Essen. Welt-Briefmarken-Messe in Essen. Zu sehen sind die teuersten Marken. Wieso keine Zacke fehlen darf – und wieso Sammler sauer auf die Post sind.

Internationale Briefmarkenmesse in Essen, zur Blauen Mauritius geht’s immer geradeaus, dann hinten rechts, Halle 7, das Zelt.

Zelt? Ja, im Dunklen lebt Papier länger. Sie haben jene Vitrinen in ein großes Zelt mit lichtdichten Wänden gestellt, in denen das Wertvollste, Seltenste und Teuerste liegt, das der internationale Philatelie-Markt zu bieten hat. Blaue und Rote Mauritius auf dem berühmten „Bordeaux-Brief“, dem einzigen Umschlag auf dem ganzen Globus, auf dem die rote und die blaue klebt, Wert des Briefes: knapp acht Millionen Euro.

Dann der „Hiroshima-Brief“ aus Japan, er überlebte den Atombomben-Angriff, Marktwert: gut und gerne fünfstellig. Und der „Baden-Fehldruck 9 Kreuzer“, die teuerste deutsche Briefmarke, wurde oft gefälscht, rund 1,3 Millionen wert.

Der Bundeskanzler schreibt ein Grußwort

Die „Internationale Briefmarkenausstellung IBRA“ in Essen: 110 Aussteller – Auktionshäuser, Postbehörden aus aller Welt, Verbände und Vereine. Es ist die erste Markenschau von Weltrang nach der Corona-Pandemie, die letzte war 2019 in, nun ja, China, und Bundeskanzler Olaf Scholz schreibt im Grußwort im Ausstellungskatalog: „Es freut mich sehr, dass diese schöne Ausstellung nach Jahren wieder in Deutschland stattfinden kann.“ Und bei Alfred Schmidt, dem Präsidenten des Bundes Deutscher Philatelisten, lesen wir im Grußwort, dass die Schau eigentlich schon 2021 stattfinden sollte.

Wie auch immer: „Ich bin jetzt 83 Jahre alt“, sagt Hans-Jürgen Ziegler, der aus Oberkirch im Schwarzwald angereist ist, „wann bekomme ich sonst noch mal die Blaue Mauritius und die anderen Marken zu sehen?“ Fragte er sich – und brach auf mit einer Gruppe befreundeter Sammler nach Essen, „zuletzt war ich übrigens 1963 hier, beim Deutschen Turnfest“. Turnen und Briefmarken waren oder sind die großen Leidenschaften von Hans-Jürgen Ziegler, folglich besitzt er eigenen Angaben zufolge eine der größten Sammlungen regionalweit von Briefmarken zum Thema Turnfeste.

Auf die Deutsche Post ist man nicht gut zu sprechen

Hauptsponsor der Internationalen Briefmarkenmesse ist übrigens die Deutsche Post, mit riesigen Sonderflächen und Extra-Stempeln und Marken mit Ruhrgebietsmotiven angesichts der „Ibra“ in Essen, aber: Ziegler und viele andere Sammler sind nicht gut auf das gelbe Unternehmen zu sprechen. „Die Post hat maßgeblich dazu beigetragen, dass das Sammeln von Briefmarken bei jungen Leuten nicht mehr gefragt ist“, behauptet Ziegler. Und führt ins Feld: Die Aufgabe von Postämtern, der Verkauf von Briefmarken in Shops und Kiosken, „die Angestellten dort dürfen ja noch nicht mal mehr selbst stempeln“, erzürnt er sich. Und Stempel: Philatelisten verachten die sogenannten „Wellenstempel“ der vollautomatisierten Briefverteilzentren, seelenlose Linien auf den Marken statt konkreter Angaben über Zeit und Ort, „das macht die Marken wertlos“.

So sieht’s aus auf der Briefmarkenmesse in Essen: Sie hat bis Sonntag, 28. Mai, geöffnet.
So sieht’s aus auf der Briefmarkenmesse in Essen: Sie hat bis Sonntag, 28. Mai, geöffnet. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Frage eines ahnungslosen Laien: Ist es wirklich so schlimm, wenn eine Zacke weg ist? Sammler Andreas Decker aus Beckum („Beckumer Briefmarkenfreunde“) korrigiert sanft: „Wenn ein Zahn fehlt“, sagt der 56-Jährige, „ist die Marke wertlos. Sie gilt dann als unvollständig.“

Erstmals in seinem Sammlerleben – alles fing an mit einem Album vom Patenonkel, da war Decker sechs Jahre alt – steht Decker jetzt vor Blauer und Roter Mauritius und sagt: „Das ist jetzt schon ein erhebender Moment.“ Und ja, er bestätigt, die gesamte Szene habe massive Nachwuchssorgen; „das hier ist das letzte Aufbäumen“, sagt er und blickt in die Messehallen. Man sieht Männer ab 60, eher 70, hier und da eine Frau, ganz selten jemand unter 55. Immerhin: Es gibt ein Jugend-Aktionszentrum in Halle 7, mit Spielen und Aktionen fürs junge Publikum.

Junge Leute gibt es kaum

Doch das junge Publikum muss erst mal gewonnen werden: „Ich selbst“, sagt Decker, „bin 56 Jahre alt und jüngster in unserem Verein.“ Briefmarkensammler unter 40 gebe es faktisch nicht, „das hat mit Handys und Computern zu tun“, und junge Leute, stellt er immer wieder fest, „die wissen noch nicht mal, was Briefmarken überhaupt sind. Dabei haben wir es hier mit einem Kulturgut zu tun.“

Decker kommt zur tragisch anmutenden Schlussfolgerung, dass „solche Messen wie diese hier in 20 Jahren wohl nicht mehr existieren werden“, und auch Hans-Jürgen Ziegler, der 83-Jährige aus dem Schwarzwald mit der großen Briefmarkensammlung zum Thema Sport, der sagt: „Ich weiß schon jetzt, dass meine Enkel mit meinem ganzen Bestand nichts mehr anfangen können. Das wird wohl alles im Container landen, wenn ich unter der Erde bin.“ Sagt’s und lacht, gelassen und unbekümmert wie es nur jemand sagen kann, der das Glück hatte, Erfüllung zu finden im Leben. Vermutlich werden die Briefmarken daran ihren Anteil haben.

„Ibra Essen“, noch bis Sonntag, 28. Mai, täglich 10 bis 18 Uhr, Sonntag bis 16 Uhr, Eintritt frei. Messehaus Ost (Haupteingang), Hallen 7 und 8