Essen.

Proben fürs Passionsspiel: Die italienische Gemeinde geht Karfreitag den Kreuzweg. Rollenwechsel für Agrippino Todaro.

Weil der alte Pilatus pensioniert wurde, ist Agrippino Todaro eingesprungen. Zum ersten Mal übernimmt der 44-Jährige die Rolle des römischen Statthalters beim Passionsspiel, das die italienische Gemeinde im Ostviertel aufführt. Bei den Proben trägt Pontius Pilatus noch Vollbart. Den hat Agrippino Todaro wachsen lassen, weil er an Palmsonntag in Gevelsberg einen ganz anderen Protagonisten mimte: Jesus von Nazareth.

Den Heiland spielte Agrippino Todaro schon öfter. Nun die Pilatus-Premiere. Der Seitenwechsel heißt auch Bart stutzen, so dass nur ein Streifen übrig bleibt, das soll ihm eine gewisse Strenge verleihen, erzählt der 44-Jährige, der als Ausbilder und Leiter in einer Werkzeugmacher-Abteilung arbeitet. Und Vater zweier Töchter ist, von denen eine mit seiner Frau im Chor beim Passionsspiel singt. Seit Wochen proben sie dafür.

Maria, Jesus, die Soldaten und Apostel gehen immer wieder den Kreuzweg entlang, der um den Elisenpark führt. An den Bänken dann das Todesurteil: Pontius Pilatus verurteilt Jesus. „Dabei biete ich dem Volk an, Jesus oder den Häftling Barabbas laufen zu lassen“, sagt Agrippino Todaro. Das entscheidet sich für den Mörder und gegen den Messias. Für die Szene übt der 44-Jährige intensiv an seiner Gestik, weil Pilatus im Dilemma stecke: „Ich will Jesus ja nicht verurteilen“.

Ein bisschen betroffen schaut er in dem Augenblick, traurig darüber, wie die Leute handeln, sagt der Darsteller. Sprechen muss er nicht, keiner von ihnen lernt Texte, denn die kommen von einer CD, die sie aufgenommen haben. Alles Playback, erklärt Agrippino Todaro. Das nehme vielen das Lampenfieber.

Technikpult steht mitten im Park

Mitten im Park steht das Technikpult, überall sind Lautsprecherboxen postiert. Am Mikrofon führt Schwester Milva Regie. Große Pannen habe sie nicht erlebt. Kleine schon, so wie jetzt bei dem Durchlauf. Stromausfall. Kein Technikproblem, wie die Beteiligten schnell herausfinden, sondern Kinder, die den Stecker ziehen. Bei einer Aufführung stimmte mal die Szene nicht mit der Musik überein.

Schwester Milva passt aber nicht nur auf, dass Playback und Protagonisten nun zeitlich übereinstimmen. Sie hat auch ein Auge darauf, dass die Passionsgeschichte zum Ausdruck ihres Glaubens wird: „Es ist mehr als ein Schauspiel“. So gehört es dazu, die Szenen zu reflektieren, damit alle in sich gehen können. „Auch wir werden im Alltag oft mit Leid konfrontiert.“ Im Elisenpark sehen die Zuschauer Jesus, der immer wieder hinfällt. „So ist unser Leben“, sagt Schwester Milva, „wir fallen oft, erleben Rückschläge.“ Und jeder brauche dann Menschen, die ihn wieder aufheben. „Deshalb ist die Geschichte Jesu aktuell.“

Die Zuschauer sollen mitfühlen, das Spiel echt wirken. Schwester Milva achtet auf die Strenge des Pilatus, auf die Schläge der Soldaten, die das Kreuz treffen. Deren Aggression gegenüber Jesu müsse überzeugend wirken.

„Wenn sie ihn geißeln müssen, dürfen sie nicht nur dastehen.“ Nicht zu lässig mit der Peitsche sein. Manchmal bekommt der Sohn Gottes etwas ab. „Muss er hinnehmen.“ Das tue ihm nicht weh, beruhigt Schwester Milva. Francesco Livadoti steckt seit zwölf Jahren in der Rolle des Heilands, leidend blickt er zum Boden. Gebückt geht er unter dem Kreuz. Erst an Karfreitag wird ihm das aufgemalte Blut über die Stirn laufen, wird die Dornenkrone auf seinem Kopf haften. Wird Maria voller Schmerz unter dem Kreuz um ihren Sohn weinen.

Schwester Milva koordiniert die Darsteller

Ihre Kostüme tragen die Darsteller erstmals bei der Generalprobe. Bei jeder begleitet Schwester Milva sie, positioniert sich zwischen Vorbeter und Szene. Die Schauspieler reagieren auf ihre Zeichen. Sie koordiniert schneller laufen, dann wieder langsamer, mehr nach rechts, ein Stück nach links. „Ein bisschen nervös sind sie schon“, weiß die Regisseurin. Zwischen den gespielten Stationen des Kreuzweges beten sie oder singen mit allen Zuschauern – live.

Später in der Kirche setzen sie die Liturgie fort. Zuvor aber noch mal Auftritt Pilatus: Er steht unter dem Kreuz des toten Heilands und gibt dessen Leichnam auf Bitte des Jüngers Joseph frei: „So gebe ich auch ein Stück Schuld ab“, erklärt Agrippino Todaro die Bedeutung der Szene.

Christus wird vom Kreuz abgenommen und in die Kirche neben dem Park getragen. Im Gotteshaus darf er dann aufstehen – obwohl doch der dritte Tag nach seinem Tod noch gar nicht angebrochen ist. Schwester Milva winkt ab: „Es ist nicht wichtig, ob er da wieder läuft“. Irgendwann sei das Schauspiel ja vorbei, sagt die Regisseurin lächelnd.

Nach dem Passionsspiel im Elisenpark freut sich Agrippino Todaro vor allem darauf, sein Osterfest glatt rasiert feiern zu können. Denn nicht nur seine drei Frauen zu Hause schimpfen regelmäßig über sein Äußeres vor den Auftritten. Auch er findet, dass zumindest der Vollbart ihn älter mache: „Alle sind froh, wenn der wieder ganz ab ist.“

Passionsspiel

Die italienisch-katholische Gemeinde Essen führt das Passionsspiel mit Mitgliedern aus sechs italienischen Gemeinden des Bistums seit knapp 20 Jahren auf. Beginn ist am Karfreitag, 6. April, 17 Uhr, im Elisenpark im Ostviertel an der Elisenstraße. Die Tradition, das Passionsspiel darzustellen, geht bis ins 14. Jahrhundert zurück. Die Aufführung im Elisenpark findet in deutscher und italienischer Sprache statt. Dazu sind alle eingeladen.