Essen. .

Das Hotel „Warten auf den Fluss“ ist eines des skurrilsten Kunstprojekte der Kulturhauptstadt - und obendrein ausgebucht. Über 300 Gäste buchten bislang eine Nacht auf einer Holzbrücke zwischen Emscher und Rhein-Herne-Kanal.

Urlaub in Essen-Karnap: Im Hotel „Warten auf den Fluss“ ist das möglich. Foto:
Urlaub in Essen-Karnap: Im Hotel „Warten auf den Fluss“ ist das möglich. Foto: © Robert Mensing/Emscherkunst

„Und, wo machst du Urlaub?“ – „In Essen-Karnap.“ Meine Freundin erntete ungläubige Blicke, als sie sich mit diesen Worten in die Ferien verabschiedete. Und doch ist es genau so, und allein sind wir auch nicht. Über 300 Gäste buchten bislang eine Nacht auf einer Holzbrücke zwischen der stinkenden Emscher und dem Rhein-Herne-Kanal, ganz in der Nähe vom alten Hafen Mathias Stinnes. Auch wir haben uns auf das Natur-Kunst-Abenteuer eingelassen. Eine Lehrerin, zwei Architekten und ich. Wir sind gekommen, um zu warten.

Einschlafen mit Geruch

Die Brücke schlängelt sich abseits des Radweges im Zickzack durch die Gras- und Baumlandschaft der „Emscher-Insel“. Sie liegt auf dem Trockenen, nach etwa 40 Metern bricht sie unvermittelt ab. „Warten auf den Fluss“ haben die niederländischen Künstler der Gruppe Observatorium ihren Beitrag zur Emscherkunst genannt. Denn 2020 soll die renaturierte Emscher genau dort entlang fließen, mäandrierend in wiederbelebter Natur-Idylle.

Noch stinkt’s, da gibt es nichts zu beschönigen. Der üble Geruch der Emscher zieht auch durch die Ritzen des puristischen Bauwerks. Es ist komplett aus Bauholzbohlen aus dem Rotterdamer Hafen gezimmert. Vom Brückensteg gehen sechs Pavillons ab, zwei zum Schlafen, zwei zum Essen und Wohnen, eine Küche, ein Bad mit Donnerbalken. Noch beim Einschlafen steckt uns der Kloakenmief in der Nase. Aber der Ausblick aus dem Panoramafenster entschädigt. Wilde Wiese, fressende Kaninchen und die Überbleibsel eines abgestorbenen Baumes. Keine Idylle. Die Szene gleicht eher einer Filmkulisse, je nach Wetter der eines Horrorfilms oder einem Streifen mit Lagerfeuerromantik.

Bei unserer Ankunft, herrscht reger Verkehr. Touristen aus Holland, Spanien, Japan sind da - und Anwohner, die stolz ihre Umgebung präsentieren. Ob sie das früher – vor der Emscherkunst – auch schon gemacht haben? Einige kommen zu Fuß, die meisten per Rad. „Keine Zeit“, ruft einer, als ihm der Projekt betreuende Student Details erklären will. Ein Rennfahrer unter den Kunsttouristen: Er muss die geplante Strecke absolvieren, entspannende Minuten auf den breiten Holzbänken, die als Brückengeländer fungieren, halten nur auf. Er hat keinen Blick für die Sichtachsen des klug konstruierten Bauwerks oder für die Einträge ins Gästebuch. „Das schönste Wartezimmer der Welt“, schreibt zum Beispiel eine Besucherin.

Riesiges Interesse verblüfft sogar Kurator

90 Euro kostet die Nacht pro Person (bei Gruppen ab vier Gästen 75 Euro). Das ist kein Pappenstiel. Aber das Interesse ist groß, die Nächte sind ausgebucht, es gibt bereits Wartelisten. Unter den Brückenhotelgästen sind Künstler, Architekten, Landschaftsplaner, Fotografen und Studenten, die Workshops abhalten. Ihnen – wie uns – mag man ein berufsbedingtes Interesse unterstellen. Aber etwa zur Hälfte seien es auch „Privatmenschen“, sagt Gästebetreuerin Regina Sasse. Die feiern auf der Brücke Geburtstag, Hochzeitstag oder Junggesellenabschiede.

„Warten auf den Fluss“ hat sich zu einem der populärsten Projekte der Emscherkunst entwickelt. Das hätte selbst Kurator Florian Matzner nicht erwartet. Kunst im öffentlichen Raum müsse einen Ort zum Sprechen bringen, sagt er „Warten auf den Fluss“ erfüllt diese Anforderung auf faszinierende Weise, unspektakulär, aber vielsagend. Der Anlass der Emscherkunst, auf den Emscher-Umbau aufmerksam zu machen, erklärt sich an diesem Ort selbst.

Am Abend wird es ruhig, wenn nicht gerade ein Partyschiff mit Schlagermusik über den Kanal schippert. Die Brücke gehört jetzt uns. Essen vom Gelsenkirchener Ziegenmichelhof, Wein, Lagerfeuer, Reden, Schweigen. Regen vertreibt die Mücken. Die Nacht im Kunstwerk hat keine neuen Menschen aus uns gemacht. Aber wir haben uns endlich mal wieder Zeit genommen, unsere Umgebung genauer kennenzulernen.