Essen. Essens Messe-Aufsichtsrat sieht derzeit noch keine Handhabe, die Grugahalle zu verweigern. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Auf die Demos der vergangenen Tage schauen, Sorgen um die Sicherheitslage anmelden und daraufhin kurzerhand den bereits geschlossenen Pachtvertrag mit der AfD für die Grugahalle aufkündigen: So einfach, wie sich das manch einer gewünscht hätte, ist es dann wohl doch nicht, die „Alternative für Deutschland“ loszuwerden. Bei einer Sondersitzung des Messe-Aufsichtsrates am Freitag (26. Januar) zu früher Stunde musste die Runde nach Angaben von Teilnehmern jedenfalls ernüchtert feststellen, dass sie einstweilen keine echte Handhabe besitzt, den Kontrakt für den Bundesparteitag Ende Juni aufzulösen. Also lässt man prüfen – und an die AfD geht eine Art Appell: Bleibt weg.
Um Sicherheitsbedenken als Kündigungsgrund zu nennen, muss die Polizei die erstmal formulieren
Hoffen auf ein freiwilliges Einlenken der AfD, wo man vor wenigen Tagen intern noch eine forsche Absage in den Raum gestellt hatte – die Enttäuschung über den geordneten verbalen Rückzug ist in politischer Runde überall greifbar. Doch es helfe nichts, seufzen Mitglieder des Aufsichtsrates: Um jenen Vertrags-Passus anwenden zu können, der einen Rückzug von der Mietzusage für den Fall erlaubt, dass „massive Sicherheitsbedenken“ auftreten, muss die Polizei dieses Alarm-Szenario erst einmal formulieren. Dies aber, so heißt es aus Polizeikreisen, dürfte frühestens drei Monate vor dem am Wochenende des 28. bis 30. Juni geplanten Parteitag passieren. Ende März also.
Aber aufgeschoben ist eben auch nicht aufgehoben. Also „bittet“ der Aufsichtsrat die Geschäftsführung der Messe Essen, „alle rechtlichen Mittel auszuschöpfen, um die Durchführung des Bundesparteitags der AfD in Essen zu verhindern“. Die Argumentationslage sei dabei keineswegs schlecht, heißt es, die operativen Rahmenbedingungen hätten sich in den letzten Wochen „signifikant verändert“, lässt sich etwa Messe-Chef Oliver P. Kuhrt zitieren: „Diese neue Situation können wir nicht ignorieren.“
Zwei gutachterliche Stellungnahmen kommen zum Schluss: Die Chancen der Messe sind mau
Der Bundesparteitag einer umstrittenen rechtsgerichteten Partei mit gut 600 Delegierten, die Teilnahme auch exponierter rechtsextremer Personen wie etwa des Vorsitzenden der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, Björn Höcke,geschätzt Zehntausende Gegendemonstranten, eine womöglich gewaltbereite Antifa, dazu das Achtelfinale der Fußball-Europameisterschaft und städtischer Sommer-Wochenend-Trubel in einem pulsierenden Stadtteil samt Parkgelände – bei einer solchen Gemengelage, so signalisieren auch Sicherheitskreise, könnte man schon Sorgen anmelden, ob genügend Polizeikräfte parat stehen oder nicht vielleicht was zu eskalieren droht.
Andererseits haben offenbar zwei von der Messe in Auftrag gegebene gutachterliche Stellungnahmen Düsseldorfer Kanzleien ergeben, dass es ausgesprochen schwierig werden dürfte, den Rücktritt vom Vertrag auch in einem möglichen Verfahren vor dem (Ober-)Verwaltungsgericht durchzusetzen. In ähnlich gelagerten Fällen verwiesen die zuständigen Richter stets darauf, dass die AfD ein Recht hat, genauso behandelt zu werden wie andere Parteien. Für die Grugahalle bedeutet das: Wo SPD, CDU, Linke oder auch die AfD selbst schon mal zu Gast waren, darf eine Neuauflage nicht versagt werden. „Kontrahierungszwang“ lautet das juristische Stichwort.
Die ersten Gegendemonstrationen fürs letzte Juni-Wochenende sind bereits angemeldet
Ein Dilemma für die Messe, die einen weit über die Stadtgrenzen hinaus reichenden Image-Schaden fürchtet, wenn sie Ende Juni vielzitierter Tagungsort der Bundes-AfD ist. Derweil formieren sich die Gegner der Partei bereits für ihren Protest. So bestätigte die Polizei am Freitag auf Anfrage, dass das Anti-Rechts-Bündnis „Essen stellt sich quer“ sowie die hiesige Initiative „Aufstehen gegen Rassismus!“ für den 28. wie auch für den 29. Juni vor der Grugahalle Gegendemonstrationen angemeldet haben. Und weil so ein Parteitag mit den geplanten Vorstandswahlen nicht in ein paar Stunden erledigt ist, gilt die Anmeldung an beiden Tagen gleich von 10 bzw. 9 bis 23 Uhr.
Für Freitag, den 28. Juni, hätten die Veranstalter rund 500 Demonstranten in Aussicht gestellt, für den zentralen Tag des Parteitags, den Samstag, die doppelte Anzahl. Früher waren solche Zahlen üblich. Angesichts der überwältigenden Zahl von Menschen, die in diesen Tagen (auch) gegen die AfD auf die Straße gingen und bei weiteren angekündigten Demos vermutlich noch gehen, erscheint eine solche Schätzung manchem als grandiose Untertreibung.
So oder so: Laut Polizei beginnen in Kürze die sogenannten Kooperationsgespräche mit den Veranstaltern, bei denen auch Sicherheitsfragen eine nennenswerte Rolle spielen dürften. Dies zudem die Polizei nach eigenen Angaben mit weiteren Demo-Anmeldungen für das fragliche Wochenende rechnet.
Die AfD ficht all dies derweil zumindest nicht sichtbar an. „Wir äußern uns zu dieser Thematik grundsätzlich nicht“, beschied jedenfalls am Freitag ein Sprecher der Bundeszentrale in Berlin auf Anfrage. Dort ist man über die Essener Debatte im Zweifel gut informiert, schließlich gehört einer der Ihren, der Essener AfD-Kreissprecher Günter Weiß, dem hiesigen Messe-Aufsichtsrat an. Weiß stimmte dem Vernehmen nach als einziger Aufseher gegen den geplanten Prüfauftrag zum Vertragsrückzug.
Nach derzeitigem Stand wäre er einer der 600 Delegierten. Da hätt er‘s nicht weit.