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Weihnachten ist das Fest der Familie, die Zeit, die man am liebsten mit seinen Lieben verbringt. Doch nicht alle Kinder feiern mit Mutter und Vater gemeinsam unterm Weihnachtsbaum. Ein Besuch im städtischen Kinderheim Funkestiftung.

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Von DerWesten

Dutzende Geschenke sind unter den drei opulent geschmückten Weihnachtsbäumen drapiert. Durch die zahlreichen Fenster des riesigen Saals schaut man in den von Schnee überzuckerten Garten. Ein stimmungsvoller Anblick, der den Betrachter fast vergessen lässt, wo er gerade ist - im städtischen Kinderheim der Funkestiftung.

„Weihnachten ist für mich Familie“, sagt die etwas verschüchtert wirkende 17-Jährige, die in diesem Bericht gerne Milaine genannt werden möchte. Vor zwei Jahren fand sie in einer der sechs Wohngruppen ein neues Zuhause. Sie habe einen der schönsten Räume bekommen, schön gemütlich direkt unterm Dach, erzählt sie stolz. Wie alle anderen Mädchen in ihrem Alter gibt sie ihr Taschengeld am liebsten für Klamotten aus. In ihrer Freizeit fährt sie ab und zu in den „Gelben Elefanten“, eine Diskothek in Mülheim. Oder sie nimmt die Angebote des Freizeit-Pädagogen Marco an. Billard, Eislaufen, Kanu im Sommer - langweilig wird es eigentlich nie. Warum sie hierher kam? Milaine schlägt die Augen nieder, sammelt sich. In zwei knappen Sätzen schildert sie leise ihre Vergangenheit. Der drogenabhängige Freund ihrer geschiedenen Mutter habe sie geschlagen. Dann bekam ihr Vater das Sorgerecht, mit dessen neuer Frau sie sich aber nicht verstanden habe. Nun lebt sie hier.

„Jedem Kind stehen von der Stadt 40 Euro für Geschenke zu“

Es ist eines von vielen Schicksalen, denen sich Heimleiter Hermann Hammersen und sein Team annehmen. Rund 50 Kinder und Jugendliche zwischen acht und 18 Jahren leben in dem Kinderheim, jeder Einzelne von ihnen mit seiner eigenen, leidvollen Geschichte. Die kocht im Kinderheim immer wieder hoch: „Die Narben auf den Seelen bringen Verhaltensauffälligkeiten mit sich“, sagt Hermann Hammersen. Um den Alltag zu erleichten, sollen die kleinen Wohngruppen „familienähnliche Verhältnisse“ schaffen. Zu Weihnachten verbringt ein Großteil der Kinder und Jugendlichen die Zeit aber zu Hause. Milaine freut sich schon darauf, dass „alle wieder zusammenkommen“. Am ersten Weihnachtstag ist sie mit ihrer Mutter bei der Oma, den zweiten verbringt sie bei Papa. Ihre Mutter habe aus den Fehlern gelernt, sich von ihrem Lebensgefährten getrennt. Deswegen stehen die Chancen nicht schlecht, dass Milaine nächstes Jahr wieder zu ihr zurückziehen kann.

Heimleiter Hermann Hammersen. Foto: Joachim Kleine-Büning
Heimleiter Hermann Hammersen. Foto: Joachim Kleine-Büning © WAZ FotoPool

Verständlich, dass die echten Herzenswünsche der Kinder und Jugendlichen nicht materieller Natur sind. Ein paar Kleinigkeiten gibt es dennoch. „Jedem Kind stehen von der Stadt 40 Euro für Geschenke zu. Darüber hinaus haben sich mehrere Unternehmen an der Weihnachtsbaum-Aktion beteiligt und Päckchen vorbeigebracht. So bekommt jedes Kind drei Geschenke“, sagt Hermann Hammersen. Mitgefühl und Spendenbereitschaft nehmen in der Weihnachtszeit manchmal groteske Züge an, weiß der 55-Jährige: „Einige Menschen rufen bei uns an und wollen an Heiligabend ein Kind aufnehmen. Das ist zwar gut gemeint, aber natürlich nicht machbar.“ Dabei können nicht alle jungen Bewohner Weihnachten im Kreis ihrer Verwandtschaft feiern. Ein kleiner Rest wird auch die Feiertage im Kinderheim verbringen. „Die Verhältnisse in einigen Familien lassen den Kontakt einfach nicht zu“, erklärt Hammersen.

„Ein Moment des Luftholens“

Mit Weihnachtsessen und kleinen Bescherungen innerhalb der Wohngruppen steht die gesamte Woche bereits ganz im Zeichen des Festes. Milaines Gruppe etwa war in einem Restaurant in Werden, „wo wir mal so richtig verwöhnt wurden“, sagt die 17-Jährige. „Für uns sind diese Weihnachtsfeiern immer ein Moment des Luftholens. Die Vorweihnachtszeit ist bei uns stressig wie bei allen anderen auch, die Kinder sind sehr aufgekratzt“, hat Hammersen beobachtet. Auch Milaine ist schon aufgeregt und freut sich auf die Tage zu Hause. Ihr guter Vorsatz fürs Jahr 2011? Erstmal den Hauptschulabschluss nachholen und dann die hingeworfene Ausbildung zur Hauswirtschafterin wieder aufnehmen. Ihr größter Wunsch aber ist es, zurück zur Mutter zu ziehen. Die Zeit im Kinderheim sei schön gewesen, sie habe sich ernst genommen gefühlt. Eine Familie aber kann es nicht ersetzen.