Essen. .
Am neuen Thyssen-Krupp-Hauptquartier arbeiten zurzeit täglich 1400 Bauleute, den Fertigstellungstermin fest im Blick. Der Einzug für die 3000 Mitarbeiter beginnt schon im Juni. Weit über 300 Millionen Euro lässt Thyssen-Krupp-Vorstandschef Ekkehard Schulz in die neue Konzernzentrale investieren.
Im 50 Meter hohen Lichthof des zentralen Quader-Gebäudes des künftigen Thyssen-Krupp-Konzern-Hauptsitzes schieben gerade Arbeiter die schweren Gegengewichte für die technisch anspruchsvollen gläsernen Zwillingsaufzüge über den Weg; auf dem Dach schweißen ihre Kollegen Dichtungspappen; in den ersten Etagen des 14-stöckigen Bauwerks aus Glas und Stahl werden schon Teppiche verlegt; im künftigen Konferenzzentrum, der rechte niedrige längliche Nachbar des Quaders, fließt aus handlichen Rohren dunkelgrauer Flüssig-Estrich; an der 200-Meter-Wasserfläche inmitten des Gebäudeensembles werden Bäume aus fünf Kontinenten gepflanzt - auf der größten Firmenbaustelle Europas herrscht derzeit Hochbetrieb.
Täglich versuchen nun 1400 Bauarbeiter, so viele wie nie zuvor in den insgesamt drei Jahren Bautätigkeit, die deutlichen Verzögerungen durch den ungewöhnlich harten Winter aufzuholen - denn schon Mitte Juni, in nur noch zweieinhalb Monaten, startet der Einzug von insgesamt 3000 ThyssenKruppianern, die in Essen nahe der Innenstadt arbeiten werden.
Ein Symbol für den Strukturwandel im Ruhrgebiet
Weit über 300 Millionen Euro lässt Thyssen-Krupp-Vorstandschef Ekkehard Schulz in die neue Konzernzentrale investieren: Von Essen aus werden bald die weltweiten Geschäfte mit einem Jahresumsatz von 40 Milliarden Euro gesteuert. Mitarbeiter aus Duisburg, Essen, Düsseldorf und Bochum zieht der Technologie- und Stahlriese auf diesem Gelände der ehemaligen Krupp-Gussstahlfabriken zusammen, die dann in den um die rechteckige Wasserfläche angeordneten Gebäuden zwischen dem neuen Krupp-Park an der Altendorfer Straße und der Innenstadt arbeiten werden.
Ein Symbol für den Strukturwandel im Ruhrgebiet: Floss hier früher in dreckigen Hallen der Schweiß Tausender Arbeiter, entscheidet nun in feinen gläsernen Zwölf-Quadratmeter-Büros die geistige Kreativität tausender Akademiker, wie die Zukunft eines internationalen Milliarden-Konzerns aussehen wird.
„Das ist hier städtebaulich absolute Spitze. Nur ein einziges Hochhaus zu bauen, größer als der RWE-Turm, wäre doch langweilig gewesen“, meint Martin Grimm, Vorstandschef der Thyssen Krupp-Immobilientochter Real Estate und Leiter dieses Prestigeprojekts.
So fördert der Entwurf der Architekturbüros Chaix&Morel (Paris) und JSWD Architekten (Köln) nach Vorbild eines Uni-Campus’ die Begegnung, das Gespräch: Beim Gang zur Kantine im Konferenzzentrum muss jeder Mitarbeiter sein Bürohaus verlassen und soll auf dem Platz zwischen den Gebäuden am Rande der spiegelnden nur 15 cm tiefen Wasserfläche verweilen und diskutieren. Wenn das nicht reicht, stehen im Konferenzzentrum neben dem 1000 Leute fassenden Veranstaltungssaal über ein Dutzend Besprechungsräume bereit.
Noch Investoren gesucht
Insgesamt umfasst das Konzept der Architekten zehn Gebäude, von denen nun die zentralen bis Juni fertiggestellt sein werden: Das Kongresszentrum, der 50-Meter-Quader für die vorstands-nahen Abteilungen, zwei 20 Meter hohe Bürohäuser - alle Gebäude sind unterirdisch mit einer Tiefgarage für 900 Autos miteinander verbunden.
Für das geplante Vier-Sterne-Plus-Hotel an der Altendorfer Straße wird noch ein Investor gesucht; der Bau von drei Bürogebäuden und von der Akademie für die 2500 in der ganzen Welt verstreuten Führungskräfte ist aufgrund der Wirtschaftskrise verschoben, aber nicht aufgehoben.
Die Baustelle des neuen ThyssenKrupp-Quartiers hat mit 20 Hektar eine für Laien kaum fassbare Dimension, hinzu kommen noch einmal 22 Hektar neuer Krupp-Park. Insgesamt umfassen allein diese beiden Flächen rund 50 Fußballfelder - und sind doch nur ein kleiner Teil des früheren Fabrikgeländes, in das die Essener Innenstadt rund siebenmal hineingepasst hätte.
Das Bauprojekt war eine logistische Herausforderung: So wurde bundesweit einzigartig eine Gelände zerschneidende Hochspannungsleitung verlegt - aus optischen Gründen. Wegen der Wasserachse musste das ganze Gebiet mit Brecheranlagen durchpflügt werden, um Fundamente der Gussstahlfabrik abzuräumen und es absolut glatt einzuebnen. Überschüssiger Boden wurde für die Hügel im Krupp-Park verwendet und versiegelt - der Regen, der nicht versickern kann, speist die Wasserfläche im Quartier.
Thyssen-Krupp hat seine Erfindungskraft für den Werkstoff Stahl in die Bauwerke gesteckt: Die 400 000 netzartigen Lamellen-Rollos der Glasgebäude sind eine eigene Schöpfung: Sie öffnen und schließen sich automatisch mit der Sonne, reflektieren das Licht so geschickt hin und her nach draußen zurück, dass sich die Räume nicht aufheizen - und sollen bei Tag und in der Dämmerung in den schönsten Farben strahlen.
Die 96 Scheiben der gigantischen Panoramafenster des Hauptquartiers halten viele Zwei-Daumen-dicke Stahlseile, die so stark unter Druck stehen als hingen an ihnen 500 Golf. Bei starkem Wind können die Glasflächen 56 Zentimeter nachgeben. Die Zwillingsaufzüge im 50 Meter hohen Innenhof des Hauptgebäudes sind ebenso eine Innovation des Konzerns - „das Ganze ist auch eine Art Showroom der Thyssen-Krupp-Produkte“, meint Grimm.
Terrasse mit Blumenrabatten
In den Gebäuden sind die Büros mit flexiblen Wänden angelegt, auf der Terrasse im Quader sollen an den Blumenrabatten nicht nur die Raucher verweilen und den Blick genießen. Von dort schaut man auch auf das Krupp-Stammhaus, wo gerade ein 8000 Quadratmeter großer Garten angelegt wird. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass künftig dort auch der normale Bürger zur Besichtigung eingeladen wird - denn Zäune gibt es auf dem Gelände nicht mehr. Jeder darf an der Wasserfläche flanieren oder das Restaurant besuchen.
Transparenz, Offenheit, Helligkeit - diesen Geist verströmt das Ensemble. Projektleiter Martin Grimm ist überzeugt: „Diese Gebäude werden um die Welt gehen. Die Leute werden hier genau wie an den spiegelnden Düsseldorfer Gehry-Bauten stehen und fotografieren.“