Essen. Stella Kernchen (22) ist von Geburt an taub. Nach dem Abi in Essen ging sie für ein Jahr nach Tansania – was sie dort gelernt hat.
Schon von Geburt an ist Stella Kernchen taub, so wie drei Generationen in ihrer Familie vor ihr. Das Handicap hält sie jedoch nicht davon ab, ihre Träume zu verwirklichen, auch wenn manches für sie mit mehr Hürden verbunden ist als für hörende Menschen. Etwa eine Reise in ein fremdes Land – doch ein Auslandsjahr in Tansania war genau das, was sich die Schülerin schon lange erträumt hatte. „Ich habe viele unvergessliche Momente erlebt“, schreibt die 22-Jährige, die vor Kurzem aus Afrika zurückgekehrt ist.
Während sie für ihr Abitur am Rheinisch-Westfälischen Berufskolleg (RWB) für hörgeschädigte Schülerinnen und Schüler in Frohnhausen lernte, plante sie gemeinsam mit ihrem Freund Elvis die große Reise. Unterstützung bekam sie vom Freiwilligendienst „weltwärts“ und vom Verein Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit (bezev), der junge Menschen mit Behinderung fördert, die in die Welt hinaus gehen und sich engagieren wollen.
Ein Jahr lang lebte das Paar in der Küstenstadt Dar es Salaam im Osten Tansanias, ihre gemeinsame Wohnung lag auf dem Schulgelände der „Tanzania Society for the Deaf“, auf dem gehörlose Kinder und Jugendliche lernen. Um mit ihnen kommunizieren zu können, musste Stella eine neue Gebärdensprache in Suaheli lernen. Doch die Umstellung sei recht schnell gelungen, oft habe sie auch einen Mix aus der dortigen und ihrer gewohnten Gebärdensprache genutzt, erklärt Stella. Vor einigen Wochen hieß es nun Abschied nehmen, das lang ersehnte Auslandsabenteuer neigte sich dem Ende zu.
Nach dem Abi in Essen: Stella Kernchen verbringt ein Jahr in Tansania
„Emotional war es eine ziemliche Achterbahnfahrt“, schreibt Stella über den Abschied in Tansania. „Ich war definitiv erleichtert, wieder nach Deutschland zurückzureisen.“ Der Grund: Kurz vor dem Ende ihres Aufenthaltes hatten sie und ihr Freund einen Unfall, Stella zog sich ein Schleudertrauma zu und später noch einen Infekt. Für sie das Schlimmste daran: Sie habe es nicht mehr geschafft, sich von allen Menschen, mit denen sie in Tansania gerne Zeit verbracht habe, persönlich und in Ruhe zu verabschieden. Doch zumindest eine kleine Abschiedsfeier habe es gegeben und Stella möchte ihre Zeit in Dar es Salaam nicht missen.
Viele neue Freundschaften seien entstanden, sie lernte eine neue Kultur kennen, gewann an Selbstvertrauen und erkundete Sansibar, was schon vor Antritt der Reise ganz oben auf ihrer Prioritätenliste stand. „Die letzten Monate waren für mich voller Highlights und die Zeit ist einfach verflogen“, so Stella. „Ich hatte viel Spaß bei der Arbeit, mit meinen Freunden, in meiner Wohnung und in meiner Freizeit. Ich hatte das Gefühl, einfach frei durchatmen zu können, ohne Heimweh und ohne Stress im Alltag.“
Der Kontinent Afrika fasziniere sie und sie wolle irgendwann auf jeden Fall zurückkehren, mehr erleben und lernen. Doch für die nächste große Reise müsse sie erst einmal sparen. Für ihren Freiwilligendienst in Tansania musste sie einen Eigenanteil von 25 Prozent aufbringen, ein Großteil wurde über den bezev gestemmt, um Spenden für den Verein wirbt Stella weiterhin.
Stella studiert in Berlin und will taube Dolmetscherin werden
In ihre Wohngemeinschaft in Altendorf ist Stella nicht zurückgekehrt, für sie steht ein neuer Lebensabschnitt in der Hauptstadt an: Für ein Studium an der Humboldt-Universität in Deaf Studies ist sie nach Berlin gezogen. Der Studiengang bereitet auf Tätigkeiten mit Menschen mit Hörbehinderungen vor. Aktuell ist es Stellas Ziel, irgendwann als taube Dolmetscherin zu arbeiten – vielleicht würden sich ihre Interessen aber auch noch ändern, meint Stella.
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