Essen. . In der Schule, in der Universität oder im Arbeitsamt – Mustermappen für Bewerbungen werden Jobsuchenden gerne mit auf den Weg gegeben. Schließlich bringt nur ein guter erster Eindruck den Fuß in die Tür eines neuen Arbeitgebers in spe. Doch die Formblätter könnten schon bald deutlich ausgedünnt werden.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat die Ergebnisse eines Pilotprojekts zum anonymisierten Bewerbungsverfahren präsentiert. Demnach hilft eine Bewerbung ohne Name, Passfoto, Familienstand oder Angabe der Religionszugehörigkeit vor allem Frauen und Migranten bei der Jobsuche.

Oktay Sürücü, Geschäftsführer des Verbunds der Immigrantenvereine in Essen, sieht eine Umsetzung des Projekts in lokalen Unternehmen deshalb sehr positiv: „Gerade bei Frauen schrecken die Religion und das Kopftuch ab, auch wenn die Bewerberin eigentlich hoch qualifiziert ist“, meint Sürücü erkannt zu haben. Ein anonymes Verfahren könne da helfen „die grundsätzlichen Chancen für Migranten zu erhöhen.“

Kein Bedarf bei der Stadt

Dabei gilt in Deutschland schon seit 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz , das Benachteiligungen von Stellenbewerbern unter anderem aufgrund ihrer Religion oder des Geschlechts verhindern soll. Bernd Jakobs, Leiter des Personalwesens der Stadt Essen, ist sich deshalb sicher: „Ein solches System macht für uns keinen Sinn.“ Die Stadt achte, zusätzlich zum Bundesgesetz, mit einem Frauenförderplan auf eine Gleichbehandlung in Bewerbungsverfahren. Eben jener Plan sieht vor, den Frauenanteil „qualitativ, quantitativ und strukturell zu erhöhen“.

Im Einzelhandel der Stadt steht man dem neuen System aufgeschlossener gegenüber. „Für größere Betriebe und Unternehmen kann das durchaus reizvoll sein“, sagt Marc Heistermann, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbands Ruhr. Schließlich könnten bislang verkannte Talente entdeckt werden. Einschränkungen sieht Heistermann jedoch bei den kleineren Betrieben: „Der zusätzliche Arbeitsaufwand durch die Anonymisierung und zusätzliche Bewerbungsgespräche wären eine große Hürde.“ Eine freiwillige Variante stelle für alle Seiten daher die wohl beste Möglichkeit da, so Heistermann, der damit Ulrich Meier aus der Seele spricht.

Der Hauptgeschäftsführer der Essener Kreishandwerkerschaft stellt klar: „Wir erwarten, dass es keine gesetzlichen Verpflichtungen geben wird.“ Gerade im Handwerk sei man auf eine detaillierte Bewerbung angewiesen, schließlich müssen potenzielle Angestellte meist körperliche Voraussetzungen mitbringen. Außerdem haben viele Betriebe keine eigene Personalabteilung. „Da kümmert sich der Chef selbst um die Bewerbungen, der Aufwand für dieses neue Verfahren wäre nicht zumutbar“, sagt Meier.

Zweifel bei RWE und Evonik

Eine Personalabteilung haben die Essener Großkonzerne RWE und Evonik durchaus, doch auch hier ist man skeptisch. „Wir fordern von unseren Bewerbern ohnehin keine Altersangaben und Fotos an“, erklärt RWE-Sprecher Martin Pack. Das Bewerbungsverfahren laufe über ein Onlinesystem. Dessen Umstellung auf einen anonymisierten Ablauf sei „schwierig umzusetzen, da Zeugnisse von den Bewerbern hochgeladen werden und dort persönliche Daten wie Name und Adresse oft vermerkt sind.“ Ohnehin orientiere man sich an den Unterschiedlichkeiten bei den Angestellten. Ein „Diversity Management“ achte bei der Bewerberauswahl auf Vielfältigkeit und Gleichstellung.

Zweifel an dem Sinn des Verfahrens hat Ruben Thiel, Sprecher des Chemiekonzerns Evonik. Zwar unterstütze man jeden Ansatz, die Diskriminierung von Bewerbern zu vermeiden. „Nach unserer Einschätzung können anonymisierte Bewerbungen allein dies aber nicht gewährleisten“, stellt Thiel fest und widerspricht damit Torsten Withake, Chef der Agentur für Arbeit Essen.

Neues Potenzial nutzen

Dort habe man als Arbeitgeber durchaus positive Erfahrungen mit anonymen Bewerbungen gemacht. Die NRW-Agenturen hatten sich am Modellprojekt beteiligt und in Essen beispielsweise sechs neue Angestellte gefunden, „die uns sonst wohl nie vorgeschlagen worden wären oder die sich gar nicht erst beworben hätten“, erzählt Withake. Gerade bei Migranten gebe es enorm viel Potenzial, das müssten die Unternehmen verstärkt zu nutzen lernen. Seine Erfahrung als Jobvermittler habe bereits gezeigt: „Die größeren Unternehmen stehen dem aufgeschlossen gegenüber.“

Ob und wann es neue Musterbewerbungen geben wird, bleibt ungewiss. Ebenso, ob den 35.739 Arbeitssuchenden in Essen das neue Verfahren letztlich zum neuen Job verhilft, denn: „Entscheidend bleibt letztlich die Qualifikation und das persönliche Gespräch“, weiß der Arbeitsamt-Chef. Doch bis dahin kommen momentan viele Bewerber gar nicht erst. Weil der Name, das Aussehen, die Religion oder das Geschlecht nicht passt.