Essen-Rüttenscheid. Seit zwei Wochen werden die Pläne der Stadt für die Rüttenscheider Straße diskutiert. Die Geschäftsleute auf der Rü haben eine klare Meinung.

Egal, ob sie nun aus Richtung Innenstadt oder aus Bredeney kommen – die Stadt möchte den Autoverkehr auf der Rüttenscheider Straße drastisch reduzieren. Teilweise soll die Rü zur Einbahnstraße werden, in den Nächten an den Wochenenden und vor Feiertagen soll sie sogar ganz für den Autoverkehr gesperrt werden. So sehen die Pläne der Essener Stadtverwaltung aus, gegen die Einzelhändler und Gastronomen aus dem Stadtteil am kommenden Samstag, 28. Oktober, demonstrieren wollen. Aber entspricht das wirklich der durchgehenden Meinung? Wir haben eine Umfrage gestartet und die Meinungen abgeklopft.

Essener Unternehmer: „Für den Einzelhandel wäre eine Änderung katastrophal“

Die Geschäftsleute auf der Rü tendieren tatsächlich in zwei Richtungen. Die eine ist eindeutig: „Wir wollen es so lassen, wie es ist.“ Ralph Cremer, Geschäftsführender Gesellschafter des Modegeschäfts Edelguth, ist nicht nur Initiator einer Facebook-Seite unter dem Titel „Finger weg von unserer Rü!“, sondern auch der Demonstration, die für den kommenden Samstag im Stadtteil geplant ist. „Für den Einzelhandel wäre eine Änderung katastrophal. Es kommen viele Menschen aus Düsseldorf, Mülheim, Oberhausen, Moers, aus dem Osten des Ruhrgebiets, teilweise auch von außerhalb des Ruhrgebiets nach Rüttenscheid. Und die kommen mit dem Auto.“ So schrecklich könne die Rüttenscheider Straße nicht sein, dass man sie komplett ändern müsse. „Die Rü lebt von dieser Atmosphäre und von den vielen Menschen. Außerdem: Freundlichkeit tut nicht weh. Wenn wir alle aufeinander Rücksicht nehmen, dann ist es möglich, dass wir die Situation vernünftig lösen.“

In die gleiche Richtung argumentiert auch Christel Elsweiler von Elsweiler Optik am Rüttenscheider Stern und zieht Vergleiche mit anderen Großstädten, die ebenfalls mit Verkehr zu kämpfen zu haben. „Ich war gerade drei Tage in Rom. Da sind die Straßen noch schmaler. Da sind Fahrradfahrer, Autos, jede Menge Touristen und an jeder Straße stehen Tische der Gastronomie. Niemand rast, alle sind tolerant. Mit ein bisschen Rücksichtnahme würde das auch bei uns funktionieren.“

Sperrung bedeutet Probleme für die Anrainer der Rü-Seitenstraßen in Essen

Probleme sieht sie zudem auf die Anwohner in den Seitenstraßen zukommen. Hier würde der Verkehr bei einer Sperrung der Rü deutlich zunehmen. „Aus Umweltschutzgründen werden wir zeitweise angehalten, die Alfredstraße zu umgehen. Und dann wird die Rü gesperrt.“

Die Rüttenscheider Straße ist eine der beliebtesten in Essen - und das nicht nur wenn die Kirschbäume blühen.
Die Rüttenscheider Straße ist eine der beliebtesten in Essen - und das nicht nur wenn die Kirschbäume blühen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Auch Ilona Lechtken, Geschäftsführerin des Bekleidungsgeschäfts Elemente Clemente, hält Veränderungen für einen Fehler: „Diese Sperrungen verkomplizieren alles. Ich habe mit älteren Kunden gesprochen, die darauf angewiesen sind, mit dem Auto zu kommen. Die würden einfach wegbleiben, wenn sie weit zu Fuß laufen müssten.“ Die Rüttenscheider Straße sei ein funktionierendes System, das man nicht ändern sollte. Zudem gebe es auf der Rü keine Unfälle und damit auch keinen Grund für Veränderungen. „Ich habe Angst um die Existenz der Geschäfte und der Gastronomie. Die haben in den letzten Jahren ohnehin gelitten, und jetzt werden ihnen neue Steine in den Weg gelegt.“ Eine Einschränkung macht sie dann aber doch: „Das Einzige, was man überlegen könnte, wäre vielleicht, dass man im Frühjahr und Sommer versucht, den Verkehr auf der Rü einzuschränken, wenn ich auch nicht weiß, wie man das logistisch umsetzen könnte. Aber in der dunklen Jahreszeit? Auf keinen Fall.“

Ampütten-Chef: „Ein Chaos wird durch ein größeres ersetzt“

Sie gehört zu den Geschäftsleuten, die kleineren Änderungen gegenüber durchaus nicht abgeneigt wären – die zweite Tendenz, die unter den Geschäftsleuten im Stadtteil auszumachen war. Kleine Änderungen, wohlgemerkt. „Wenn man Außengastronomie hat, kann man immer wieder beobachten, wie Fahrradfahrer und Autofahrer des Öfteren aneinandergeraten. Insofern wäre eine Beruhigung sicher gut“, sagt Patrick Ampütte, der an der Rü 42 die gleichnamige Gaststätte betreibt. „Wir haben jetzt schon Chaos auf der Rüttenscheider. Doch man blickt bei den neuen Plänen gar nicht durch: Wann wird was wo gesperrt? Da würde das eine Chaos durch ein größeres ersetzen.“

Christel Elsweiler erinnert zudem an frühere Maßnahmen: „Bis vor einigen Jahren gab es einen Schlagbaum, der Teile der Rü samstagsvormittags zur Fußgängerzone gemacht hat. Schon damals haben sich die Kunden darüber beschwert. Seit Jahrzehnten wird an der Rü herumgewerkelt, und immer sind wir Geschäftsleute und Gastronomen in heller Aufregung. Die breite Masse der Geschäftsleute ist dagegen, dass die Rü gesperrt wird. Das macht die Straße kaputt.“

Zentrales Problem des Essener Stadtteilzentrums ist der Lieferverkehr

Als eines der primären Probleme haben fast alle befragten Unternehmen den Lieferverkehr ausgemacht: Lkw parken vor allem vormittags in zweiter Reihe, Fahrradfahrer und Autos müssen überholen. „Ich hätte grundsätzlich kein Problem mit einer temporären Sperrung für Schwerlasttransporte“, sagt etwa Edyta Jurek-Küppers von Manufakt.Ruhr. „Es gibt mit Sicherheit andere Möglichkeiten, den Autoverkehr ein bisschen zu reduzieren. Aber ich bin dagegen, den Autoverkehr zu stark zu beschränken. Unsere Kunden kommen aus ganz NRW. Wenn die Rü gesperrt wird, könnten die wegbleiben.“

Längst gebe es Konzepte etwa von der Interessengemeinschaft Rüttenscheid, wie man den Lieferverkehr regeln könnte. „Dann müssen die Lkw eben in den Morgenstunden kommen, wo sie die Straßen nicht verstopfen, wenn andere bereits einkaufen“, sagt auch Christel Elsweiler und erhält dabei Unterstützung von Axel Ostermann von der Papeterie Petersen, der mit ein paar „flankierenden Maßnahmen“ wie temporären Ladezonen für Lkw durchaus leben könnte.

Essener Geschäftsleute: Mehr Polizeipräsenz auf der Rü wäre ratsam gewesen

„An der aktuellen Situation gibt es einiges zu verbessern“, so Ostermann. „Die Rü ist vor allem in den Vormittagsstunden verstopft. Man müsste den Anlieferverkehr limitieren und dafür ordentliche Ladezonen schaffen, die dann nach 11 Uhr wieder dem normalen Parken zugeschlagen werden. Dann müssten die Lkw nicht in zweiter Reihe stehen, was für Fahrradfahrer durchaus zu einer Gefahr werden kann. Wenn die großen Lkw nach 11 Uhr einmal weg sind, dann läuft der Verkehr.“ Und: Als die Rü zur Fahrradstraße geworden sei, habe er die Polizei vermisst. „Man hätte temporäre Blitzer-Aktionen starten und ein Überholverbot kontrollieren müssen.“ Damit hätte man die Autofahrer zu mehr Vorsicht animieren können.

Grundsätzlich machen sich alle Befragten Gedanken über die Gründe der Veränderungen. „Ich glaube, dass es bei den Maßnahmen gar nicht darum geht, den Stadtteil attraktiver zu machen“, sagt etwa Ostermann. Er sieht einen Zusammenhang mit dem Druck, den die Deutsche Umwelthilfe vor zwei Jahren auf die Stadt Essen ausübte, Maßnahmen für saubere Luft umzusetzen. „Man hat es ja geschafft, ein Dieselverbot für Essen zu vermeiden. Dafür hat man der Deutschen Umwelthilfe gewisse Maßnahmen wie Fahrradstraßen zugesagt. Und das muss jetzt unbedingt umgesetzt werden“, vermutet er.

Kaputte City – pulsierender Stadtteil: Ist Neid der Grund für die neuen Pläne?

In eine ganz andere Richtung geht dagegen ein Einzelhändler, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte: „Ich habe das Gefühl, dass man Rüttenscheid den Erfolg neidet. Es gibt hier viele inhabergeführte Geschäfte, kleine Cafés, wo man sich zwischendurch mal hinsetzen kann. Es gibt junge Leute, ältere Leute. Die Rü ist attraktiver als die Essener Innenstadt. Das neidet man der Rü. Mit den geplanten Einschränkungen macht man all dies sukzessive kaputt.“