Essen. .

Altendorf soll in ein neues und hippes Quartier verwandelt werden. Das Büdchen von Willy Göken muss der Modernisierung weichen. Dabei „ist das doch die Kultur des kleinen Volkes“, wie ein Stammgast sagt.

Kurz nach sechs: Feierabendzeit. Juppes (24) und Marco (25) sind da. Und sogar Rainer ist gekommen. Der Mittsechziger lebt jetzt schon seit sieben Jahren in Spanien und kann von seinem Haus in Tarifa aus fast bis nach Afrika schauen. In Spanien lässt es sich gut leben, sagt der gebürtige Essener. Aber ein, zwei Mal im Jahr bekommt er Heimweh. Dann setzt sich ins Flugzeug, fliegt nach Hause – und steuert sofort das Büdchen von Willy Göken in Altendorf an.

Es ist viel passiert, seit Rainer zuletzt hier war. Damals gab es noch die Schrebergartensiedlung in der Nachbarschaft. Und den Zoo mit den Tierfiguren auf dem Kioskdach. Alles weg. Weil der Bahndamm abgetragen wurde. „Heute morgen habe ich den großen Elefanten rüber gebracht“, sagt Willy Göken. Wie lange der Kiosk noch bleibt? „Keine Ahnung. Eigentlich sollte ich schon im letzten Sommer weg. Jetzt kann ich noch hierbleiben, bis der See kommt“, sagt der 71-Jährige.

Neue Mietwohnungen und ein See sollen entstehen

Der See ist das Vorzeigeobjekt der Umgestaltungspläne für den Stadtteil. Neue Mietwohnungen sollen hier im Quartier entstehen. Und ein „vier Fußballfelder großer See mit parkähnlichen Grünanlagen“. So steht es auf dem Plakat der Allbau, das ein paar Häuser weiter hängt. Altendorf soll ein modernes, ein hippes Quartier werden. Ein Stadtteil, in den junge Familien mit ihren Kindern wieder ziehen anstatt ihm den Rücken zuzuwenden. Das jedenfalls ist die Vision der Stadtplaner.

Diese Vision ist hier, im Hinterzimmer des Kult-Kiosk, weit weg. In den Regalen stehen die Pokale der Betriebssportgemeinschaft Göken, die seit 1965 einige Trophäen erkickt hat. Darunter hängt ein leicht vergilbtes Mannschaftsbild, in der anderen Ecke eine Dartscheibe. An die Toilettentür hat jemand die leichtbekleideten Titeldamen der Bild-Zeitung gepinnt.

In den Gesprächen geht es um die wirklich wichtigen Dinge: um Fußball, um die Arbeit, um das Leben. Aber irgendwann landet man dann doch fast zwangsläufig bei der Zukunft. „Guck mal, wie es hier mal aussah“, sagt Rainer, nickt in Richtung eines alten Fotos, das den Kiosk zeigt wie er mal war, und schüttelt den Kopf.

Im Radio läuft WDR 4. Roger Whittaker singt „Abschied ist ein scharfes Schwert“. Eine Textzeile lautet: „Denn das Leben geht ja weiter.“

„Ich kenn den Laden schon mein ganzes Leben“

Robert kommt zur Tür herein. Deutschlandkappie, Schnurrbart, Brillie im Ohr. Willy Göken fragt: „Wie ist die Stimmung?“ „Durchwachsen wie das Wetter“, antwortet Robert und bestellt ein Bier.

Robert ist Stammgast: „Ich kenn’ den Laden mein ganzes Leben. Als ich noch ein kleiner Junge war, hab’ ich hier immer Klümpkes gekauft.“ Dass er jetzt wegkommen soll, versteht Robert nicht. „Hier in Essen reden alle immer groß von Kultur. Aber das hier ist doch auch Kultur. Nur eben Kultur für das kleine Volk. Und die wollen sie uns jetzt wegnehmen.“

Willy Göken steht von seinem Hocker auf, von dem aus er den Schalter immer im Blick hat. Ein junger Mann will Zigaretten kaufen. Rauchwaren, Getränke und Süßigkeiten laufen noch gut, sagt der Inhaber. Das Mehl, die Ravioli und der Kaffee in der Vitrine nicht: „Seit die die Ladenöffnungszeiten geändert haben, verkauf’ ich solche Sachen fast gar nicht mehr. Aber was will man machen. Das ist eben die neue Zeit.“ In zehn Jahren, da ist sich Willy Göken sicher, „ist die Hälfte der Kioske weg.“

Das Schlimmste sei die Ungewissheit, wann er seinen Kiosk wirklich schließen müsse, sagt Willy Göken. Ganz aufhören, will er auch dann nicht. Sondern in seinen Pokalladen, ein paar Meter weiter die Straße hinauf, ziehen. „Die Stammgäste kommen bestimmt mit, aber es wird nicht dasselbe sein.“