Essen. .
Duisburg hat klar gemacht, weshalb das Konzept der Ruhr 2010 fragwürdig ist. Manchmal hat man das Gefühl, die Millionen „Ruhries“ dienen nur als Kulisse für die Profilneurose einiger, die aus dem Revier mit Gewalt mehr machen wollen als drinsteckt.
Manchmal reißen Katastrophen plötzlich einen Schleier weg und geben den Blick frei auf Verstelltes. Die Loveparade in Duisburg könnte so ein Ereignis sein. Sie hat gezeigt: Das Konzept der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 und anderer regionaler Player, auf Massenveranstaltungen um jeden Preis, auf die Selbstsuggestion von Millionen zu setzen, ist nicht nur vom Stil und Ergebnis her fragwürdig, es verführt auch noch zum Leichtsinn. Alles geht? Von wegen. In Duisburg ging es nicht, so dringend die lokalen Verantwortlichen und die vielen regionalen Trommler im Vorfeld sich dies auch wünschten und ihr Wunschdenken durchdrückten. Denn es konnte nicht sein, was nicht sein durfte.
Es ist nicht weit hergeholt, hier vorgestriges, uraltes Ruhrgebiets-Denken am Werk zu sehen, Massen-Denken, Tonnage-Denken, ein Größenwahn, der sich nicht an Qualität orientiert, sondern auf Quantität setzt. Es ist die alte Krankheit von Revier-Bürokraten, Revier-Idealisten, Revier-Phantasten und leider auch Revier-Publizisten. Masse und Millionen, das ist die Währung, an der sich im Ruhrgebiet viele, sehr viele ergötzen. In seiner Gebetsmühlenhaftigkeit ist das nicht nur ermüdend, es ist manchmal sogar gefährlich.
Wer braucht die Metropole Ruhr?
„Weltstadt Ruhr“ hieß zum Beispiel einst ein Buch von Christoph Zöpel, das sich geradezu berauschte an der großen Zahl, auch der an Menschen. „Metropole Ruhr“ heißt eine luftige Wortschöpfung, die inzwischen viele wie eine unhinterfragbare Monstranz vor sich hertragen. Aber dieser Kaiser hat keine Kleider an, er ist nackt. Es gibt keine Metropole Ruhr. Es gibt Städte: große wie Essen oder Dortmund, kleinere wie Herne oder Gelsenkirchen, spannende und ein bisschen langweilige.
Na und? Wer braucht die Metropole Ruhr, wer braucht ein Kunstgebilde, das mit schierer Masse meint, die Region nach vorne bringen zu können? Und wer glaubt denn ernsthaft, dass die Weiterentwicklung des Ruhrgebiets über Veranstaltungen wie die Loveparade funktioniert? Die Loveparade ist nur eine Party. Eine Party, die 2007 in Essen gut ging und eindrucksvolle Massen-Bilder lieferte, die aber auch ein Schlachtfeld mit ziemlich viel Dreck und eine Urin-Wolke über der ganzen Stadt hinterließ. Das ist - bei Licht besehen - eigentlich alles. Was soll dieses Hochstilisieren?
Manchmal hat man das Gefühl, die Millionen Menschen, die gutwilligen „Ruhries“, dienen nur als Kulisse für die Profilneurose einiger, die aus dem Ruhrgebiet mit Gewalt mehr machen wollen als drinsteckt. Man denkt da an Zeitgenossen wie den 2010-Kreativbeauftragten Dieter Gorny, der mit dem Provinzialismus-Vorwurf nur so um sich schmiss, als eine Stadt wie Bochum meinte, die Loveparade nicht stemmen zu können.
Zweifel sind erlaubt
Oder nehmen wir Essens früheren Kulturdezernenten Oliver Scheytt, heute Ruhr 2010-Chef, der nach dem A 40-Spektakel gegenüber der „Welt“ von einer „großen sozialen Skulptur“ schwadronierte, die ein „neues Selbstbewusstsein“ in die Menschen senke. Richtig tief blicken ließ dann Scheytts Fortsetzungssatz: „Man muss sich jetzt nicht mehr entschuldigen, dass man zwischen Münster und Düsseldorf wohnt“. Sorry, aber der Autor dieser Zeilen lebte immer in dieser Stadt und hat sich dafür noch nicht ein einziges Mal entschuldigt. Warum auch? Mancher Ruhr-Enthusiast macht seine eigenen Komplexe zum Maßstab für eine ganze Region.
Seht her, wir sind so viele, wir bringen die Massen auf die Straße, wir schaffen ALLES. Für diese Ruhr-Hybris ist die Loveparade zum Menetekel geworden. Nie mehr kann man derartige Naivitäten einfach so von sich geben, ohne sich lächerlich zu machen.
Und dann gab es gestern diese Anzeige vom Regionalverband Ruhr: „Die Metropole Ruhr trauert um 20 junge Menschen…“. Doch, es steht da: „Die Metropole Ruhr“. Mancher bewegt sich offenbar in einer Endlosschleife aus Träumen von „Masse gleich Weltgeltung“. Bis zum nächsten bösen Erwachen. „Dort wo man nicht dem Schein erliegt“, heißt es in Herbert Grönemeyers Ruhr-Hymne. Zweifel sind erlaubt.