Essen. . Nachholbedarf bei Stil, Manieren und Umgangsformen gibt’s nicht nur bei der Jugend. ‘Auch Erwachsene lernen gutes Benehmen im Etikette-Kurs der Bürgerschaft Kupferdreh.

„Bitte sagen Sie jetzt nichts, Hildegard“ – wer den Sketch von Ev­elyn Haman und Vicco von Bülow alias Loriot aus den 1970er Jahren kennt, weiß nur zu gut, in welch’ verzwickte Situation ei­nen eine winzige Nudel bringen kann. Wie reagiert man richtig, wenn das Nüdelchen dem Dinnerpartner über Mund und Wange wandert? Ist dann Zurückhaltung geboten, weist man denjenigen auf die peinliche Pasta hin, oder lacht sich womöglich ein Loch in den Bauch? Angela Seidel weiß Rat. Sie ist Expertin, was Etikette und gutes Benehmen angeht, schult angehende Banker der Sparkasse in Stil, Manieren und Umgangsformen. „Sie dürfen denjenigen dezent auf die Nudel hinweisen, aber Sie müssen es nicht unbedingt tun, etwa wenn er ihnen unsympathisch ist“, sagt Seidel, die bei der Sparkasse Essen im Vorstandssekretariat arbeitet. Ihren Chef, Hans Martz, würde sie wohl darauf hinweisen. „Doch Herr Martz weiß auch so Bescheid, sich zu benehmen“, scherzt sie. Jüngst haben er und seine Vorstandskollegen eine neue Aktion der Bürgerschaft Kupferdreh gefördert: Benimmkurse für Er­wachsene und Jugendliche un­ter dem Titel: „Benimm Dich! Aber wie.“ Zwei Dutzend Essener folgten dem Aufruf.

„Ich will wissen, ob ich alles richtig mache, denn Benimmregeln ändern sich mit der Zeit“, weiß Reinhard Müller. Dass er im Büro nicht mit weißen Tennissocken auftauchen sollte, „ist mir natürlich nicht neu“ und auch nicht, dass Hände im Gespräch nicht in den Hosentaschen verschwinden. „Denn das sieht einfach nur fürchterlich aus“, sagt Seidel. Dafür erhält sie breite Zustimmung der Damen im Kurs; die Herren machen sich fleißig Notizen.

"Motivkrawatten sind ein No-Go"

„Knallbunte Krawatten, am besten mit Motiv, trägt man gar nicht mehr. Das ist kein guter Stil. Sie zu tragen ist heutzutage ein absolutes No-Go“, betont Seidel. Selbst die Männer im Saal schmunzeln. Doch es gibt sie noch – Träger von Motivkrawatten in allen Farben des Regenbogens. Bestes Beispiel ist Bürgermeister Rolf Fliß, der gut 100 solcher Schlipse besitzt und mit Vorliebe bei offiziellen Terminen trägt. „Bei mir ist das ein Markenzeichen und ich will damit eine Botschaft rüber bringen“, sagt der Rüttenscheider.

Zu fast jedem Thema habe er ein passendes Exemplar parat – mit Radfahrern, Bussen, Seglern auf dem Baldeneysee, der Villa Hügel, der Zeche Zollverein und anderen Motive der Stadt, die er repräsentiert. „Vor allem Frauen achten auf meine Krawatten“, betont Fliß, denn von ihnen werde er oft auf sein Anhängsel angesprochen. Auf seine schrillen Schlipse verzichten wolle Fliß nicht, schließlich würden die handgearbeiteten Krawatten gern und oft fotografiert. Das sei eben sein Stil; dafür sei er in Essen bekannt.

Benimmkurs für den Dauer-Duzer im Essener Rat 

Einer, der sich aufgrund seiner gewöhnungsbedürftigen Umgangsformen nicht auf den Schlips treten lässt, ist Siegfried Brandenburg – der Dauer-Duzer im Rat der Stadt. „Schon damals, als ich noch die Volksschule besuchte, habe ich ständig ,Du Fräulein’ zur Lehrerin gesagt und dafür Ohrfeigen kassiert“, erinnert sich Brandenburg. „In der heilen Welt des Ruhrgebiets, mitten in Schonnebeck, wo Bergleute wohnten, war das immer okay“, sagt der CDU-Mann. In der Lehre versuchte man ihm das „Du“ auszutreiben, in seiner Bundeswehr-Zeit kam’s zurück. Und blieb. Schon in jungen Jahren arbeitete er in der Gastronomie, „da hab’ ich sie alle geduzt, den Handwerker, Rechtsanwalt und meinen Doktor“. Denn ein paar Tage später in der Praxis, „Sie“ zu sagen, „fand’ ich doof“. Mit seinem konsequenten „Du“ ist er nach eigenen Angaben bisher nirgendws angeeckt. „Die Leute gewöhnen sich daran.“

Etikette-Expertin Angela Seidel von der Sparkasse Essen zeigt Fred van Führen (l.) und Ulrich Matenar von der Bürgerschaft Kupferdreh, was sich bei Tisch gehört – und was nicht. Foto: Bürgerschaft Kupferdreh
Etikette-Expertin Angela Seidel von der Sparkasse Essen zeigt Fred van Führen (l.) und Ulrich Matenar von der Bürgerschaft Kupferdreh, was sich bei Tisch gehört – und was nicht. Foto: Bürgerschaft Kupferdreh

„Du Angela“, diese Anrede würde Etikette-Expertin Seidel wohl viel Mühe kosten, die Fassung zu behalten. „Der erste Eindruck zählt“, weiß Seidel. Gutes Benehmen sei nicht nur Glückssache; die Weichen würden im Elternhaus gestellt. „Und dort hapert es leider häufig.“ Man müsse sich im Alltag nicht wie die britische Königin benehmen können, das erwarte niemand. „Stil und Etikette kann man lernen, aber man sollte dazu auch seinen Charakter kultivieren und vor allem sein Herz benutzen“, sagt Seidel. Denn nichts falle mehr auf, als wenn man Respekt nur vorspielt. Die Teilnehmer erfahren, wie sie sich anlassbezogen angemessen kleiden, guten Freunden und Geschäftspartnern richtig auf die Mailbox sprechen, was bei der Besteckfolge am Tisch und beim zum Büfett zu beachten ist. Für Thomas Schlichting ist vieles nicht neu. Der Manager bei UPS Deutschland weiß sich zu benehmen: „Doch niemand ist zu alt, etwas zu lernen.“ Dass bei der Frage, wer zuerst in den Aufzug steigen darf, die Hierarchie das Geschlecht schlägt, hatte er fast vergessen.

Vor der Sparkassen-Ausbildung ins Benimm-Training

Für viele junge Leute ist das aber neu. Der Essener Unternehmerverband (EUV) bietet daher seit zehn Jahren jährlich 300 Lehrlingen den Workshop „Fit für die Ausbildung“ an, der Business Knigge, Kommunikationstraining und Zeitmanagement umfasst. „Viele bekommen von zu Haus’ einfach nichts mehr mit. Aber im Beruf ist gutes Benehmen wichtig“, so EUV-Chef Ulrich Kanders.

Wer eine Lehre bei der Sparkasse beginnt, muss im Sommer ins Benimm-Training. „Es wird fester Bestandteil im Seminarprogramm“, sagt Pressesprecher Volker Schleede. Und bei den Stadtwerken? Da setzt man noch früher an. Unter dem Motto „Reden ist Gold“ verlost das Unternehmen Ende März einen Etikette- und Kommunikati­onskurs für eine Essener Klasse. „Wir wollen die Schüler vorbereiten, damit sie auf dem Ar­beitsmarkt bessere Chancen haben“, sagt Stadtwerke-Sprecher Dirk Pomplun. Denn gutes Benehmen sei erlernbar.

Etikettekurse in Kupferdreh

Bei ihren kostenlosen Etikettekursen setzt die Bürgerschaft Kupferdreh auf gutes Benehmen: Anmeldung un­ter: 51 59 62. Kurse für Jugendliche gibt es am 27. April und am 4. Mai, ebenfalls um 19.30 Uhr im Jugendhaus Plan Ku. Mehr In­fos gibt’s auf: www.buergerschaft-kupferdreh.de.