Essen. .

Von wegen „gemütlicher Nachmittag“: „Schachtzeichen“ im Selbstversuch – WAZ-Redakteur Martin Spletter passte einige Stunden auf. Es sind zwar nur Ballons -doch die Verantwortung der Helfer ist tonnenschwer.

Wie verwandelt man den Parkplatz eines Getränkemarkts in einen ganz besonderen Ort? Man lässt zwei gelbe Ballons in die Höhe, setzt sich daneben und guckt, was passiert.

Ortstermin am Dienstag beim Getränkemarkt „Trinkgut“ im Gewerbegebiet „Wolfsbankring“ in Borbeck. Das heißt so, weil es hier mal die Zeche „Wolfsbank“ gab mit zwei Schächten, gut 2000 Bergleute waren beschäftigt. Einen dritten Schacht gab es auch, in Schönebeck. 1962 wurde „Wolfsbank“ stillgelegt, später abgerissen. Heute ist hier ein Gewerbegebiet, an dem nie ‘was Besonderes war.

Bis Samstag. Seitdem schweben über dem Areal zwei „Schachtzeichen“-Ballons. Gastronom Klaus Gummersbach, einer der Initiatoren, hat gut 60 Helfer zusammengetrommelt, die bis Sonntag die Ballons bewachen. Ich dachte, ich könne zwei Stunden in der Sonne sitzen und ein bisschen in den Himmel starren; verfolgen, wie sich die Ballons sachte in der Brise wiegen. Von wegen.

Die Seile fest im Blick

Es sind zwar nur heliumgefüllte Ballons, doch die Verantwortung, die Helfer hier haben, ist tonnenschwer. Drei oder vier Ballons im Revier sind schließlich schon flöten gegangen, schweben jetzt irgendwo über den Ärmelkanal. Wie es heißt, machen die Flugaufsichtsbehörden Druck: Wenn noch mehr Ballons unkontrolliert entschweben, ist Schicht mit „Schachtzeichen“.

Daran will ich nicht Schuld sein. Also setze ich mich hin und halte die Seile fest im Blick, an denen die Ballons befestigt sind: Legen sie sich schräger als 45 Grad durch starken Wind, soll man die Ballons sofort ‘reinholen – sonst wird es zu gefährlich.

Ich dachte bis vorhin, es ist windstill. Stimmt aber nicht. Das Seil von Ballon Nummer eins neigt sich gefährlich zur Seite, dann stellt sich die Leine wieder auf. Der Himmel verfinstert sich. Die grauen Wolken – waren die vorhin auch schon da? Und so viele Menschen kommen. Ein 52-Jähriger erzählt, dass die Zeche zu seinen Kindheitserinnerungen gehört: „Über frischen Schnee hab’ ich mich immer gefreut, aber am nächsten Tag war der Schnee schwarz vor Dreck.“

Kunst fürs Volk

Ein weißhaariger Mann berichtet, dass sein Vater hier gearbeitet habe, und zwar „lange genug“. Er selbst habe als Kind auch manchmal duschen dürfen in der Kaue. Mütter mit Kindern fragen an, ob es Aufkleber gibt von den „Schachtzeichen“; man habe am Wochenende so viele der Ballons gesehen. Und wann die beleuchtet werden.

13-jährige Schuljungen mit BMX-Rädern und coolen Frisuren betteln um kleine, gelbe heliumgefüllte Ballons, die es zum Auftakt als Präsente gab. Das hier ist Kunst fürs Volk, im besten Sinne. Und das auf einem öden Parkplatz aus Verbundpflaster, und im Hintergrund stapelt jemand unaufhörlich leere Wasserkästen krachend ineinander.