen. Stattdessen stiefelt er mit seinem Rollator erstmal zum Fischhändler. Doch nur Seemannsgarn?
Felix Lütke bezweifelt, dass die Piraten parlamentsfähig sind: „Doch ich finde es gut, dass es sie gibt. Sie wollen nicht inhaltlich etwas bewegen, sie wollen eine Veränderung in der politischen Kultur. Und das ist gar nicht so verkehrt“, betont der 25-Jährige. Ob sich die Piraten langfristig zu einer etablierten Partei entwickeln, so wie die Grünen, vermag der Student nicht zu sagen. „Sie haben andere Wurzeln. Die Internetgemeinde kann schließlich nicht als soziale Bewegung bezeichnet werden.“ Wenn, dann würde die Piratenpartei wohl die FDP ablösen, meint Felix Lütke: „Sie haben einen ganz seltsamen Begriff von Liberalismus, sind weder rechts, noch links, sondern eher unpolitisch.“
Eher kritisch verfolgt Julia Wenzel die Entwicklung der Piraten und vor allem deren Freiheitsdrang: „Sie fordern Teilhabe bei Entscheidungen, so, dass sich alle Menschen am politischen Prozess beteiligen können. Mein Problem daran ist, dass man Teilhabe nicht ins Internet verlagern kann.“ Schließlich sei nicht die gesamte Gesellschaft im Netz unterwegs. Vor allem, wenn es um wichtige Entscheidungen ginge, wie die Einheitssteuer oder das bedingungslose Grundeinkommen, dürfe niemand vergessen werde. „Noch habe ich keine Antwort von den Piraten darauf gehört, wie sie den Minderheitenschutz sicherstellen wollen“, beklagt die Studentin. In der Basis der Piraten sehe sie vor allem verdrossene Nichtwähler und politische Einzelkämpfer. „In Schweden hat’s mit den Piraten nicht geklappt. Da dümpeln sie unter einem Prozent herum, weil ihnen Inhalte fehlen“, so die 21-Jährige. Die deutschen Piraten könnten nur langfristig überleben, wenn sie mit Inhalten punkten würden, die finanzierbar und umsetzbar wären.
„Nett, dass mal wieder etwasin der Politik passiert“
Die zehn Prozent in Essen, die Piraten wählen sollen, „such’ ich auch noch“, verrät Ursula Skobjin. Gefunden habe sie die Piratenwähler auf dem Frohnhauser Markt bisher noch nicht. „Aber es ist nett, dass mal wieder etwas in der Politik passiert“, scherzt die 80-Jährige. Noch, glaubt Skobjin, würden sich die Piraten noch selbst suchen – inhaltlich. „Denn sie wissen gar nicht genau, was sie überhaupt wollen, abgesehen von Internetthemen.“
Herzlich wenig hält Dieter Grasenick von Piraten: „Früher haben sie bloß Schiffe überfallen, heute überfallen sie ein ganzes Land.“ In der Mitte, links oder rechts will der 73-Jährige sie nicht einordnen. „Für mich ist es eine Verbrecherbande.“
Von Piraten und der alten Politgarde
Politik und Politiker haben keinen guten Ruf. Mit ihrem Versprechen, vieles anders zu machen, treffen die Piraten zurzeit den Nerv vieler Bürger. Nur aus Protest? Oder ist es Zeit für einen neuen Politikstil? Dieser Frage geht am Dienstag, 15. Mai, ab 19 Uhr die nächste Runde von „Essen kontrovers“ nach, dem gemeinsamen Diskussionsforum von NRZ und Volkshochschule. In der Lernbar der VHS am Burgplatz diskutieren darüber Joachim Paul, Spitzenkandidat der NRW-Piraten, die SPD-Landtagsabgeordnete Britta Altenkamp, Politikwissenschaftler Prof. Wolfgang Horn und Ex-CDU-Ratsherr und Initiator einer Freien Wählergruppe Heinz-Dieter Geeven. Es moderiert Stephanie Grimme, der Eintritt ist frei.