Essen-Rüttenscheid. . Anwohner der Baumstraße sind besorgt. Die Stadtwerke wollen das Umfeld ihrer Firmenzentrale neu gestalten. Doch dafür müssen sie Häuser abreißen, in denen seit Jahren und Jahrzehnten Mieter leben - die eigentlich gar nicht weg wollen.

Seit 51 Jahren lebt Gertrud Burau in der Baumstraße. Sie sah Nachbarn kommen und gehen. Doch Gertrud Burau blieb. Sie fühlte sich hier stets zu Hause. Jetzt aber, mit 83 Jahren, muss sie weg. Ihr Haus, in dem sie zur Miete wohnt, wird abgerissen. Das haben ihr die Stadtwerke schriftlich gegeben als neue Besitzer des Hauses. Sie wollen im Umfeld ihrer neuen Zentrale Hotellerie, Gastronomie und hochwertigen Wohnraum etablieren.

Das ganze Areal soll neu gestaltet werden. Burau las, dass schon im Frühjahr 2011 die Bagger anrollen werden, um die ersten Häuser dem Erdboden gleichzumachen. Ein Auszugsdatum hat sie noch nicht, wohl aber die schriftliche Aufforderung: „Wir bitten Sie um Freizug der Ihrerseits angemieteten Wohnräume!"

Das Ausrufezeichen wäre gar nicht nötig gewesen. Der Schock kam auch so. Seit dem Erhalt dieses Schreibens sind die Mieter besorgt. „Wie kann es denn sein, dass wir so rechtlos sind?“, fragt eine Nachbarin, die seit acht Jahren in dem Haus wohnt. „Am Ende“, befürchtet sie, „stehen wir auf der Straße.“

„Wir dachten, schlimmer könne es nicht mehr kommen“

Doch wozu das Ganze? Im April 2008 wurde aus dem ruhigen Hinterhof der Häuser an der Baumstraße eine Baustelle. Die Stadtwerke ließen dort für 30 Millionen Euro einen Erweiterungsbau ihrer Firmenzentrale entstehen. Bezogen wurden die neuen Räumlichkeiten im September 2010. „Krach, LKW und Dreck – wir haben einiges mitgemacht“, sagt Burau. „Wir dachten, schlimmer könne es nicht mehr kommen.“

Doch es kam schlimmer. Mitte September erreichte die Mieter ein erstes Schreiben der Stadtwerke, die sich darin als neuer Hauseigentürmer vorstellten. Man entschuldigte sich höflich für die Unannehmlichkeiten der Bauzeit, und verblieb – mit freundlichen Grüßen – in der Hoffnung auf ein weiterhin „angenehmes Mietverhältnis.“ Es folgte im Dezember eine Einladung zum Kaffeeklatsch im gläsernen Erweiterungsbau, bei dem man sich als neuer Eigentümer vorstellen wolle.

Die erwartete zwanglose Plauderei mit den neuen Vermietern wurde ein einschneidendes Erlebnis, denn die Abrisspläne wurden erstmals offen kommuniziert. Es folgte die erwähnte „Bitte um Freizug“ an die Mieter der Baumstraße 10 im Januar.

Stadtwerke dementieren den Vorgang

Das weitere Vorgehen konkretisierte eine Stadtwerke-Mitarbeiterin: Man werde mit Hilfe des Allbaus „bemüht sein“ bei der Suche nach „adäquatem Wohnraum“ unterstützend tätig zu werden und auch für die Kosten für Umzugsunternehmen, Installations- und Elektroarbeiten werde man aufkommen.

Obwohl sie den Mietern all diese Informationen schon schwarz auf weiß gegeben haben, dementieren die Stadtwerke auf Anfrage fast den ganzen Vorgang. Man habe mit dem Allbau noch gar keinen Kontakt aufgenommen; konkrete Überlegungen, wie die Mieter bei einem Umzug unterstützt werden können, gebe es auch noch gar nicht. Überhaupt sei das weitere Vorgehen noch völlig offen und es bestünde kein Grund zur Sorge, man werde auf jeden Fall „sozialverträglich“ vorgehen. „Fest steht nur, dass das Gebäude Nummer 16 im Laufe des Jahres abgerissen wird“, so Stadtwerke-Sprecher Dirk Pomplun. und bekräftigt auf Nachfrage: „Alles weitere ist offen.“

Die Mieter hoffen nun auf Unterstützung. Sie fordern den versprochenen „adäquaten“ Wohnersatz: Guter Zustand, zentral, und vor allem bezahlbar. „Aber das müssen Sie erstmal irgendwo finden“, sagt eine Mieterin.