Essen-Rellinghausen. Am nächsten Sonntag stehen weltweit brennende Kerzen im Fenster. Was das bedeutet und wie sich die Kirchengemeinde Essen-Rellinghausen beteiligt.
„Wo ich bin, bist auch du“, lautet die Überschrift für einen besonderen ökumenischen Gottesdienst, der am Sonntag, 10. Dezember, dem weltweiten Gedenktag für verwaiste Eltern, um 19.30 Uhr in der Kirche an der Oberstraße 65 in Rellinghausen beginnt. Wie bereits in den vergangenen Jahren haben Mitglieder einer Selbsthilfegruppe den Gedenkgottesdienst mit vorbereitet. Eingeladen sind Eltern, die Kinder verloren haben.
Betroffene Essenerin: „Wie in ein Vakuum eingepackt“
„Wenn das Kind stirbt, dann ist man wie in ein Vakuum eingepackt. Man kann es nicht verstehen. Da ist etwas, das nicht in den Kopf will.“ Gisela Fischer spricht aus eigener Erfahrung. 21 Jahre ist es mittlerweile her, dass ihr damals 19-jähriger Sohn verstarb. Heute arbeitet sie im Gemeindebüro der evangelischen Kirchengemeinde Essen-Rellinghausen und gehört zu dem Team, das gemeinsam mit Pfarrer Markus Söffge den Gottesdienst am kommenden Sonntag organisiert. „Irgendwann mit der Zeit kommt dann das Bewusstsein: Das Kind kommt nicht mehr wieder. Dann fängt man richtig an zu trauern. Und möglicherweise stürzt man sogar ab.“ Letzteres sei natürlich nicht immer der Fall. „Alle Menschen sind verschieden, und auch die Trauer ist unterschiedlich.“
Denn auch die Umstände des Verlustes sind nicht immer gleich. Von Bedeutung ist auch, ob man nun das Kind plötzlich verliert, etwa bei einem Verkehrsunfall, oder ob man sich darauf vorbereiten kann, etwa im Laufe einer langen Krankheit. Ob man ein Kind gleich nach der Geburt verliert, es vielleicht noch nicht einmal im Arm hatte, oder ob man schon gemeinsame Zeit miteinander verbracht hat. Ob man alleine ist oder ob es eine Familie gibt, ob der oder die Verstorbene Geschwister hat. „Ich kenne ein Ehepaar, die ihren Sohn verloren haben“, beschreibt Pfarrer Markus Söffge einen Fall. „Die hatten die Möglichkeit, diese Zeit besonders zu gestalten, auf die Trauer einzugehen bis hin zu einer Beerdigungsfeier. Aber auch dann bleibt immer die Frage: Wenn es dann geschehen ist, wie gehe ich um mit dem Schmerz, der ja bleibt?“
Selbsthilfegruppe und Ronald McDonald Haus organisieren Gottesdienst
Für alle diese Menschen, gleich welcher Religion oder Konfession, veranstaltet die Rellinghauser Gemeinde gemeinsam mit dem Ronald McDonald Haus am Essener Klinikum alljährlich am zweiten Sonntag im Dezember einen Gottesdienst. Seit einigen Wochen arbeitet ein Team im Gemeindehaus an der Bodelschwinghstraße 6 am diesjährigen Programm. „Ein paar Elemente gehören einfach dazu“, so Söffge, „beispielsweise das Gebet und der Segen für die Trauernden“. Auch jemand aus dem Vorbereitungskreis wird einige persönliche Worte sagen und aus dem eigenen Erleben erzählen.
„Wir überlegen uns aber auch immer ein Thema und spezielle Aktionen, bei denen die Menschen mitmachen können – aber nicht müssen.“ In diesem Jahr können die Eltern etwa einen Stern gestalten, ihn mit dem Namen des Kindes beschreiben oder einfach bemalen. In der Fürbitte werden dann die Namen noch einmal vorgelesen, bevor der Stern dann an den Weihnachtsbaum gehängt wird, der bis zum Sonntag noch aufgestellt wird. „Wir legen außerdem Steine bereit, die man ebenfalls gestalten kann“, erklärt Fischer. „Wir haben uns überlegt, dass es doch schade wäre, wenn jemand den Stein bemalt und dann einfach an seinen Platz mitnimmt. Deshalb gibt es an verschiedenen Stationen in der Kirche Kerzen, die die Eltern anzünden können und wo sie die Steine hinlegen können.“ Wer möchte, kann seinen Stein dann am Ende des Gottesdienstes mit nach Hause nehmen – als Erinnerung.
Austausch unter den Eltern soll helfen, mit der Trauer umzugehen
Gedenktag
Jedes Jahr am zweiten Sonntag im Dezember ist der Weltgedenktag für verstorbene Kinder. Beim „Worldwide Candle Lighting“ sind Menschen rund um den Globus eingeladen, zur Erinnerung an diese Kinder um 19 Uhr eine Kerze ins Fenster zu stellen. Das Licht soll als Zeichen der Verbundenheit aller weltweit Betroffenen durch die Zeitzonen und damit um den Globus wandern.
Der Gottesdienst, den die evangelische Kirche Rellinghausen gemeinsam mit dem Ronald McDonald Haus organisiert, findet am Sonntag, 10. Dezember, um 19.30 Uhr in der Kirche an der Oberstraße 65 statt: www.kirche-rellinghausen.de. Gisela Fischer leitet im Gemeindehaus an der Bodelschwinghstraße an jedem zweiten Dienstag im Monat um 19 Uhr eine Selbsthilfegruppe für verwaiste Eltern. Dort sind auch Eltern dabei, deren Kinder im Erwachsenenalter gestorben sind. Anmeldung: 0201 8407734.
Eltern verstorbener Kinder und die Essener Elterninitiative zur Unterstützung krebskranker Kinder e.V. laden ebenfalls am Sonntag, 10. Dezember, um 18.30 Uhr in die Melanchthonkirche in Essen-Holsterhausen zur Gedenkfeier ein. Unter dem Motto „Keep in touch“ wird in feierlichem Rahmen allen verstorbenen Kindern und Jugendlichen gedacht.
Es ist also eine Art mobiler Gottesdienst, bei dem man sowohl für sich bleiben als auch Menschen begegnen kann, die Ähnliches erlebt haben. Söffge: „Mitten unter uns, in jeder Stadt und jeder Ortschaft leben Familien, deren Schicksal es ist, ein Kind verloren zu haben. Diese Familien teilen miteinander die Erfahrung eines tiefen Eingriffs in ihr Vertrauen zum Leben, den Schmerz und unendliche Trauer.“ Der persönliche Austausch helfe, da ist er sicher, auch Jahre nach einem traumatischen Ereignis, mit der eigenen Trauer umzugehen.
Und doch soll die Veranstaltung am 10. Dezember, und das ist Söffge besonders wichtig, kein Trauergottesdienst sein, sondern ein „sinnlicher, persönlicher Gedenkgottesdienst“. Der übrigens allen offensteht: „Die Menschen, die kommen, sind ganz unterschiedlich. Wir schauen auch nicht auf Religion oder Konfession. Wir hatten auch schon muslimische Gäste, die mit uns der Kinder gedacht haben.“ Ein Angebot, das offensichtlich gerne genutzt wird: Die Organisatoren rechnen auch in diesem Jahr wieder mit bis zu 100 Besucherinnen und Besuchern.
Im Anschluss besteht zudem die Möglichkeit, sich an die Seelsorger zu wenden und Gespräche zu führen. „Man kann nach dem Gottesdienst mit uns sprechen“, sagt Söffge. „Und natürlich kann man auch in die Gruppe der verwaisten Eltern kommen.“ Gisela Fischer leitet im Gemeindehaus an der Bodelschwinghstraße diese Selbsthilfegruppe. Aus der eigenen Erfahrung kann sie berichten, wie wichtig eine solche Gedenkveranstaltung sein kann: „Das ist ein besonderer Tag. Man weiß: Wenn ich da hingehe, dann bin ich im Kreise derer, die mich verstehen, die meinen Schmerz kennen. Da muss ich keine Rücksicht nehmen, weil es ein geschützter Raum ist. Da muss ich nichts erklären, muss mich nicht entschuldigen, dass das doch schon so lange her ist. Ich darf noch einmal den Namen aufschreiben, den Namen noch einmal hören. Ich darf gedenken.“