Essen-Rellinghausen. Dass AC/DC auch auf der Blockflöte funktioniert, beweist das Essener Trio „Wildes Holz“ seit 25 Jahren. Was das Kunsthaus Essen damit zu tun hat.

Was ist schlimmer als eine Blockflöte? Zwei Blockflöten. Tobias Reisige hat wahrscheinlich schon jeden Blockflöten-Witz gehört, und einigen von ihnen stimmt der Rellinghausener sogar zu: „Wenn man 20 kleine Kinder hat, die alle gleichzeitig Sopran-Blockflöte spielen, dann kann das schon mal im Ohr weh tun“, sagt er und weiß auch Abhilfe: „In einem Blockflötenorchester hat man tatsächlich alle möglichen Größen. Da besetzt man nur eine Sopranblockflöte und wird nach unten hin immer breiter.“

Blockflötenmusik klingt mit Blick auf familiäre Weihnachtskonzerte unter dem heimischen Baum eher unsexy, kann aber auf der Bühne eine musikalische Sensation sein. Bestes Beispiel für diese These ist die Band „Wildes Holz“, deren Frontmann Reisige ist. 1998 gründete er das Trio mit dem Kontrabassisten Markus Conrads und dem Gitarristen Anto Karaula. Auf dem Programm standen nicht Bach und Volkslieder, sondern Popmusik von Madonna bis „Highway to Hell“, letzteres mit Rock-Pose und einstudierter Choreografie, die einem Angus Young von AC/DC alle Ehre macht.

Aus Rellinghausen auf die Kleinkunstbühnen der Welt

Schnell bespielten sie mit abendfüllenden Programmen diverse Kleinkunstbühnen und sogar Festivals. Nach Antos tragischem Tod im Jahr 2018 gelang 2019 der Neuanfang mit dem Programm „Höhen und Tiefen“ und dem algerischen Gitarristen Djamel Laroussi. Doch Laroussi wollte sich wieder mehr um Projekte in seiner Heimat Algerien kümmern. Seit 2021 und für „Grobe Schnitzer“, Titel des aktuellen Programms, bearbeitet nun der Jazz-Gitarrist Johannes Behr den Sechssaiter.

Es gibt mehr als nur die C-Flöte: eine Auswahl der Arbeitsinstrumente von Tobias Reisige.
Es gibt mehr als nur die C-Flöte: eine Auswahl der Arbeitsinstrumente von Tobias Reisige. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Die Älteren im Publikum erinnern sich vielleicht an „The Fool on the Hill“ von den Beatles und natürlich an „Stairway to Heaven“ von Led Zeppelin. Tatsächlich ist die Blockflöte in der Popmusik aber sehr selten. Wie kommt ein erwachsener Mann, der sich für Pop und Rock interessiert, dazu, Blockflöte zu spielen? „Ich habe, wie viele andere auch, mit sechs Jahren angefangen“, erzählt Reisige. „Im Volksmund sagt man: Nach zwei Jahren Blockflöte wechselt man zu einem richtigen Instrument. Ich habe den Absprung halt nicht geschafft. Ich habe andere Flöten dazu genommen und auch noch Saxofon gelernt. Als es Richtung Studium ging, habe ich mich dann aber bewusst für die Blockflöte als Instrument entschieden, weil ich da auch wesentlich weiter und besser war als beim Saxofon.“

Jazz und Improvisation auf der Blockflöte

Jazz und Improvisation auf der Blockflöte standen dort im Mittelpunkt, aber natürlich auch die klassische Musik. Während des Studiums lernte Reisige seine beiden Mitstreiter kennen. Und schnell war man sich einig, gemeinsam Musik machen zu wollen. „Wildes Holz“ war geboren. Mittlerweile ist das Trio aus dem Fernsehen bekannt und gibt Konzerte nicht nur in Kleinkunsttheatern, sondern auch in der Elbphilharmonie in Hamburg und der Philharmonie im Essener Saalbau. Nebenbei haben sie auch zwei Notenbücher für Blockflöte herausgebracht.

Ungewöhnliches Instrument: Tobias Reisige von der Band „Wildes Holz“ spielt hier eine Subgroßbassblockflöte.
Ungewöhnliches Instrument: Tobias Reisige von der Band „Wildes Holz“ spielt hier eine Subgroßbassblockflöte. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Das eigene Studio, in dem CDs aufgenommen werden können, befindet sich im Keller den Kunsthauses Essen in Rellinghausen, in dem sich Reisige zudem noch im Vorstand als Kassenwart engagiert. „Seitdem ich hier um die Ecke wohne, habe ich das Kunsthaus kennen und lieben gelernt“, erzählt er. Zum einen sei es schön, das Studio in der Nachbarschaft zu haben. Zum anderen ist man bemüht, noch mehr Leben ins Kunsthaus zu bringen – mit Konzerten und Ausstellungen. „Ich betreue Künstler hier im Haus, und wir machen sechs oder sieben Ausstellungen pro Jahr.“ Da legt Reisige auch selbst Hand an: „Ich helfe beim Aufbau, beim Abbau und bei Renovierungsarbeiten.“

Neue Konzertreihe im Kunsthaus Essen

Auch eine Konzertreihe soll im Kunsthaus Essen etabliert werden. Reisige: „Hier sind mittlerweile sechs Musiker aktiv, aber noch viel mehr bildende Künstler. Wir versuchen aber, der Musik hier einen Platz zu geben.“ Dazu gehört eine neue Konzertreihe, der so genannte „Kunsthaus-Salon“ mit einer Pianistin, die ebenfalls im Kunsthaus angesiedelt ist.

In diesem Jahr ist für Reisige aber vor allem noch eines wichtig: Das 25-jährige Bestehen von „Wildes Holz“ soll gefeiert werden. Dafür geht das Trio auf Jubiläums-Tour unter dem Titel „25 Jahre auf dem Holzweg“. Dabei werden sie auch wieder in der Heimat, dem Ruhrgebiet, auf der Bühne stehen – etwa am 8. September im Ebertbad in Oberhausen, außerdem in Recklinghausen, Gelsenkirchen, Dortmund und Mülheim. Reisige verspricht: „Nach Essen kommen wir garantiert auch wieder.“

Und wie sind die Reaktionen im Publikum auf Rockmusik mit Blockflöte? Reisige: „Am schönsten ist es, wenn Leute im Anschluss zu mir kommen und sagen: Ich habe früher auch Flöte gespielt. Wenn ich gewusst hätte, dass sowas möglich ist, dann hätte ich nicht aufgehört. Ich habe die Blockflöte noch zu Hause. Ich glaube, ich hole sie mal wieder raus.“

Konzerttermine unter www.wildes-holz.de