Essen. .

Seit Besitzer Ralf Zöller das Schild „Pächter gesucht“ vor dem Ausflugslokal „Heimliche Liebe“ aufgestellt hat, steht sein Telefon nicht mehr still. Vom Gastronom aus Sylt bis zur Architektin aus New York hat jeder seine eigene Vorstellung, was aus dem Haus wird.

Um die „Heimliche Liebe“ reißen sich alle. Ein Gastronom aus Sylt hat schon angerufen, und eine Schauspielerin aus Köln, die was ganz Besonderes daraus machen will, und eine Architektin aus New York war auch schon da mit Umbauplänen. „Seit ich das Schild ,Pächter gesucht’ aufgestellt habe“, erzählt Besitzer Ralf Zöller (46), „steht mein Telefon nicht mehr still.“ Die „Heimliche Liebe“ ist nicht irgendein Ausflugslokal. Es ist die „Heimliche Liebe“. Sie zaubert jungen und alten Essenern den gleichen feinen Glanz ins Gesicht.

Schauplatz von Kindheitserinnerungen

Generationen von Bürgern haben hier sonntags Erdbeerkuchen mit Sahne vertilgt und anschließend Minigolf gespielt. Oder umgekehrt. Die „Heimliche Liebe“ ist für viele Bürger der Schauplatz von Kindheitserinnerungen, von Familienkaffeetafeln unter imposanten Ahornbäumen. Zahllose Paare haben hier Hochzeit gefeiert mit Blick auf die Villa Hügel und das Stauwehr.

Und trotz ihres gewaltigen Kitsches, den sie hat mit ihren Holzschnitzereien an den Wänden, und trotz ihres „Draußen-nur-Kännchen“-Charmes, und trotz dieser Heimatfilmkulisse im Hintergrund mit den sanften Ruhrhügeln und den Pferdekoppeln vor der Tür, und trotz dieser holprigen Reim-Folklore im Namen: „Kein Feuer, keine Kohle kann brennen so heiß als Heimliche Liebe, von der niemand nichts weiß“: Trotz alldem wird die „Heimliche Liebe“ von allen geliebt. Wahrscheinlich: Nicht trotzdem. Sondern genau deshalb.

Der letzte Pächter packte im April seine Sachen

Selbst die Hippies mochten diesen Ort, damals in den Sechzigern, erzählt man sich heute, der ganzen Schonkaffee-Biederkeit zum Trotz; an den Wochenenden versammelten sich hunderte unter der Wiese an der „Heimlichen Liebe“ und rauchten Haschisch, obwohl der Blick auf den See eigentlich genügend betört. Die Stadt kam auf die Idee, die Wiese zu bepflanzen mit Büschen und Bäumen. Es muss ein Weilchen gedauert haben, bis die Hippies weg waren, aber vielleicht hatte man damals noch mehr Zeit für alles. Jedenfalls waren die Hippies irgendwann verschwunden, und die Bäume sind jetzt groß.

Bilder aus vergangenen Zeiten: Die „Heimliche Liebe“ zog schon immer Gäste aus allen gesellschaftlichen Schichten an. Repro: Maren Winterfeld
Bilder aus vergangenen Zeiten: Die „Heimliche Liebe“ zog schon immer Gäste aus allen gesellschaftlichen Schichten an. Repro: Maren Winterfeld © WAZ FotoPool

Gäste sind gerade auch keine da. Im Moment. „Der letzte Pächter hat im April aufgegeben“, sagt Besitzer Ralf Zöller. „Der harte Winter hat ihn niedergestreckt.“ Als die Straßen über Wochen nicht geräumt wurden, wollte niemand mehr kommen. Zöller kennt Ausflugslokale in Essen, die an Weihnachten 80 Prozent Absagen hatten, nur wegen des Wetters. „Selbst im Sauerland sind einige Gastronomen in diesem Winter in die Knie gegangen.“

Für die „Heimliche Liebe“ hat er derzeit eine Zwischenlösung gefunden; es wird mitbetrieben von den Gastronomen, die auch das Café „Zur Platte“ managen. Trotzdem kann die „Heimliche Liebe“ derzeit nur unregelmäßig öffnen, es fehlt genügend Personal. Und das im Mai. „Kaum vorstellbar“, sagt Zöller, „aber es ist so.“ Angebote von erfahrenen und weniger erfahrenen Gastronomen, die „Heimliche Liebe“ zu neuer Blüte zu bringen, gibt es zuhauf. Zöller will in Ruhe entscheiden. „Das kann man nicht übers Knie brechen, das muss in aller Ruhe überlegt werden.“

Die „Heimliche Liebe“ betörte schon Alfred Krupp

Es kamen Leute, erzählt der Gastronom, die betraten die „Heimliche Liebe“ und erstarrten vor Verzückung: „Nichts verändern. Alles so lassen, wie es ist.“ Man muss eine Vorliebe für dunkel furniertes Holz und Messinglampen haben, um so zu empfinden.

Von Alfried Krupp bis zum Hippie suchen die Menschen dort Erholung. Repro: Maren Winterfeld
Von Alfried Krupp bis zum Hippie suchen die Menschen dort Erholung. Repro: Maren Winterfeld © WAZ FotoPool

Die „Heimliche Liebe“ entstand Anfang des 20. Jahrhunderts, ein alter Bauernhof wurde zur Milchwirtschaft umgebaut. Später, Anfang der 50er-Jahre, kam ein Anbau hinzu. Die Legende will, dass Alfred Krupp just an jenem Platz stand, an dem jetzt das Ausflugslokal ist – und befand: Dort drüben, einige Hügel weiter westlich, wolle er die Villa Hügel bauen. Naja, und von „Heimlichen Lieben“, die er dann in der „Heimlichen Liebe“ traf, erzählt man sich auch. Ist aber alles nur, wie gesagt: Legende. Dem Café, das übrigens auch genau vier Hotelzimmer hat, hat das nicht geschadet. Sagen wir es mal so. Sie haben es direkt ins Vorwort der Speisekarte gedruckt, das mit der Krupp-Legende. Ansonsten: Hausgemachte Kuchen, Schnitzel „Florentiner Art“ mit Blattspinat (16,90 Euro), Kännchen Kaffee vier Euro. Gestärkte Tischdecken im Café, und an der Bar eine bronzene Schiffsglocke, hinterm Tresen in den Regalen CDs von James Last.

Neuer Frühling für die heimliche Liebe

Was soll Zöller tun? Der Architektin aus New York den Vortritt lassen? Glas, Stahl, kühles LED-Licht – das war ihre Version von Ausflugsgastronomie im Jahre 2011. „Sowas“, sagt Zöller, „würde es in der Region kein zweites Mal geben.“ Oder doch lieber weiter auf Tradition setzen? Tanztee anbieten, vielleicht? „So ein klassisches Tanzlokal hat Essen ja nicht mehr“, sagt Zöller und erinnert an die „Südtiroler Stuben“ am Burgplatz. Heute ist dort die VHS.

Zöller schaut aus dem Fenster. Mit der Entscheidung will er sich Zeit lassen. „In Ruhe. Es gibt keinen Königsweg.“ Der Mai ist bald um, der Sommer ist längst angebrochen. Für die Heimliche Liebe soll es ein neuer Frühling werden.