Essen. Tatjana Gürbaca inszeniert erstmals das Werk einer Komponistin im Aalto-Theater. Warum sie die Oper „wahnsinnig unterhaltsam“ findet.

Tatjana Gürbaca strahlt. Sie weiß Herausforderungen zu schätzen. Und die nach gut 200 Jahren wiederentdeckte Oper einer Komponistin zu inszenieren, ist definitiv eine. „Louise Bertin war querschnittsgelähmt und nur 21 Jahre alt, als sie angefangen hat, sich mit „Faust“ auseinanderzusetzen. Das war noch zu Goethes Lebzeiten“, erzählt die Regisseurin, die „Lohengrin“, „Der Freischütz“ und zuletzt „Simon Boccanegra“ auf die Aalto-Bühne gebracht hat, voller Begeisterung. Jetzt hat die deutsche Erstaufführung von „Fausto“ in Essen Premiere.

In der Tat war die Anfang des 19. Jahrhunderts nahe Paris geborene Louise Bertin eine ungewöhnliche Frau. Sie hatte viele Talente. Unterstützt von einem politisch einflussreichen, gut vernetzten Vater und Künstlern wie Hector Berlioz, Franz Liszt und Victor Hugo, konnte sie die auch ausleben. Sie dichtete, malte und komponierte - unterrichtet von den besten Lehrern. Da Frauen jedoch Komposition nicht studieren durften, brachte sie sich vieles selbst bei. Es entstanden vier Musiktheaterstücke, darunter „Fausto“, eine Oper semiseria, die 1831 im Théâtre-Italien uraufgeführt wurde.

Bringen die deutsche Erstaufführung von Louise Bertins „Fausto“ am Essener Aalto-Theater heraus: Regisseurin Tatjana Gürbaca (l.) und Intendantin Merle Fahrholz im Bühnenbild der Oper.
Bringen die deutsche Erstaufführung von Louise Bertins „Fausto“ am Essener Aalto-Theater heraus: Regisseurin Tatjana Gürbaca (l.) und Intendantin Merle Fahrholz im Bühnenbild der Oper. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Fausto“ in Essen: Französische Komposition trifft italienisches Libretto

Die Komposition ist französisch und die Titelpartie sowohl für einen Mezzosopran wie für einen Tenor (in Essen Mirko Roschkowski) vorhanden, das Libretto ist in italienischer Sprache nach der deutschen Tragödie selbstverfasst. Für ihre besondere Melodik wurde Bertin gelobt und kritisiert. Dass ihre Arbeiten öffentlich gezeigt wurden, ging allerdings gegen den Strich der männerdominierten Kulturszene und sie verschwanden schnell von der Bühne. Das Urteil von Tatjana Gürbaca ist eindeutig: „Die Oper ist wahnsinnig unterhaltsam.“ Und mit zwei Stunden recht kurz.

Beeindruckt ist sie vor allem, was Louise Bertin aus dem Stoff gemacht hat und schickt die zentrale Botschaft vorweg: „Es bedarf des Teufels gar nicht, weil sich die Menschen ihr eigenes Unglück schaffen.“ Doch ohne Mefistofele geht es eben auch nicht bei „Fausto“. Er taucht nicht ungefragt auf. Der gealterte Arzt in der Krise beschwört ihn selbst herauf. „Das gehört zu den Unterschieden zu Goethes ,Faust‘“, weiß die Regisseurin. „Und dass sich Fausto und Margarita schon zu Beginn der Opernhandlung kennen.“

Angesiedelt ist diese Faust-Version in den 1950er Jahren, was die Kostüme von Silke Willrett zeigen. „Es ist eine Zeit, die uns nah ist, aber vor der Erfindung der Pille“, erklärt Tatjana Gürbaca, für die Bühnenbildner Marc Weeger auf der Aalto-Bühne einen Krankenhausflur, einen Seziertisch nebst paradiesischem Baum für ein Stelldichein erdacht hat. Realität und Alptraumhaftes gehen Hand in Hand. So muss der Bösewicht gar nicht viel tun, außer Fausto verjüngen zu lassen.

„Fausto“ in Essen: Auf der Suche nach Sinnhaftigkeit und ewiger Schönheit

Der Forscher fragt sich angesichts einer Leiche, die vor ihm liegt, was er denn erreicht hat und was das Leben noch lebenswert macht. „Er sucht, wie wir alle, nach Sinnhaftigkeit, Liebe, Lust und Schönheit, die nicht vergeht. Doch die erreicht er nur, indem er sich dem Teufel verschreibt“, bemerkt sie. Damit reitet er sich immer tiefer in das Unglück hinein und reißt andere Menschen mit. Margarita, die Erfüllung in der Heirat sucht, wird schwanger „und verliert ihren Platz in der Welt“. Sie verliert Fausto, sie wird von der besten Freundin und Kolleginnen gemobbt und verliert ihren Job. Ihr Bruder Valentino verliert sein Leben im Zweikampf.

Veranstaltungen rund um „Fausto“

Die Premiere von Louise Bertins „Fausto“ findet am 27. Januar, 19 Uhr, im Aalto-Theater statt. Es gibt noch Karten.

Die Mitwirkenden sind Mirko Roschkowski (Fausto) und u.a. Jessica Muirhead (Margarita), Almas Svilpa (Mefistofele), Valentino (George Vîrban) sowie Nataliia Kukhar (Catarina). Am Pult ist Andreas Spering zu erleben.

„Mit Götz Alsmann in die Oper“: Der Musiker und Entertainer präsentiert am 4. Februar, 16.30 Uhr, die Höhepunkte von Tatjana Gürbacas „Fausto“-Inszenierung.

Blaue Stunde: Gespräch mit Regisseurin Selen Kara und Hauptdarstellerin Bettina Engelhardt zu „Doktormutter Faust“ am Grillo-Theater sowie mit Prof. Dr. Cornelia Bartsch zu Hosenrollen.

Das Komponistinnen-Festival „her:voice“ findet erstmalig vom 9. bis 12. Mai statt.

Karten unter 0201/ 81 22 200 oder auf www.theater-essen.de

„Louise Bertin wirft einen bissigen Blick auf die Menschheit. Sie behandelt zeitlose Fragen und erzählt etwas über gesellschaftliche Strukturen“, erklärt Tatjana Gürbaca, die gern ans Heutige andockt. „Da muss man nicht viel transferieren.“ Da reicht zuweilen die passende Interpretation. „Die Figuren haben etwas Doppelgesichtiges, weil wir als Menschen das Potenzial des Guten und das Potenzial des Bösen in uns tragen“, sagt die 51-Jährige. „Mephisto liegt nicht außerhalb von uns.“

[Essen-Newsletter hier gratis abonnieren | Folgen Sie uns auch auf Facebook, Instagram & WhatsApp | Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus: Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig und Werden + Borbeck und West | Alle Artikel aus Essen]