Essen. Der Rettungsdienst in Essen muss immer häufiger ausrücken. Die Einsatzzahlen sind um 40 Prozent gestiegen – auch wegen der vielen Bagatellanrufe.

Essens Ordnungsdezernent Christian Kromberg schlägt Alarm: Ohne zusätzliche Einsatzkräfte und weitere Fahrzeuge drohe der Rettungsdienst in Zukunft noch mehr überfordert zu werden. „Wir funktionieren, aber nur mit Ächzen und Knarzen“, sagte er bei der Vorstellung des überarbeiteten Rettungsdienstbedarfsplanes 2023. Eindringlich warnt der Spitzenbeamte davor, den Rettungsdienst in die Rolle des „Lückenbüßers“ zu drängen. „Die Überforderung geht auf die Knochen der Kollegen.“

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Im Laufe von zehn Jahren (2011 bis 2021) hat sich die Zahl der Rettungseinsätze für Feuerwehr und Hilfsdienste (DRK, Johanniter Unfallhilfe, Malteser, Arbeiter-Samariter-Bund) um 40 Prozent erhöht – Tendenz steigend. In absoluten Zahlen: 2021 gab es mehr als 163.000 Einsätze, davon entfallen fast 80.000 auf Notfallrettungseinsätze und gut 83.000 auf Krankentransporte. 2022 waren es schon 164.234 Einsätze.

In acht Minuten am Einsatzort – das klappt nur noch bei der Hälfte der Rettungseinsätze

Die Folgen dieser Entwicklung: Die hohe Selbstverpflichtung, spätestens acht Minuten nach Eingang des 112-Notrufs an Ort und Stelle zu sein, wird nicht mehr erreicht. Rund 50 Prozent der Einsätze sind die Rettungskräfte innerhalb von acht Minuten am Einsatzort, bei 90 Prozent der Einsätze dauert es höchstens elf Minuten. Das sind für den Ordnungsdezernenten „gute Zahlen“. „Aber wir wollen wieder das Acht-Minuten-Ziel erreichen.“

Ordnungsdezernent Christian Kromberg warnt davor, den Rettungsdienst in die Rolle des „Lückenbüßers“ zu drängen.
Ordnungsdezernent Christian Kromberg warnt davor, den Rettungsdienst in die Rolle des „Lückenbüßers“ zu drängen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Für die starke Zunahme der Einsatzzahlen gibt es triftige Gründe. Da ist zum einen die Alterung der Gesellschaft: Wer 90 ist, ist statistisch häufiger auf einen Rettungs- oder Krankenwagen angewiesen als ein 40-Jähriger. Weitaus dramatischer ist die ärgerliche Zunahme an Bagatellanrufen beim Feuerwehr-Notruf. Bereits im vergangenen Jahr hatte der stellvertretende Feuerwehr-Chef Jörg Wackerhahn Klartext gesprochen: „Die zunehmende Vollkasko-Mentalität der Menschen ärgert die Kollegen maßlos.“

Hinzu kommt eine zunehmende Orientierungslosigkeit bei Patienten: Längst nicht alle finden sich in dem komplexen Notfallsystem zurecht und kennen beispielsweise nicht den Unterschied zwischen dem ärztlichen Bereitschaftsdienst mit der bundesweit einheitlichen Hotline 116 117 und dem Feuerwehr-Notruf 112. Ein typisches Beispiel: Jemand klagt über Rückenschmerzen und hat in drei Wochen einen MRT-Termin. Obwohl nicht nötig, alarmiert er die 112.

Spürbare Entlastung verspricht sich die Stadt von der Einführung des Telenotarztes

Häufig reiche es völlig aus, den Hausarzt zu konsultieren oder in die Haus-Apotheke zu schauen. Ein krasses Beispiel aus Essen: Für einen 15-Jährigen wird die 112 alarmiert. Als die Rettungskräfte eintreffen, sehen sie sofort, dass es sich um eine relativ harmlose Schürfwunde am Finger handelt. Sie heften ihm ein Pflaster auf die Wunde und rücken ab.

Auf Grundlage der 2021er-Einsatzzahlen ergeben sich für die Gutachter konkrete Konsequenzen: So müsse die Zahl der Rettungsfahrzeuge (RTW) von 27 auf 40 und die der Krankenwagen von 45 auf 55 erhöht werden. Rein rechnerisch ergebe sich daraus ein Mehrbedarf von 150 Rettungssanitätern. Der Ordnungsdezernent kündigte bereits an, weiter verstärkt in die Ausbildung künftiger Rettungssanitäter investieren zu wollen.

Es fehlt eine Rettungswache im Bereich Zornige Ameise: Grundstück wird gesucht

Ferner wird geprüft, ein Kinder-Notarzt-Einsatzfahrzeug einzuführen. Spürbare Entlastung versprechen sich das Land und die Städte ferner vom sogenannten Telenotarztsystem. In Vorbereitung ist eine Trägergemeinschaft aus den Städten Essen, Mülheim und Oberhausen. Von der Leitstelle aus gibt der Telenotarzt den Rettungssanitätern vor Ort via Bildschirm klare Anweisungen für die medizinische Erstversorgung von Patienten im RTW.

Die Zahl der Feuer- und Rettungswachen im Stadtgebiet wird sich von aktuell 17 auf 20 erhöhen. Darüber hinaus werde eine zusätzliche Rettungswache im Bereich Zornige Ameise benötigt, die die Stadtteile Heisingen und Steele bedienen soll. „Gesucht wird dafür noch ein passendes Grundstück“, so Christian Kromberg.

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