Essen. CDU und Grüne lenken die Verkehrspolitik in Essen. Aber steuert die schwarz-grüne Ratskooperation noch in die gleiche Richtung? Ein Gespräch.
Den Fahrradverkehr wollen CDU und Grüne nach vorne bringen. Über die Umwidmung der Rüttenscheider Straße hätten sich beide fast überworfen. Das Anbringen von Haltebügeln dort erntete Gelächter, die Diskussion um einen Radhochweg für 77 Millionen Euro in Altenessen quittierten viele Bürger und Bürgerinnen mit einem Kopfschütteln. Wohin steuert die schwarz-grüne Ratskooperation in der Verkehrspolitik? Steuern Partner in die gleiche Richtung? Darüber sprach die Redaktion Ulrich Beul (CDU) und Stephan Neumann (Grüne), beide Verkehrspolitiker ihrer Fraktionen
WAZ: Ein Radhochweg in Altenessen für 77 Millionen Euro ist mit der CDU im Rat der Stadt nicht zu machen, sagt Fraktionschef Fabian Schrumpf. Gilt das auch für die Grünen, Herr Neumann?
Stephan Neumann: 77 Millionen Euro sind verdammt viel Geld. Es braucht am Bahnhof Altenessen aber eine Lösung. Wir sind in Altenessen komplett blockiert. Und das liegt an der zu hohen Schadstoff- und Lärmbelastung durch den Autoverkehr. Wir wollten dort ein Berufskolleg bauen, dürfen das aber nicht. Auch am Palmbuschweg darf nicht gebauten werden. Wenn wir es nicht hinkriegen, den Radverkehr in Altenessen attraktiv zu gestalten und den Autoverkehr zu reduzieren, ist jede weitere Entwicklung dort ausgeschlossen.
Die Verwaltung soll nun noch einmal nachrechnen. Lohnt es sich noch über einen Radhochweg nachzudenken?
Ulrich Beul: Wir sind von maximal acht Millionen Euro ausgegangen. Nachrechnen lohnt sich immer, aber ich glaube nicht, dass ein einstelliger Betrag dabei herauskommt. Das Projekt ist tot. So technisch sinnvoll ein Hochradweg auch sein mag, so viel Geld können wir in ein solches Projekt nicht stecken.
Neumann: Wer kostengünstige Lösung für eine durchgängige Nord-Süd- und Ost-West-Radverbindung kennt, gerne. Die günstigste Lösung ist ganz einfach: Wir müssten den Verkehrsraum neu verteilen…
…zugunsten des Radverkehrs und zulasten des Autoverkehrs. Wäre das mit der CDU zu machen, Herr Beul?
Beul: Nein. Den Autoverkehr an dieser Stelle einzuschränken, halte ich nicht für realistisch. Wir müssen vielleicht großräumiger denken und für den Radverkehr andere Wege finden. Aber da sind wir auf die Experten in der Verwaltung angewiesen.
Neumann: Oder es gibt eine Möglichkeit, einen Radhochweg anders zu bauen? Alle Welt schwärmt von Kopenhagen. Dort geben sie viel Geld für den Radverkehr aus. Aber natürlich ist ein Radhochweg kein günstiges Projekt.
Beul: Ich wehre mich gegen den Vergleich mit Kopenhagen. Der hört sich zwar schön an, aber Kopenhagen ist eine Hauptstadt, wo sie vielleicht viel mehr Geld haben für solche Projekte. Wir in Essen haben andere Probleme. Schulen, Kitas, der ÖPNV… Deshalb hinkt der Vergleich.
Sie beide haben den Bahnhof Altenessen als Standort für einen Radhochweg vorgeschlagen. Haben Sie nicht das Gefühl, die Stadtverwaltung hat sie ins offene Messer laufen lassen, als die Zahl von 77 Millionen Euro auf dem Tisch lag?
Neumann: Es ist ja nicht so, dass die Stadtverwaltung gesagt hat, ihr seid ja bekloppt. Im Gegenteil. Uns wurde signalisiert, der Bahnhof Altenessen sei eine Stelle, an dem sich eine solche Überlegung lohnt.
Beul: Am Bahnhof Altenessen gibt es erwiesenermaßen Probleme, die wir angehen wollen. Wir wollten aber kein Wolkenkuckucksheim bauen.
Umso größer war die Überraschung?
Beul. Natürlich. Vor allem als hieß 77 Millionen plus, minus 50 Prozent. Selbst bei einem Minus von 50 Prozent wären die Kosten immer noch astronomisch.
Muss man vielleicht akzeptieren, dass es in dieser Stadt Stellen gibt, wo es keine Lösung geben kann, die allen gerecht wird, wenn es um den Ausbau des Radverkehrs geht? Und ist der Bahnhof Altenessen eine solche?
Beul: Diese Frage treibt mich um, seit die Millionensumme für den Radhochweg im Raum steht. Wir haben schließlich noch andere Ideen für den Radverkehr. Ich denke an eine Nord-Südachse, auch dafür müssten wir Brücken bauen. Aus meiner Sicht ist all das in einen unrealistischen Bereich gerückt. Nicht nur in Altenessen stellt sich für mich die Frage: Können wir es uns überhaupt noch leisten, Radwege jenseits von Straßen zu bauen? Was wir stattdessen aber sicher nicht machen können, ist Radwege nur noch an Straßen zu markieren. Zumindest mit uns wäre das nicht zu machen.
Weil dies zulasten des Autoverkehrs ginge.
Neumann: Diese Frage gehen wir unterschiedlich an. Unsere Position als Grüne ist, dass wir überlegen müssen, wie wir den Verkehrsraum neu verteilen. Wenn wir den Modal Split ernst nehmen und bis zum Jahr 2035 den Anteil des Radverkehrs auf 25 Prozent steigern wollen, kommen wir gar nicht daran vorbei.
Dort, wo es um die Umverteilung des Verkehrsraum geht, gibt es Streit wie an der Rüttenscheider Straße, wo der Autoverkehr zugunsten des Radverkehrs zurückgedrängt wird.
Neumann: Die Rüttenscheider Straße ist doch ein Beleg dafür, dass wir kompromissfähig sind.
Ob der Kompromiss tragfähig ist, wird sich erst zeigen, wenn die beschlossenen Einschränkungen umgesetzt sind.
Neumann: Ich bin da optimistisch. Es gibt andere Beispiele, dass wir es hinbekommen. Auf der Schützenbahn zum Beispiel. Es wurde Zeter und Mordio geschrien, als dort die Umweltspur eingerichtet wurde. Der Verkehr würde zusammenbrechen. Nichts dergleichen ist geschehen.
Die Zahl der Fahrradfahrer auf der Schützenbahn ist aber sehr überschaubar.
Neumann: Die Frage ist, wie kommen Fahrradfahrer dort hin? Es muss uns gelingen, die Huyssenallee besser an die Umweltspur anzuschließen. So wie es jetzt ist, ist es kein Netz. Das ist das Problem.
Beul: Ein funktionierendes Netz muss das Ziel sein. Was hilft uns schon ein solitärer Radweg? Aber vielleicht müssen wir unsere Ansprüche an das Netz auch herunterschrauben.
Wie passt das zum Ziel 25 Prozent Radverkehr?
Beul: Ich will das 25-Prozent-Ziel nicht gleich infrage stellen, aber es geht doch um den Umweltverbund, also um 75 Prozent Rad-, Fuß- und öffentlichen Personen-Nahverkehr, die wir erreichen wollen. Aus meiner Sicht ist der ÖPNV der bessere Hebel. Draußen regnet es gerade in Strömen. Wer fährt bei diesem Wetter schon Fahrrad? Nur die ganz Hartgesottenen. Busse und Bahnen fahren aber das ganze Jahr und bei jedem Wetter. Wenn wir schon darüber reden, dass die Kosten aus dem Ruder laufen, dann ist es besser, das Geld in den Ausbau des ÖPNV zu stecken.
Neumann: Mehr ÖPNV bedeutet aber auch mehr Personal und höhere Betriebskosten. Beim Ausbau des Radverkehr ist das anders. Man braucht nur einen Bruchteil der Unterhaltungskosten. Wir Grüne sind nicht bereit, das 25-Prozent-Ziel aufzugeben. Aber vielleicht muss auch mal ein schmalerer Schutzstreifen genügen. Auch wenn sich die Fahrradverbände etwas anderes wünschen.
Mit dem Beitritt zum Radentscheid ist der Rat der Stadt die Verpflichtung eingegangen, den Radverkehr für viele Millionen Euro auszubauen. Ist der Rat zu weit gegangen?
Beul: Das würde ich nicht sagen, aber wenn sich die Rahmenbedingungen ändern und Kosten prognostiziert werden wie beim Radhochweg, die zehn Mal höher sind, als man annehmen durfte, dann muss man über vieles neu nachdenken. Das heißt nicht, dass wir keine Radwege mehr bauen. Selbst wenn wir dem Radentscheid nicht beigetreten wären, gibt es ja nun mal mehr Radfahrer. Die müssen sicher durch die Stadt fahren können.
Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club kritisiert, sie zünden mit Projekten wie dem Radhochweg Nebelkerzen, statt sich machbaren Projekten zu widmen.
Neumann: Wir widmen uns machbaren Projekten.
Sie bauen für fünf Millionen Euro die Gruga-Trasse aus, einen funktionierenden Radweg. Viele Bürgerinnen und Bürger haben dafür kein Verständnis.
Neumann: Die Grugatrasse wird von Fußgängern und Radfahrern genutzt. Es wurden extra Schilder aufgestellt, die mahnen aufeinander Rücksicht zu nehmen. Der Verkehr auf der Trasse wird zunehmen, wenn sie erst besser an das Radwegenetz angeschlossen wird. Es wäre fahrlässig, wenn wir uns darauf nicht vorbereiten. Deshalb ist es richtig, Rad- und Fußverkehr voneinander zu trennen.
Hand aufs Herz! Lässt sich das Ziel 25 Prozent Radverkehr erreichen?
Neumann: Ich halte es für realistisch, dass wir es schaffen können.
Beul: Aber nicht um jeden Preis.