Essen. Das 3,6 Millionen schwere Defizit von Rot-Weiss Essen bleibt nicht ohne Folgen für den geplanten Stadionausbau. Kritiker fühlen sich bestätigt.

Das Millionen-Defizit in der Kasse von Rot-Weiss Essen bleibt offenbar nicht ohne Folgen für den geplanten Stadionausbau. „Wir nehmen uns die Zeit, die wir brauchen“, sagte CDU-Fraktionschef Fabian Schrumpf im Gespräch mit der Redaktion. Von dem satten Minus, das RWE-Vorstand Marcus Uhlig den Vereinsmitgliedern auf der Jahreshauptversammlung offenbart hatte, sei auch er überrascht worden, ergänzte Schrumpf. Grundsätzlich habe seine Fraktion zwar Sympathie für den Stadionausbau. Es seien jedoch viele Fragen offen.

In der Diplomatenschule hätten sie wohl eine ähnliche Formulierung gewählt. Denn „überrascht“ umschreibt nur unzureichend, was die allermeisten der Anwesenden am vergangenen Sonntag in der Messe Essen empfunden haben. Viele sind schlichtweg geschockt.

Oberbürgermeister Thomas Kufen ließ sich tags drauf nur einen dünnen Kommentar entlocken: „RWE muss jetzt seine Hausaufgaben machen.“

Rot-Weiss Essen bemüht sich in einem offenen Brief um Schadensbegrenzung

Kufen saß in der ersten Reihe und wurde dem Vernehmen nach ebenfalls von der schlechten Nachricht kalt erwischt. 3,6 Millionen Euro Miese hat der Traditionsverein im Geschäftsjahr 2022 angehäuft, „eine Katastrophe“, wie Uhlig einräumte.

Beobachter fühlten sich schlagartig zurückversetzt in vergangene Zeiten, als sie an der Hafenstraße das Geld mit vollen Händen aus den zugigen Fenstern des Georg-Melches Stadion warfen. Zeiten, die der Verein, so schien es, längst hinter sich gelassen hatte.

Was folgte, quittieren selbst wohlwollende Teilnehmer mit ungläubigem Kopfschütteln. Die Regie lief aus dem Ruder, die Veranstaltung endete im Chaos. Zurück bleiben ein angeschlagener Vorstand, ein beschädigter Aufsichtsrat und viele offene Fragen.

Die drängendste lautet: Wie konnte es so weit kommen? Der Wirtschaftsplan, den Uhlig dem Aufsichtsrat vorgelegt hatte, war augenscheinlich auf Kante genäht, was per se nicht ungewöhnlich ist in einem Geschäft, das Profifußball heißt, in dem jede neue Saison eine Wette auf die Zukunft ist. Doch das Konstrukt hielt nicht. Warum?

Das mühsam erarbeitete Image von Rot-Weiss Essen ist angekratzt

Uhlig nannte einige Ursachen: Fehleinschätzungen bei der Kaderplanung, die Insolvenz des Trikotsponsors Harfid, eine Spende, die zugesagt war, aber nicht eintraf, gestiegene Sachkosten… Vieles bleibt im Ungefähren. Besorgniserregend klingt, dass das Ausmaß erst deutlich wurde, als sich Sascha Peljhan, Geldgeber und ehrenamtlicher Finanzvorstand, der Bücher annahm. Ein Controlling, das diese Bezeichnung verdient, gab es offenbar nicht. Das soll sich ändern, wie Uhlig versprach.

Am Mittwoch bemühte sich RWE mit einem offenen Brief um Schadensbegrenzung. Die wichtigste Botschaft: „Es liegt weder eine finanzielle Schieflage vor, noch droht eine Insolvenz.“ Mit Blick auf die Jahreshauptversammlung spricht Uhlig von einem „kommunikativen Desaster“ und gelobt Besserung. Das mühsam aufgebaute Image aber eines Vereins, der seriös zu wirtschaften weiß, bleibt angekratzt.

Beschädigt ist auch der OB. Kufen hat sich mit der Autorität und Kraft seines Amtes für den Ausbau des Stadions stark gemacht und dem Rat der Stadt empfohlen, als ersten Schritt 950.000 Euro an Planungskosten zu bewilligen. Im Frühjahr kommenden Jahres könnte der Baubeschluss für den Ausbau folgen, dessen Kosten die städtische GVE auf rund 22 Millionen Euro beziffert.

Im August kommt das Thema Stadionausbau erneut auf die Tagesordnung des Stadtrates

Kufen führt einen Strauß an Argumenten an, die dafür sprechen sollen. Nur wirken diese seltsam verdruckst. Die Fußballfrauen der SGS Essen spielen im Stadion an der Hafenstraße vor durchschnittlich 2000 Zuschauern. Für Stadionkonzerte bleibt nur die spielfreie Zeit; bislang gab es zehn, in diesem Sommer herrscht gänzlich tote Hose. Und Länderspiele sind schön zu haben, aber selten. Von mehr Plätzen und Logen im Stadion würde vor allem Rot-Weiss Essen profitieren. Doch es scheint, als traue sich niemand, das offen auszusprechen.

Im Juni hatte der Rat eine Entscheidung vertagt, im August kommt das Thema dort erneut auf die Tagesordnung. Dass RWE nun ein dickes Minus angehäuft hat, macht es Befürwortern des Stadionausbaus nicht leichter, für Kritiker ist es Wasser auf die Mühlen.

Die Grünen haben die Frage aufgeworfen, ob die Millionen zu Lasten neuer Schulen und Kindergärten gehen? Ganz so wie zu Zeiten des Messe-Ausbaus, nur saßen sie damals auf der Oppositionsbank. Ob CDU und Grüne beim Thema Stadion einen gemeinsamen Nenner finden?

Auf der Jahreshauptversammlung bemühte sich Christian Hülsmann, die Diskussion zu versachlichen. Der ehemalige Stadtdirektor und RWE-Aufsichtsratschef, hatte sich die Finanzplanung der Stadt für die kommenden beiden Jahre genau angeguckt: 780 Millionen Euro sollen investiert werden, davon 160 Millionen Euro in Schulen und 37 Millionen Euro in Kitas, referierte Hülsmann. Aber wer will das unter dem Eindruck des Millionen-Defizits so genau wissen?

Ob der Verein überhaupt in der Lage sei eine höhere Pacht zu zahlen, was aus Sicht der Stadt nach einem Ausbau unausweichlich wäre, fragt nun Grünen-Fraktionschef Stefan Neumann. 630.000 Euro pro Jahr sollen es aktuell sein.

Erst wenige Tage vor der Jahreshauptversammlung hatte sich eine Delegation der Grünen bei Marcus Uhlig über das Projekt informiert. Dass es eine finanzielle Schieflage gibt, habe der RWE-Chef mit keinem Wort angedeutet. Vertrauensbildend sei das im Rückblick nicht gewesen, bedauert Neumann.

Rot-Weiss Essen hat Vertrauen eingebüßt. Womöglich ist das der größere Schaden.