Essen. . Udo Bayer, Fraktionschef des Essener Bürger-Bündnisses, redet im Interview über Spar-Zwänge, das Rätsel der hohen Arbeitslosigkeit und das politische Klima im Rat.

Herr Bayer, worin unterscheidet sich das Essener Bürgerbündnis eigentlich von einer Partei?

Udo Bayer: Wir sind eine kommunale Wählergemeinschaft und konzentrieren uns ausschließlich auf die Stadt Essen. Wir sehen Politik nicht ideologisch, sondern auf rationaler Grundlage. Links und rechts sind in der Kommunalpolitik keine zureichenden Kriterien, sondern richtig oder falsch.

Klingt gut. Aber warum haben sie dann bei der letzten Wahl nicht mehr als 4,2 Prozent bekommen?

Bayer: Wir sind hier nun mal nicht im Süden der Republik, wo Bürgerbündnisse und Freie Wähler eine viel längere Tradition haben. Für ein Großstadt-Bürgerbündnis sind wir aber außerordentlich erfolgreich.

Mancher empfindet Sie als Ein-Thema-Fraktion in Sachen Haushaltspolitik.

Bayer: Zu Unrecht. Wir waren immer breit aufgestellt und sind es bis heute. Unser Ausgangspunkt war aber in der Tat die desaströse Haushaltspolitik in Essen, und die Sanierung der Stadtfinanzen begleitet uns bis heute und ist noch lange nicht beendet. Für ein bürgerliches Bündnis aus der Mitte der Gesellschaft sind Etat-Fragen zentral, es gilt der Grundsatz, nicht mehr auszugeben als man eingenommen hat. Gute Kommunalpolitik ist zuerst solide Haushaltspolitik.

Kann man damit Menschen begeistern?

Bayer: Von Etikettenkleberei wie „Starke Stadt“ oder ähnliches halte ich jedenfalls wenig. Wir wollen den Bürgern ihre Stadt zurückgeben, und eine Stadt, die seit 1993 permanent unausgeglichene Haushalte hat, ist keine Stadt, die den Bürgern gehört. Bis 2015 wollen wir das schaffen. Selbst dann hätten wir noch einen Schuldenstand von 3,5 Milliarden Euro bei der Stadt plus 1,5 Milliarden bei den Beteiligungsgesellschaften. Wir werden mindestens weitere zwei Jahrzehnte brauchen, um diese Schulden nennenswert zu reduzieren. Das sind erschreckende Zeiträume, die das Ausmaß der früheren Misswirtschaft belegen.

1000 Stellen sollten mal in der Stadtverwaltung wegfallen. Glauben Sie noch dran?

Bayer: Das Sparziel 1000 Stellen weniger bis 2015 ist weiter richtig. Im Moment hinken wir da weit hinterher. In den Jahren 2010 und 2011 wurde die Verwaltung nur um 87 Stellen reduziert, das entspricht nicht einmal den weitaus weniger ehrgeizigen Spar-Plänen des Oberbürgermeisters. Was bitter fehlt, ist eine Aufgabenkritik. Der neue Personaldezernent Christian Kromberg will bis Ende des Jahres detaillierte Vorschläge unterbreiten, dann kommt die Stunde der Wahrheit.

Was glauben Sie, was verzichtbar ist?

Bayer: Wir müssen weiter Parallelstrukturen abbauen zwischen Ämtern, aber auch zwischen der Kernverwaltung und den Beteiligungsgesellschaften. Wir müssen mehr Aufgaben regional erledigen, nicht jede Stadt muss alles selbst machen. Ich unterstütze auch die angekündigte Verzahnung der Sozialgesellschaften in Essen mit dem Ziel, eine Million Euro pro Jahr zu sparen. Das muss Nachahmer finden.

Warum schafft ausgerechnet die Theater und Philharmonie GmbH, was andere nicht schaffen?

Bayer: Ich kenne ja noch die Meinungen von ehedem, als allein der Gedanke bei der TuP zu sparen schon ein Sakrileg war. Nun, erstens muss man den Willen haben zu konsolidieren und zweitens Leute installieren, die das auch durchsetzen können. An TuP-Geschäftsführer Berger Bergmann können sich andere ein Beispiel nehmen.

Geht das: Sparen, ohne dass es der Bürger merkt?

Bayer: Das halte ich nun allerdings für eine Illusion. Wenn beispielsweise die so genannten Bürgerämter schließen, ist das schon zu merken.

Dennoch sind sie dafür.

Bayer: Unbedingt. Bürgerämter sind nichts anderes als Meldestellen und früher hießen die auch so. Für eine Stadt mit 570 000 Einwohnern reicht eine zentrale gut ausgestattete Stelle, denn wie oft muss man denn wirklich zur Meldestelle, um sich Ausweis, Führerschein, Pass ausstellen zu lasen? Das Aufrechterhalten so vieler so genannter Bürgerämter ist schlicht nicht nötig.

"Wir setzen uns bewusst klein" 

Neben dem Personal ist der Sozialetat ein zweiter großer Posten im städtischen Etat.

Bayer: Man muss sich die Lage mal klarmachen: Wir haben in Essen 42 000 Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften, dafür wendet die öffentliche Hand 500 Millionen Euro pro Jahr auf, die Stadt selbst zahlt 220 Millionen Euro, ganz überwiegend Kosten für die Unterkunft. Wenn es uns gelingt, die Zahl der Bedarfsgemeinschaften zu reduzieren, und sei es nur minimal, ist das ein erheblicher Beitrag zur Haushaltskonsolidierung und ein Gewinn für die Stadtgesellschaft.

Wieso hat Essen überhaupt diese enorm hohe Langzeitarbeitslosigkeit?

Bayer: Das gehört für mich zu den ungeklärten Fragen. Es gibt die Hypothese, wonach dies die Fernwirkungen des indus-triellen Strukturwandels sind. Nur: Der liegt doch 30, 40 Jahre zurück. Wer damals herausfiel aus dem Arbeitsprozess, ist doch längst in Rente oder bereits verstorben. Der Verdacht liegt nahe, dass hier familiäre Sozialhilfekarrieren entstanden sind. Hinzu kommen die Unterschiede im regionalen Vergleich. Warum ist in Bottrop die Arbeitslosigkeit um 50 Prozent geringer? Da muss einiges mal tabulos auf den Tisch des Hauses.

Als die EBB-Fraktion 14 000 Euro an Fraktionszuschüssen an die Stadt zurückgab, ergoss sich Hohn und Spott anderer Fraktionen über sie. Haben Sie was zu bereuen?

Bayer: Ganz im Gegenteil. Die Mentalität, die da zum Ausdruck gekommen ist, dass Sparen was für Dumme sei, zeigt genau, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Summe haben wir innerhalb von zwei Jahren angespart, wir hätten das auch locker ausgeben können. Wir setzen uns aber bewusst klein.

Eines Ihrer Themen ist die Bürgerbeteiligung. Ketzerisch gefragt: Können Bürger überhaupt komplexe Probleme im Detail beurteilen?

Bayer: Ich rede weder einer Entparlamentarisierung noch direkter Demokratie um jeden Preis das Wort. Mir geht es darum, notwendige Ergänzungen zu finden, die man sehr genau definieren muss. Es gibt Sachverhalte wie Finanzen, die sich nicht eignen, weil sie viel zu kompliziert sind. Aber wenn etwas völlig verfahren ist, wenn es gilt, Blockaden in der Stadtpolitik aufzulösen, dann soll der Bürger das letzte Wort haben.

Ihr diesbezüglicher Vorstoß in Sachen A 52 fand wenig Zustimmung.

Bayer: Wenn es diesen Lückenschluss geben soll, dann ist er politisch nur mit einem Ratsbürgerentscheid durchsetzbar. Natürlich müssen erst detaillierte Pläne vorliegen, ein Planfeststellungsbeschluss, vorher hat ein solches Votum keinen Sinn.

Was spricht aus Ihrer Sicht für den Fortbestand des Vierer-Bündnisses aus CDU-Grünen, FDP und EBB?

Bayer: Dem EBB ist unsere gemeinsame Verständigung auf das große Ziel Haushaltsausgleich sehr wichtig. Dann hat es wie immer in der Kommunalpolitik auch viel mit den Akteuren zu tun. Hier sind Personen beieinander, die respektvoll miteinander umgehen, eine gewisse Grundsympathie ist da. Dass die Grünen in Essen pragmatisch sind, die CDU eine urban-ökologische Ausrichtung hat, ist auch wichtig. Ich sehe für uns zum Viererbündnis keine Alternative.

EBB, Grüne und SPD – wäre das auch denkbar?

Bayer: Abgesehen davon, dass ich mir Grüne und SPD in Essen nur schwer vorstellen kann: Mit dem EBB und mit mir ist nur Zusammenarbeit auf Augenhöhe möglich. Auch in der jetzigen SPD gibt es aber noch sehr viel Epigonales der Ära Willi Nowack. Daher ist das derzeit auszuschließen.