Essen.

In der Sommerpause ist es beim 2,5 Milliarden Euro schweren Wettbewerb der Ruhrgebietsstädte um den deutschlandweit einzigartigen Titel „Innovation City“ ein wenig ruhig geworden. Doch jetzt läutet Essen die heiße Phase ein.

Denn das 20-köpfige Essener Projektteam muss schon in knapp zwei Monaten die Jury des Wettbewerbs-Initiators „Initiativkreis Ruhr“ mit ihrer Bewerbung überzeugen - und die vier verbliebenen Konkurrenten, die Städte Bottrop, Mülheim, Bochum und Gelsenkirchen/Herten mit ihrem Entwurf aus dem Feld schlagen.

Dabei soll in der Bewerbung eine Vision entwickelt werden, wie innerhalb von zehn Jahren mit neuesten Technologien ein stinknormales Wohn- und Industrie-Mischgebiet des Ruhrgebiets entwickelt werden kann – zu einem weltweiten Vorzeige-Stadtteil an Energie-Effizienz und Klimaschutz mit hoher Lebensqualität.

„Das ist eine Zukunftsaufgabe für Essen und für ganz Deutschland. Was wir verändern wollen, betrifft sämtliche Lebensbereiche - und es geht auch darum, ob Bürger gerne hier in Essen leben“, macht Oberbürgermeister Reinhard Paß „Innovation City“ zu seinem zentralen Arbeitsprojekt.

Als Pilotgebiet hat Essen die Stadtteile Altendorf, Frohnhausen sowie das West- und Nordviertel ausgesucht. Und weil der Wettbewerb ein wenig darunter leidet, dass sich normale Bürger kaum etwas Konkretes unter der Idee vorstellen können, lud das „Innovation-City-Team“ Paß und Journalisten am gestrigen Donnerstag ein, Vorzeigeprojekte in den Vierteln zu besichtigen.

So sieht sich die Universität Duisburg/Essen unter Leitung des Nachhaltigkeitsbeauftragten Ulrich Schreiber in der Pflicht, Vorbild für Studenten im Umgang mit wertvollen Ressourcen zu sein.

Elektrorad für Studis

„Wir können nicht Solarstrom predigen und Atomstrom verbrauchen“, sagt Schreiber, der die Uni in Zukunft als „Green Urban Campus“ sieht. Da sind dann alle Unigebäude aus den 70er Jahren wärmegedämmt, auf den Flachdächern erzeugt man mit Solarzellen und vertikalen Windrotoren Strom, das Licht in den Fluren geht nur per Bewegungsmelder an, Studenten wohnen in der Nähe und fahren Rad. Und mit dem selbst erzeugten Ökostrom geladene Leih-Elektroräder darf jeder Student benutzen, um auf den neuen Radwegen zwischen den Campi in Essen und Duisburg zu pendeln.

Der Uni-Leitung schwebt jedenfalls eine „Sanierung als Leuchtturm für Essen“ vor. An den Gebäuden sollen nach Vorstellungen von Prorektor Michael Farle sogar Erfindungen der eigenen Professorenschaft ausprobiert werden: Etwa Nanotechniken oder ausrollbare Photovoltaik-Matten - Prototypen für die Welt.

Hirtsiefer-Siedlung

Ortswechsel Altendorf, Hirtsiefer-Siedlung: Klaus Grewer, Vorstand der Wohnungsgenossenschaft Essen-Nord, hat hier die Wohnungen für über fünf Millionen Euro sanieren lassen - Wärmedämmung, Zentralheizung statt Nachtspeicheröfen, Balkonanbauten, farbige Anstriche.

Mit den Holzläden an den Fenstern und gepflegten Grünflächen sieht es nun unerwarteterweise ein wenig nach der putzigen Margarethenhöhe aus. „Die Mieter müssen nun zwar etwas höhere Mieten zahlen, aber die meisten honorierten unsere Investition. Junge Leute wollen jetzt sogar wieder in die Siedlung zurückziehen“, berichtet Grewer.

Mieter Manfred Dzwonkowsky kostet die Sanierung 40 Euro mehr Miete im Monat, doch die zahlt er dank niedrigerer Heizkosten und barrierefreier Dusche gerne. Auch wenn der lange Mann nun beim Gang zur Waschmaschine an die wärmegedämmte, um zehn Zentimeter niedrigere Kellerdecke stößt.

In Frohnhausen hat sich der mit einem kleinen Betrieb selbstständige Heizungs- und Sanitärbaumeister Martin Grave eine zweistöckige Haushälfte gekauft - und will das graue Gebäude aus den 60er Jahren vorbildlich sanieren. „Meine Kunden sollen hier sehen, was alles machbar ist“, sagt Grave. „Innovation City“ im Kleinen. In zehn Monaten soll das Haus ein neues Dach mit Solarmodulen, neue Isolierfenster, Wärmedämmung auf der Fassade und womöglich ein kleines eigenes Kraftwerk im Keller erhalten - eine Investition von stolzen 150 000 Euro, die sich in 15 Jahren rentieren soll.

Dass auch Arbeitgeber klimafreundlich denken, zeigt der letzte Besuch: Die RWE-Handelstochter Supply&Trading hat das frühere Kassenhäuschen des „RWE-Meteoriten“ für 90 000 Euro zum Badehaus mit Duschen und Spinden umgebaut - für diejenigen Arbeitnehmer, die mit dem Rad zur Arbeit fahren. Bei schönem Wetter wird das auch gut genutzt: 50 Leute, zehn Prozent der Mitarbeiter, radeln dann - und dürfen dafür bei Dienstfahrten ein leises Elektroauto benutzen.

Paß zeigt sich nach der Tour beeindruckt und hofft auf Wirkung bei der Jury. „Wir müssen denen zeigen, was wir schon alles haben, und dass wir Menschen bewegen können, den Vorbildern nachzueifern.“