Essen. 38 Jahre lang lebt Guido Halling im falschen Körper und spürt, dass etwas nicht stimmt. Er wird Familienvater und Oberleutnant und schließlich Frau. Ein Neuanfang.

Es war Liebe auf den ersten Blick, als Sabine Halling (46) ihrem Guido 2009 das erste Mal begegnet. Doch nur wenigen Wochen später zweifelt sie an ihrer Beziehung, weil er ein bisschen anders gewesen sei. Ein wenig zu feminin. Ob er wohl schwul ist, fragt sie sich. Und dann rettet sie ihm das Leben, weil sie beide die Lösung finden, die für ihn Transsexualität heißt. „Ohne Sabine würde ich nicht mehr leben.“

Schon in der Pubertät fühlt Guido Halling (39), dass etwas nicht stimmt. Das Machogehabe der Jungen findet er grässlich. „Ich war neidisch auf die Mädchen, die sich schminken und frisieren“. Was nicht bedrohlich klingt, steigert sich im Laufe der Jahre zu dem Entschluss, nicht mehr Leben zu wollen. Sabine Halling spürt, dass sie es allein nicht schaffen. Sie lässt nicht locker, bis er endlich einen Platz in der Klinik bekommt.

Guido Halling lebt – allerdings als Frau. Aus Guido wird Pamela. Weil er mit seiner Partnerin herausfindet, was los ist: „Ich hatte das Wort Transsexualität bis dahin nie gehört.“ Das Internet ist ihr Glück, weil sie erfahren, dass es Hilfe gibt und mehr Menschen, die so fühlen. Schließlich fragt Sabine Halling ihn einfach, ob er nicht als Frau leben möchte. Ihre Liebe ist ihm oder ihr sicher: „Der Mensch ist doch der gleiche, es ändert sich ja nur die äußere Hülle“.

Ein Jahr als Frau leben

Vor einem Jahr ziehen sie nach Essen, weil es Fachärzte am Klinikum gibt. Seitdem steht ein Therapeut Pamela Halling zur Seite. Der Gesetzgeber will, dass sie zunächst ein Jahr lang als Frau auf Probe lebt. Diesen Alltagstest hat sie im Dezember bestanden.

Das Antidepressivum ist inzwischen abgesetzt, seit dem Sommer nimmt sie Hormone. Die Brust wächst, die Geheimratsecken verschwinden, Bartwuchs und Körperbehaarung gehen zurück. Die Haut wird weicher. Damit die Stimme weicher klingt, geht die 39-Jährige zum Stimm-Training.

Ruft jemand auf der Straße: „Du siehst aus wie ein Mann“, dann ärgert sie das nicht und sie denkt: Sie haben recht. Aber es geht endlich aufwärts. Nach 38 Jahren im falschen Körper und viel Traurigkeit auf ihrem Weg. Der führt sie auch deshalb nach Altendorf, weil sie in ihrer 6000-Einwohner-Gemeinde nicht bleiben wollen. Eine hochkatholische Gegend, die einen Spießrutenlauf bedeutet hätte. Den will Pamela Halling vor allem ihren Kindern (elf und drei Jahre alt) aus erster Ehe ersparen. Die Töchter sind bei der Ex-Frau geblieben.

Sie hat damals den kleinen Vorrat an Frauenkleidern gefunden, die ihr Mann heimlich im Büro trug. „Ich habe ihr erklärt, dass da ein Gefühl ist, das ich nicht abstellen kann“, sagt Pamela Halling. Es folgt die Scheidung, aber auch tiefes Verständnis füreinander. „Wir haben uns im Guten getrennt“.

"Gemeinsam die Pubertät erleben"

Den Kindern schickt sie vor dem ersten Besuch Fotos von sich als Frau. Die Kleine wächst ganz normal damit auf, sagt Pamela Halling. Die Reaktion der Elfjährigen: „Schön siehst Du aus“. Nun durchleben sie gemeinsam ihre Pubertät. Sie lackieren sich die Nägel, gehen einkaufen (Sabine Halling: „Die pinke Phase war dramatisch.“), sind beide mal zickig oder bockig.

„Manchmal geht mir alles auf die Nerven“, sagt Pamela Halling. Und gleichzeitig ist alles so wunderschön und gigantisch. Sie genießt es zu weinen und zu spüren, dass die Traurigkeit weniger wird. „Ich muss aber weiterhin täglich an mir arbeiten, damit ich nicht wieder depressiv werde.“

Mit 18 landet sie das erste Mal in der Jugendpsychiatrie. Diagnose: Das Verhalten ist normal. Später behandeln sie die Bundeswehrärzte wegen nervösem Reizmagen. Dabei ist es damals schon der innere Druck, der immer stärker wird. Die Männerrolle macht sie fertig. „Ich habe versucht, meinem Körper gerecht zu werden.“ Viele Transsexuelle geben sich besonders männlich, weiß Pamela Halling heute. Sie meidet als Mann rote Klamotten, damit nur keiner merkt, „dass da was falsch ist“. Da kommt ihr der Arbeitgeber Bundeswehr mit seinen Uniformen gerade recht. Pamela Halling ist zwölf Jahre lang Soldat, wird Oberleutnant. Sie engagiert sich bei der Feuerwehr, wird Kommunikations-Elektroniker, Kaufmann im Einzelhandel, Elektriker und Kfz-Mechaniker. Macht sich selbstständig und arbeitet als Dozent. Nun fällt ihnen langsam die Decke auf den Kopf und die sozialen Kontakte fehlen, vom Geld ganz abgesehen. Pamela Halling hat sich als EDV-Fachkraft beworben. Daraus wird nichts, weil sie sich zu der Zeit als Frau vorstellt, laut ihrer Zeugnisse aber noch Guido ist.

Das war einmal. Von der Geburtsurkunde an gibt es keinen Guido mehr: Sie ist seit dem 21. Oktober 2011 Pamela und Frau Oberleutnant, Kauffrau, Elektrikerin und Ehefrau.

Geheiratet haben Sabine und Pamela Halling bereits vor einem Jahr: beide in Frauenkleidern. Die Standesbeamtin sagt nur im offiziellen Satz Guido, erinnern sich beide dankbar. Dann die Hochzeitsreise: vom Gildehof nach Altendorf. „Wir waren so blank wegen der Gebühren, dass wir uns nicht mal eine Fahrkarte kaufen konnten“, erzählt Sabina Halling lachend. „Ach, war das schön.“

Operation zur Frau ist noch nicht entschieden

Dank einer Gesetzesänderung bleibt ihre Ehe jetzt eine Ehe, auch wenn sie nun beide weiblich sind. „Früher wurde man zwangsgeschieden“, sagt Pamela Halling. Ob sie sich tatsächlich zur Frau operieren lassen will, das ist im Moment nicht wichtig. Es zählt, „dass ich mich nun immer mehr dem angleiche, was ich bin“.

Sie donnert sich nicht auf, schminkt sich nur wenig. „Ich will nicht von einer Maskerade in die nächste fallen.“ Die Haare sind wieder kurz, weil sie den ewigen Kampf mit der Rundbürste leid war. „So schlecht sehe ich doch so gar nicht aus“, sagt sie, lächelt entspannt und erzählt von einem Freund, der seinen Besuch absagte, aus Angst Guido zu sagen. „Unsinn“, sagt die 39-Jährige. Das gehe nicht von heute auf morgen. Bei ihr doch auch nicht, alle anderen brauchen ebenso Zeit.

Die anderen, das sind nicht mehr viele. „Ich vermisse die Freunde“, sagt Pamela Halling. In ihrer Heimat habe sich ihr Wandel natürlich herumgesprochen. Weder von der Bundeswehr noch von ihren Feuerwehrkameraden habe sich einer gemeldet. Abgebrochen ist auch der Kontakt zu den Eltern. Neue Bekannte lernen die beiden zurzeit über das Internet kennen und hauen denen die Wahrheit gleich um die Ohren. Ihre Vermieterin haben sie kürzlich zum Kaffee eingeladen. „Eine herzliche Frau, die vier Stunden blieb.“

„Meine vier Kinder können inzwischen alle damit leben“, sagt Sabine Halling. Einer ihrer Enkel zeigt von Anfang an ein ganz besonderes Gespür: Er sagt schon immer Oma Guido. Jetzt sind Sabine und Pamela Halling zum fünften Mal Oma und Oma geworden, erzählen sie stolz.

Ihren Töchtern hat Pamela Halling offen gelassen, was sie sagen möchten. Daher ist sie Zuhause Papa und draußen Pamela. „Ich kann die Vergangenheit nicht zurückdrehen, ich bleibe halt Papa.“

Für Sabine Halling ist sie der Traum jeder Frau: „Ich fühle mich wie eine Prinzessin.“ Mit einem Wahnsinnsspaß und eingemeißeltem Grinsen fege und wische Pamela ständig durch die Bude. Sie reißt sich ums Bügeln und Kochen. „Das ist manchmal unheimlich.“ So harmonisch alles klingen mag, wollen beide doch am liebsten so schnell wie möglich Arbeit finden, „um wieder im Leben zu stehen“ und ein ganz normales Leben zu führen, in dem sie jetzt „jeden Tag ein wenig glücklicher werden“.