Essen-Borbeck. Eine Borbeckerin möchte Kindern helfen und ihren Hund als „Vorlesehund“ zur Verfügung stellen. Was das ist und warum es vorerst gescheitert ist.

Butch ist einer von den ganz Ruhigen. Schaut sich erst einmal um, wer sich in seiner Umgebung aufhält, sucht dann die Nähe zu den Menschen. Und wenn diese erwidert wird, dann schmiegt er sich an. Butch ist ein Husky-Mischling, und wie alt er ist, kann seine Besitzerin, Dorothe Kiel, nicht sagen. Denn Butch kommt von einer Tierrettungs-Organisation, die das vereinsamte Tier aus dem Kriegsgebiet der Ukraine geholt hat. Was Kiel aber sagen kann, ist: „Butch versteht sich mit allen Menschen, mit Kindern und mit Senioren. Und ich möchte gerne Kindern mit Leseschwäche helfen. Das könnte man doch kombinieren.“ Dafür schwebt ihr ein Lesehund-Projekt für Essen vor.

Vorlesehunde: Idee für Essener Projekt stammt aus den USA

Vorlesehund-Projekte sind nicht neu. Im amerikanischen Salt Lake City startete 1999 das erste Programm von Intermountain Therapy Animals, und es hat sich immer weiter ausgebreitet. Bei diesen Programmen kommen geschulte Hunde in Büchereien und Schulklassen, setzen sich neben die Kinder und schenken ihnen Aufmerksamkeit, während diese ihnen vorlesen. Kiel: „Hunde korrigieren nicht. Wenn leseschwache Kinder Hunden vorlesen, haben sie mehr Selbstvertrauen und lesen flüssiger.“ Das zeigten Erfahrungen aus zahlreichen anderen Städten.

Der Anstoß, selbst so etwas auf die Beine zu stellen, folgte bei Dorothe Kiel nach dem Besuch eines älteren Ehepaares. „Das war zur Zeit der großen Hitze, da wollte ich den Hund nicht im Auto lassen, also habe ich ihn mitgenommen. Er hat die Katzen ignoriert, auch die Hausfrau, die Leckerchen für ihn hatte. Der schüchterne kleine Kerl ist schnurstracks hingegangen zu dem alten Mann, der dement ist, hat ihm die Schnute aufs Bein gelegt und ihn so lange angehimmelt, bis der Mann ihn gestreichelt hat und anfing zu strahlen.“

Auch andere Essener zeigen Interesse an der Idee aus Borbeck

Mit der Idee, ein Vorlesehund-Projekt zu starten, ist Kiel indes nicht allein. „Ein Freund von mir macht Führungen im Borbecker Schlosspark“, erzählt sie. „Wenn der mit Schulklassen unterwegs ist, hat er seinen Schäferhund dabei, der kann großartig mit Kindern.“ Schon er habe bei der Stadt angefragt, welche Voraussetzungen es für ein Vorlesehund-Projekt gibt, aber nie eine Antwort erhalten. „Er hat dann irgendwann aufgegeben. Der hat viele Ehrenämter, der hat also genug zu tun.“

Butch ist kein ausgebildeter Therapiehund. Allein daran könnte ein solches Projekt schon scheitern.
Butch ist kein ausgebildeter Therapiehund. Allein daran könnte ein solches Projekt schon scheitern. © Funke Foto Service | Dirk A. Friedrich

Tatsächlich gibt es mittlerweile in ganz Deutschland Leseförderungsprogramme mit Hunden. Warum sollte das in Essen nicht möglich sein? „Ich bin regelmäßig in der Stadtbibliothek in Borbeck und habe immer den Hund mitgenommen“, erzählt Kiel. „Also habe ich da eine Mitarbeiterin auf so ein Projekt angesprochen.“ Die Antwort: Das könne nur die Direktorin entscheiden. „Also habe ich sie angeschrieben, aber nie eine Antwort erhalten.“ Erst nach mehrmaliger Nachfrage in der Bücherei habe man ihr dann gesagt: Hunde seien in der Stadtbibliothek generell nicht erlaubt.

Hundeverbot in Bibliotheken und gesetzliche Vorgaben erschweren Umsetzung

Das bestätigt auch das Presseamt der Stadt Essen gegenüber dieser Zeitung. Generell sei es von den Stadtbibliotheken gerne gesehen, wenn Bürgerinnen und Bürger eigene Ideen und Vorschläge einbringen. „In dem angesprochenen Fall wurde die Idee eines Vorlesehundes an sich auch mit Begeisterung aufgenommen“, so Pressereferentin Jacqueline Riedel. „Allerdings braucht es für eine solche Veranstaltung einen geschulten Hund, der ähnlich wie bei einem Schulhund ausgebildet und geprüft ist.“

Genau das ist ein Knackpunkt, der auch in anderen Städten gilt: Nicht jeder freundliche Dackel ist gleich ein Vorlesehund. Dazu muss er als Schul- und Therapiehund ausgebildet werden. Das dauert ein bis zwei Jahre und kostet zwischen 1500 und 2500 Euro. Und: Die Leseprogramme sind meistens ehrenamtlich, also kann man kaum Einkommen erwarten.

Keine Zustimmung der Stadt für das Projekt der Borbeckerin

All das würde Dorothe Kiel nicht aufhalten. Die pensionierte Pfarrerin sagt, alleine durch ihren früheren Beruf sei sie „in Richtung Ehrenamt getrimmt“. Sie sei möglicherweise bereit, Butch zum Schul- und Therapiehund ausbilden zu lassen. „So weit war ich ja noch gar nicht“, sagt sie. „Wenn das gewünscht ist, würde ich mich da sofort schlau machen. Ich würde prüfen lassen, ob Butch dafür überhaupt in Frage kommt. Leider hat sich niemand wirklich mit meiner Idee beschäftigt. Darüber hätte man ja sprechen können und dann vielleicht auch noch andere Hunde dazu bekommen können.“ Sie sei bereit, die komplette Organisation zu übernehmen.

Interessierte gesucht

Wer Interesse hat, gemeinsam mit der pensionierten Pfarrerin ein ehrenamtliches Vorlesehund-Projekt zu starten, kann sich per E-Mail mit Dorothe Kiel in Verbindung setzen:

Kiel sucht sowohl weitere Hundebesitzer, idealerweise mit ausgebildeten Hunden, als auch Einrichtungen, die das Projekt in ihren Räumen möglich machen.

Nach der Antwort der Stadt ist nun aber klar: In einer städtischen Bücherei ist das Projekt nicht umsetzbar. „An sich ist das Mitbringen von Hunden in den Stadtbibliotheken nicht erlaubt“, so Riedel. „Auch allein aus versicherungstechnischen Fragen ist eine solche Veranstaltung, die mit einem privaten Hund durchgeführt wird, nicht einfach so möglich. Im Rahmen einer organisierten Veranstaltung müssten andere Gäste der Bibliothek, die möglicherweise Allergiker sind, die Angst vor Hunden haben oder sich gegebenenfalls gestört fühlen könnten, schon im Vorfeld informiert werden.“

Damit scheint die Idee zunächst gescheitert. Doch Kiel gibt nicht auf: „Vielleicht kann man so etwas ja auch an anderen Orten anbieten – es muss ja nicht eine städtische Bücherei sein. Vielleicht finden sich ein paar Menschen zusammen. Wenn man so etwas ins Leben ruft, dann könnte man ein Team bilden mit Besitzern von Therapiehunden.“ Sie hofft auf Interessenten auf beiden Seiten – Schulen beispielsweise und Hundebesitzer, mit denen „man gemeinsam etwas auf die Beine stellen könnte“.