Essen.

Kritiker bezeichnen es als „Spekulationsgeschäft auf Kosten der Steuerzahler“: Das Finanzengagement der Stadt Essen mit Schweizer Franken sollte eigentlich Geld sparen, könnte nun aber einen zweistelliger Millionenverlust in der Bilanz bringen.

Auf sein Mobiltelefon hat sich Lars Martin Klieve, seit knapp einem Jahr Kämmerer der Stadt Essen, extra eine Spezialanwendung des Börseninfodienstes Bloomberg hochgeladen: Damit kann er das Auf und Ab des Euro an den internationalen Finanzmärkten minutengenau verfolgen.

Warum sich der 40-Jährige gelernte Bankkaufmann jetzt in Essen überhaupt mit chaotischen Kurs-Kurven herumplagen muss, liegt an einem dicken Finanzengagement der Stadt mit Schweizer Franken, das Kritiker als „reines Spekulationsgeschäft auf Kosten der Steuerzahler“ geißeln.

Billig Geld einkaufen

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Von DerWesten

Damit wollte Essen eigentlich Geld sparen; jetzt aber droht der Stadt zwar erst einmal kein realer, aber ein buchhalterischer Bilanzverlust in zweistelliger Millionenhöhe.

Worum geht es? Wer wie die Stadt mit über drei Milliarden Euro verschuldet ist, bei dem müssen öfter alte Kredite durch neue abgelöst werden, die möglichst günstiger sein sollten. Billig Geld einkaufen kann man als Kämmerer, wenn man Kredite im japanischen Yen oder in Schweizer Franken aufnimmt. Hier liegt der Zins seit langem niedriger als bei Euro-Darlehen.

Die Krux: Bei der Aufnahme der Kredite muss man die Fremdwährung in Euro wechseln, bei der Ablösung der Kredite geht’s umgekehrt zu. Je stärker die Kursschwankungen zum Euro, desto größer ist beim Hin- und-Her-Geschäft das Risiko von Kursverlusten. „Die japanische Wirtschaft verharrt seit 20 Jahren in einer Deflationsphase, das ist mir zu unsicher, deshalb machen wir keine Geschäfte mit dem Yen, obwohl der Zins noch billiger ist als mit Franken“, sagt Klieve. Schon vor acht Jahren hatte sich die Stadt daher entschieden, Kredite nur in Franken aufzunehmen - ausdrücklich erlaubt durchs NRW-Innenministerium. Denn der Franken lag stets recht stabil zur D-Mark und zum Euro.

Schritt für Schritt hat die Stadt aber nun schon fast zehn Prozent ihrer Schulden in Franken aufgenommen: Fast 300 Millionen Euro. Durch den um 0,5 Prozentpunkte niedrigeren Zins spart man so 1,5 Millionen Euro im Jahr. Im Schnitt engagierte sich die Stadt, als ein Euro noch 1,50 Franken Wert war. Doch die Finanzwirren der letzten Zeit drückten den Euro tief ins Minus, aktuell erhält man für einen Euro nur 1,30 Franken, ein Abschlag von 15 Prozent.

„Ich werde da nicht panisch“

Würde Klieve also Franken-Kredite durch Euro-Darlehen ablösen, müsste er nun 15 Prozent mehr zahlen als er bekommen hatte. Insgesamt gerechnet käme man so auf mindestens 16 Millionen Euro Verlust - Zinsvorteil ade. „Aber das machen wir natürlich nicht. Wir verlängern die Franken-Kredite einfach in Franken weiter und genießen den Zinsvorteil“, sagt Klieve. „Ich werde da nicht panisch, sondern vertraue darauf, dass sich der Euro stabilisiert, und wir wieder über Wasser auftauchen.“ Sollte sich der Euro aber bis Jahresende nicht erholen, muss die Stadt erst einmal den Verlust bilanzieren und ausgleichen, da der Marktwert am 31. Dezember zählt.

Für Stadtkämmerer ein peinlicher Vorgang, doch diese befinden sich schon länger in der Zwickmühle: Sie müssen Kosten senken auch mit modernen Finanzinstrumenten, gehen dabei aber höhere Risiken ein. Wenn dann etwas schief läuft, steht ein Kämmerer schnell als Hasardeur dar.

So haben sich 2008 mit risikoreichen Spezial-Zinstausch-Derivaten („Spread-Ladder-Swaps“) die Städte Hagen mit 28 Millionen Euro, Remscheid mit 19 Millionen und Mülheim mit 6 Millionen ins Skandal-Minus manövriert. „Mir wurde so etwas schon als Gelsenkirchener Kämmerer angeboten: Wenn es gut geht, kann man viel Geld machen, wenn es schlecht läuft, rauscht es aber unglaublich in die Tiefe. Das ist zu heikel. Es geht schließlich um Steuergelder“, sagt Klieve.

SPD kritisiert spekulativen Derivat-Handel

Wie einfach war das für Kämmerer früher: Sie nahmen wie jeder Häuslebauer Darlehen mit einem sicher festgelegten Zins für zehn Jahre auf - und damit basta. „Doch letztendlich ist das auch eine Spekulation“, meint Klieve. Etwa, dass sich der Zinssatz am Markt nach Abschluss des Zehn-Jahres-Vertrages nicht deutlich verbilligt. Und zudem war es im Rückblick teuer: Die Kämmerer wären nach 1945 billiger gefahren, wenn sie ihre Kredite immer zu täglich variablen Zinsen eingekauft hätten, denn diese lagen im Schnitt sehr viel tiefer.

Deshalb nutzt die Essener Kämmerei Derivate, um längerfristig festgelegte höhere Zinsen in kurzfristige billigere zu tauschen. „Das ist ein gutes Geschäft bei angemessenem Risiko“, schätzt Klieve. Essen benutzt dabei zwar nicht die Abart der Zinstausch-Derivate, also die heiklen Spread-Ladder-Swaps, aber eben doch Swaps, nämlich die weniger risikobehafteten Basis-Swaps.

Was Kritiker wie den Rellinghauser SPD-Mann Peter Lankes auf den Plan ruft, der ein konservativeres Geschäftsgebaren fordert. Solch ein Derivathandel sei zu spekulativ und könne Verluste von bis zu 2,5 Millionen Euro pro Geschäft auslösen. „Da wird mit unserem Geld gespielt. Das darf nicht erlaubt sein.“