Essen. Ende August ist Schluss für das traditionsreiche Essener Warenhaus. Alles soll raus. Kunden begleiten den Abschied mit Bedauern.
Am Eingang im Erdgeschoss hängt ein einziges, verschämt wirkendes Schild. „Sale“ steht darauf zu lesen. Wer über die Schwelle tritt, erfährt bald Näheres: Zehn Prozent Rabatt gibt es auf Taschen, auf Rucksäcke, auf Damen- und Herrenkleidung, auf Schuhe. Und das ist nur der Anfang. Bei Karstadt im Limbecker Platz hat am Montag der Ausverkauf begonnen.
Ende August ist Schluss, dann schließt die zweitgrößte Filiale im Reich von Karstadt Galeria Kaufhof. Bis es so weit ist, purzeln die Preise. „Wir starten mit zehn Prozent auf reguläre Ware und 30 Prozent auf reduzierte Ware. Hinten raus steigern wir uns auf 90 Prozent“, sagt Jens Lehnecke. Alles muss raus: „Wir verkaufen auf null ab.“
Lehnecke ist seit dem 1. April Filialleiter im Limbecker Platz. Vorher hat er das Karstadthaus in Berlin Wilmersdorf dicht gemacht. Nun ist Karstadt in Essen an der Reihe. Den Ausverkauf dürfte er also routiniert über die Bühne bringen. „Dafür angetreten bin ich nicht“, sagt der Filialchef.
Die Filialleitung ist überrascht, dass es Karstadt am Stammsitz Essen getroffen hat
Dass es auch das Haus am Stammsitz in Essen treffen würde, dazu das Zentrallager und die Hauptverwaltung, damit hätten sie nicht gerechnet, bestätigt Sascha Kruse, der als kaufmännischer Leiter zuständig ist für Personal und Organisation. Es sei eine unternehmerische Entscheidung, die sie nun gemeinsam umsetzen müssten.
Derweil herrscht auf den drei Etagen hier und dort bereits reger Betrieb, weit entfernt aber von einem Gedränge. Die Zeiten, an denen sich die Kundschaft vor Ladenöffnung die Nasen an den Glastüren plattdrückten, sind lange vorbei. Jens Lehnecke spricht von „einer guten Frequenz, wie sonst an einem Samstag. Ohne, dass wir etwas dafür getan haben.“
Fensterfüllende Werbung soll in den kommenden Tagen angebracht werden. Dass der Ausverkauf startet, hat sich auch so herumgesprochen. Unter den Kunden, die sich an diesem späten Vormittag im Hause prüfend umsehen, sind auffallend viele ältere Jahrgänge, was an der Uhrzeit liegen mag.
Viele Essener verbinden Erinnerungen mit Karstadt, für sie gehört das Kaufhaus zur Stadt Essen
Karl-Heinz Jablonka aus Borbeck ist darunter. „Ich war schon mit meinen Eltern bei Karstadt einkaufen, im alten Haus“, erzählt der 70-Jährige. Dass Karstadt schließt, sei traurig. Überraschend komme es für ihn aber nicht. „Die haben sich doch selbst kaputt gemacht“, sagt er.
Was er damit meint? Karl-Heinz Jablonka zeigt auf einen Stapel Marken-Jeans. „Eine Jeans für 100 Euro! Wer kann sich das schon leisten?“ Früher sei Karstadt auch deshalb so beliebt gewesen, weil sich gerade Normalverdiener den Einkauf hätten erlauben können. „Das gibt es so nicht mehr“, findet der 70-Jährige. Er selbst sei trotzdem immer wieder zu Karstadt gekommen. „Und sei es nur für Kleinigkeiten.“
Wie Karl-Heinz Jablonka verbinden viele Ältere Erinnerungen mit dem Warenhaus. Hannelore Deuse aus Schonnebeck hat noch das Restaurant vor Augen, in der obersten Etage im alten Karstadthaus, wo sie mit ihren Eltern gerne zu Mittag aß. Vielen Essenerinnen und Essenern dürfte es ähnlich gehen. Für sie gehörte Karstadt einfach zu Essen. Auch die Filiale im Limbecker Platz, wo es deutlich ruhiger zuging, habe sie gerne besucht, erzählt sie. Ihr Mann Helmut pflichtet ihr bei. „Das Internet hat viel kaputt gemacht“, ist sich Hannelore Deuse sicher. Wo gehen die beiden künftig einkaufen, wenn Karstadt erst zu macht? Hannelore Deuse denkt nach: „In Oberhausen.“ Im Centro also.
Norbert Bunse aus Heisingen hat eine besondere Beziehung zu Karstadt. „Meine Frau ist praktisch bei Karstadt groß geworden. Sie hat in der Verwaltung gearbeitet“, erzählt er. Dass Karstadt schließen müsse, sei bedauerlich. Wobei er sich immer gewundert habe, dass Karstadthäuser in anderen Städten, die er besucht habe, besser frequentiert gewesen seien, als die Filiale im Limbecker Platz. „Ich habe mich immer gefragt, warum?“ Der bevorstehende Abschied mache ihn traurig, „und vielleicht auch ein bisschen böse“.
50 Prozent der Beschäftigten der Essener Filiale haben laut Karstadt ein Job-Angebot bekommen
Wer hat Schuld an dem Aus? Am wenigsten die Beschäftigten. 110 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt die Essener Filiale. Viele davon haben drei Insolvenzen in drei Jahren miterlebt. Einige sind seit Jahrzehnten bei Karstadt beschäftigt. „50 Prozent der Mitarbeiter haben ein Jobangebot bekommen“, berichtet Filialleiter Jens Lehnecke. Sie hätten drei Wochen Zeit, sich für eine andere Filiale zu entscheiden. Eine Jobbörse soll es geben und eine Transfergesellschaft, kündigt Sascha Kruse an. Beide beschreiben die Stimmung in der Belegschaft trotz allem als gut, was verwundern mag.
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Wer sich unter Mitarbeitern im Hause umhört, bekommt ein anderes Bild gezeichnet. Nicht jeder redet mit der Presse, andere nur, wenn ihr Name nicht veröffentlicht wird. Dass die Stimmung gut sei, nein, das könne sie nicht bestätigen, sagt eine Verkäuferin, die schon bei Karstadt gelernt hat. Jene, die nach der letzten Insolvenz gegangen seien, hätten leider Recht behalten: In einem Jahr gehe es wieder los.
Die letzten Jahre hätten Nerven gekostet, bestätigt ihre Kollegin, die für eine Fremdfirma arbeitet, an die Karstadt Flächen im Hause untervermietet hat. Deren Beschäftigten hingen in der Luft. In der medialen Wahrnehmung gehe das leider unter.
Die letzten Jahre haben Nerven gekostet, sagt eine Verkäuferin bei Karstadt
Ob alle, die noch im Karstadthaus am Limbecker Platz arbeiten, einen neuen Job finden werden, stehe in den Sternen. Einige Filialen, in die Beschäftigte wechseln könnten, seien weit weg. Von Wesel ist die Rede, von Kleve, aber auch von Freiburg. Immerhin dürften die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt wegen der guten Ausbildung, die sie bei Karstadt genossen habe, nicht schlecht sein, tröstet sich eine Verkäuferin.
Unsicherheit bleibt. Im August soll es für alle eine Abschiedsfeier geben, aus Wertschätzung und als Dankeschön, kündigt Personalchef Sascha Kruse an. Eine nette Geste, aber Partylaune dürfte dann wohl kaum herrschen.
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