Essen. Contilia, KEM und Krupp wollen sich in der stationären Versorgung verbünden und versprechen: „Das ist kein Rationalisierungs-Projekt!“
Zwei geschlossene Krankenhäuser im Norden der Stadt und dazu ein von der Pleite bedrohtes im Osten – wie krank das System der stationären Gesundheitsversorgung hierzulande ist, ließ sich zuletzt auch in Essen besichtigen. Und die Zeiten werden härter: Fehlende Fachkräfte und steigende Preise, immer mehr ältere Patienten und mancher grundlegender Wandel in der Medizin stellen Klinikbetreiber vor große Probleme. Drei Essener Gesundheitskonzerne ziehen daraus den Schluss, dass es an der Zeit und wohl besser für alle Beteiligten ist, gemeinsame Sache zu machen: Contilia, die Kliniken Essen-Mitte und die Krupp-Krankenhäuser wollen sich verbünden, „vom Nebeneinander der Vergangenheit zum Miteinander in der Zukunft“.
So beschreibt Contilia-Chef Dr. Dirk Albrecht die Ausgangslage, und wer erlebt hat, wie das Nebeneinander des katholischen, des evangelischen und des konfessionsungebundenen Krankenhaus-Betreibers mitunter auch ins Gegeneinander ausartete, für den mag diese Ankündigung klingen, als legten sich da RWE, Schalke und der BVB mit treuherzigem Augenaufschlag plötzlich gemeinsam für den guten Fußball ins Zeug.
Steele war nicht der Auslöser, heißt es: „Wir haben auch in der Vergangenheit viel miteinander gesprochen“
Aber die Zeiten, sie sind offenbar danach. Denn die lange Tradition von eineinhalb Jahrhunderten gewachsener Gesundheitsversorgung als Essener Anbieter will man nicht riskieren. Und nein, nicht das laufende Schutzschirm-Verfahren fürs insolvenzbedrohte Krupp-Krankenhaus in Essen-Steele habe die drei alarmierten Partner notgedrungen zueinander gebracht: „Wir haben auch in der Vergangenheit schon sehr viel miteinander gesprochen“, versichert Hans-Dieter Weigardt, Geschäftsführer der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte. Der Prozess der Annäherung sei definitiv älter als die Krise am Hellweg.
Aber wo Kliniken aus finanziellen Gründen auf der Intensivstation landen und dann im Eilverfahren – beim einstigen Lutherkrankenhaus: bis Ende April – gerettet werden müssen, dort wächst fraglos die Erkenntnis, nicht übermäßig lange trödeln zu sollen, will man nicht auch andernorts den Kollaps riskieren. „Wir haben in den letzten Dekaden gesehen, dass wir nicht mehr alles laufen lassen können“, so bringt es Professor Dr. Andreas du Bois auf den Punkt. Er ist derzeit noch Ärztlicher Direktor bei den Kliniken Essen-Mitte und ab 1. Januar deren Beauftragter für Medizinstrategie.
Keine Folgen für Philippusstift und Krupp-Klinik Steele
Die ehrgeizigen Pläne für ein Bündnis der drei freigemeinnützigen Klinik-Betreiber in Essen sollen zunächst keine Auswirkungen auf die aktuellen Vorhaben in Essen-Borbeck und -Steele haben.
So verbleibt das Krupp-Krankenhaus in Steele im sogenannten Schutzschirm-Verfahren, um die in eine finanzielle Schieflage geratene Klinik schlanker aufzustellen und damit auf gesunde Beine zu stellen. Das Hauptverfahren beginnt am 1. Januar und soll bis Ende April 2024 abgeschlossen sein.
Auch die umfangreichen Pläne für einen Teil-Neubau des Philippusstiftes in Borbeck für über 100 Millionen Euro sind nicht betroffen: Contilia hat das Vorhaben vor dem Hintergrund massiv gestiegener Preise auf dem Bau überarbeitet, eine abschließende Genehmigung durch die Zuschussgeber steht noch aus.
Beide Standorte sollen später in die Überlegungen für künftige stationäre Versorgungsnetze eingebunden werden.
Und die Strategie lautet jetzt: Alles neu sortieren. Stärken und Ressourcen bündeln, Doppelstrukturen abbauen und im Idealfall mit vereinten Kräften zwei Versorgungs-Netze flächendeckend über das Stadtgebiet legen: eines für die wohnortnahe Grund- und Regel- sowie die Notfallversorgung, mit „klassischen“ Abteilungen wie Inneres und Chirurgie, Psychiatrie und Geriatrie. Die lassen sich, glaubt du Bois, „besser bündeln als vorher“.
Dazu soll es ein Versorgungsnetz für geplante („elektive“) Leistungen geben – bei Krebs oder der Notwendigkeit künstlicher Gelenke (Endoprothetik), in der Neurologie oder bei kardiologischen Eingriffen sowie für andere Medizinfelder. Auch hier gelte es, das Stadtgebiet „in der Summe abzudecken, aber nicht in jedem Stadtteil“, meint du Bois, denn „das erfordert viel Spezialisierung“. Etwa zehn überregional bedeutsame Zentren und Schwerpunkt-Kliniken innerhalb des Verbundes, den die drei Partner „Essener Modell“ nennen, soll es geben.
Professor Andreas du Bois von KEM betont: „Leistungsabbau ist überhaupt nicht vorgesehen“
Sorgen, das Klinik-Trio plane da unter dem Deckmantel der Kooperation am Ende doch nur ein großes Sparprogramm, tritt du Bois entschieden entgegen: „Es geht darum, eine Struktur zu formen, die besser ist als alles, was wir derzeit bieten können. Vieles bleibt und wird stabilisiert, oder es wird besser.“ Man wolle die Versorgung in der Breite erhalten und in der Spitze tiefer gestalten: „Leistungsabbau ist überhaupt nicht vorgesehen. Das ist kein Rationalisierungs-Programm!“
Ein Versprechen blühender Klinik-Landschaften, das nicht nur die Bürger und damit möglichen Patienten erleichtert registrieren dürften, sondern auch die 13.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bei Contilia, KEM und Krupp auf der Gehaltsliste stehen. Sie sollen in die anstehenden Gespräche mit eingebunden werden, nicht allein, um Ängste abzubauen, sondern um von ihren Kenntnissen der Arbeitsstrukturen und Alltagserfahrungen in der Planungsphase zu profitieren.
„Der Erfolg dieses Prozesses hängt auch davon ab, ob wir Menschen dafür begeistern können“, sagt Contilia-Chef Albrecht. Denn die Herausforderungen sind gewaltig, Megatrends auf dem Gesundheitsmarkt, hin zum Digitalen, zum Ambulanten krempeln die Arbeit gehörig um. Wer will, kann da im Willen zur Gemeinsamkeit der Krankenhaus-Betreiber auch spüren, dass diese einzeln ganz schön Manschetten haben vor dem, was auf sie zukommt.
Eine gemeinsame Operation aus einer Position der Stärke: mit 13 Standorten und 13.000 Mitarbeitern
Dabei gelten die Startvoraussetzungen als ausgesprochen gut, gemeinsam operiert das Trio aus einer Position der Stärke: mit 13 Standorten in Essen und der nächsten Umgebung, mit mehr als 100.000 Patienten und über 450.000 Behandlungsfällen pro Jahr: Gut zwei Drittel aller Krankenhausleistungen in Essen gehen aufs Konto von Contilia, KEM und Krupp.
Was die Kooperation nach Ansicht der drei Gesundheitsunternehmen erleichtert: Als freigemeinnützige Klinik-Betreiber „kommen wir alle aus der gleichen ethischen Ecke“, sagt Professor du Bois, „das hat uns von Grund auf verbunden“. Und dabei soll es auch bleiben, betont Dr. Günther Flämig, Geschäftsführer der beiden Alfried Krupp Krankenhäuser, was aber keineswegs bedeute, dass man nicht offen wäre für die Zusammenarbeit mit dem Klinikverbund der Universitätsmedizin Essen. Gut möglich auch, dass man solche Kooperationen sogar offensiv anbiete.
Flämig macht gleichwohl deutlich, dass ein Verbund, wenn er denn zustandekommt, „ein Dekaden-Projekt“ ist. Auf dem langen Weg dorthin begleitet die drei Klinik-Betreiber erst einmal nur ein geduldiges Stück Papier: ein sogenannter „Letter of intent“, eine rechtlich weitestgehend unverbindliche Absichtserklärung, die auflistet, welche medizinischen und gesundheitspolitischen, baulichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen in den kommenden Monaten beantwortet werden müssen, um diesen Verbund möglich zu machen.
Vor allem eine tragfähige Finanzierung gilt als Dreh- und Angelpunkt. Die drei Partner in spe setzen zunächst auf Strukturfonds-Mittel des Landes, für deren Beantragung Anfang April 2024 bereits die Frist abläuft. In der Landespolitik und bei wichtigen Interessensgruppen will man deshalb parallel um Unterstützung werben. Auf städtischer Ebene rennt man derweil vermutlich offene Türen ein: Schon als das Krupp-Krankenhaus in Steele vor einigen Wochen die Notbremse zog, warb Oberbürgermeister Thomas Kufen für eine „strategische Allianz der Träger der Gesundheitsversorgung in Essen“.
Und auch wenn im Ruhrgebiets-Alltag die Stadtgrenzen längst verschwimmen – erst einmal bleibt man auf das Gebiet innerhalb Essens konzentriert. Schon hier gilt das Vorhaben wegen seiner Größenordnung als komplex genug, niemand will sich schon am Anfang verheben. Die Grundlage für den Prozess zu legen, auszutesten, was geht und was man von vornherein lieber bleiben lässt – dafür gibt die schriftliche Absichtserklärung den drei Klinik-Betreibern immerhin zwölf Monate Zeit.
Aber was ist schon ein Jahr, wenn‘s einen so richtig erwischt hat.