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Die Motive der Erwachsenen, ihr Abitur auf dem Ruhr-Kolleg nachzuholen, sind unterschiedlich. Viele langweilen sich im Berufsalltag und sehen: Ohne Abi geht es auf der Karriereleiter nicht weiter. Ein Besuch bei der Entlassfeier.
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Kathrin Kelemen hat ihr Abitur mit 26 Jahren geschafft – auf dem zweiten Bildungsweg, wie die sperrige Bezeichnung heißt. Das Ruhr-Kolleg in Huttrop ist eine Tagesschule für Erwachsene wie Kelemen, die sich nach einer Berufsausbildung oder einer mindestens zweijährigen Berufstätigkeit noch mal entschließen, die „Schulbank“ zu drücken.
Notendurchschnitt 1,1 steht auf Kelemens Abiturzeugnis. Sie ist die Beste des Jahrgangs. Im Hintergrund plärrt ein Lady-Gaga-Song aus den Boxen, den sie sich für die zeremonielle Zeugnis-Übergabe gewünscht hatte. Nach der Realschule begann die 26-Jährige aus Bedingrade eine Ausbildung als Kauffrau für Verkehrsservice. Doch als sie im Kunden-Center Fahrkarten ausstellte, fragte sie sich: „Soll das alles gewesen sein, will ich das für den Rest meines Lebens machen?“ Sie entschloss sich, ihr Abitur nachzuholen.
Aufstieg ohne Abi?
„Eine gute Entscheidung, es war eine tolle Zeit“, sagt sie und blickt stolz zurück auf die vergangenen beiden Jahre. Durch die Zeit am Berufskolleg habe sie gemerkt, dass ihre wahre Leidenschaft die Natur und Umwelt sei. Zum nächstmöglichen Termin wird sie ein Biotechnologie-Studium in Berlin beginnen. Der Numerus Clausus dürfte kein Problem werden.
Emotionaler Abschied vom „Partysemester“
60 Studierende haben 2008 am Berufskolleg begonnen, 18 haben nun ihr Abiturzeugnis erhalten. Das „Partysemester“, wie Stufenleiterin Silke Kreft den Jahrgang nannte, saß während der Woche von 8 bis 15 Uhr in den Klassenräumen, während die meisten Gleichaltrigen arbeiteten. Damit sich die Berufskolleg-Studierenden das auch leisten können, gibt es finanzielle Unterstützung vom Staat, sogenanntes Studierenden-BAföG – im Unterschied zum Studenten-BAföG sei es darlehensfrei, sagt Schulleiter Rolf Dieler; man müsse es nicht zurückzahlen. Zum Abschluss gab es Gänsehaut und viel Applaus: Abiturient Ingo Schädlich sang eine intime und intensive Version von „Bittersweet Symphony“ (The Verve) in Begleitung seiner Freundin Anna an der Brügge.