Buchholz. .

„Die Patienten be­finden sich alle noch im Schock­zustand“. Klaus Wendorff, Krankenhaus-Seelsorger in der BGU Duisburg, kommt gerade von den Stationen zurück.

Die Unfallklinik an der Großenbaumer Allee hat 40 Opfer der Loveparade-Katastrophe aufgenommen. 20 Verletzte, u. a. aus München, Hamburg, Spanien und Italien und nur ein einziger aus Duisburg, befinden sich noch in Behandlung. „Darunter sind auch zwei Schwerverletzte. Die beiden sind inzwischen zum Glück außer Lebens­gefahr“, sagt Friedhelm Bohla, der Sprecher der Klinik.

Die meisten Patienten wurden mit Gehirnerschütterungen, Brüchen und Quetschungen eingeliefert. Die körperlichen Verletzungen waren sichtbar, die seelischen zum Teil ebenso. „Die Menschen kamen fix und fertig an. Weinend oder völlig apathisch, ohne Schuhe und in zerrissenen Kleidern“, erzählt Bohla, der die ganze Nacht im Krankenhaus dabei war.

Auch am Tag zwei nach dem Desaster vom Samstag herrscht immer noch eine Art Ausnahmezustand. „Die Pa­tienten reagieren ganz verschieden. Es gibt Menschen, die wollen nicht reden, die versuchen zu verdrängen. Andere muss man nur kurz anstupsen und sie reden sich alles von Seele“, erzählt Wendorff. „Und ich habe heute morgen auch Menschen erlebt, die sind völlig euphorisch. Nach dem Motto: ,Hurra, ich lebe noch’“. Nach dieser Euphorie, so weiß der erfahrene Seelsorger, kann genauso eine depressive Phase folgen.

Klaus Wendorff hat allen empfohlen, sich professionelle Hilfe zu holen. Dazu hat der evangelische Pfarrer, der heute eigentlich in den Urlaub star­ten wollte, all’ seine Sprach­kenntnisse herauskramen müssen. Die verletzte 22-jährige Italienerin spricht kaum ein Wort Deutsch. Ihre Freundin ist auf der Loveparade gestorben, sie selbst befindet sich einem fremden Land. Die junge Frau hat es also be­sonders hart getroffen. Klaus Wendorff: „Das kann man so nicht unbedingt sagen. Es gibt einen Bereich von schlimm, der sich nicht steigern lässt“. Der Duisburger, der als Notfallseelsorger am Unfallort im Einsatz war, erzählt, dass er zu Hause, völlig erschöpft, erst mal eine Runde geheult hat ob der unvorstellbaren Erlebnisse.

Überall - im Foyer, im Café und im Wartebereich der Un­fallklinik - diskutieren Patienten und Besucher darüber, ob die Katastrophe vorhersehbar war und wer die Schuld trägt. Auch die Loveparade-Opfer ha­ben sich, sofern sie mobil sind, Zeitungen am Kiosk des Krankenhauses besorgt. „Einige Patienten, die teils bewusstlos hierher kamen und erst nach der Lektüre die Zusammenhänge verstehen, sind ex­trem wütend auf die Veranstalter“, so Wendorff. Andere su­chen die Schuld bei sich. Sie fragen sich, warum sie überhaupt zum Festival gegangen und nicht lieber zu Hause ge­blieben sind. Pfarrer Wendorff versucht, sie von diesen Schuldgefühlen zu befreien. „Für die Auswärtigen war die Lage nicht einzuschätzen“.

Die meisten von ihnen wollen das Krankenhaus und Duisburg so schnell wie möglich verlassen. „Natürlich will immer jeder Kranke so schnell wie möglich nach Hause. Aber bei diesen Menschen spielt noch der Fluchtinstinkt ein Rol­le“. Alle haben einstimmig gesagt, dass sie keine Großveranstaltungen mehr besuchen wollen. Wendorff: „Das kann ich gut verstehen. Aber ich hoffe, in zwei Jahren sehen sie das wieder anders. Das würde be­deuten, dass sie ins Leben zu­rückgekehrt sind“.