Essen. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren nach dem Großbrand an der Bargmannstraße eingestellt - geht aber von fahrlässiger Brandstiftung aus.
Es gibt keine Hinweise auf eine technische Ursache oder darauf, dass das Flammeninferno an der Bargmannstraße absichtlich ausgelöst wurde. Gutachter gehen vielmehr davon aus, dass der verheerende Brand in dem Wohnkomplex in der Essener „Grüne Mitte“ durch „unsachgemäßen Umgang mit Tabakwaren“ ausgelöst wurde. Sprich: Die Glut einer achtlos weggeschnippten Zigarette gilt nach wie vor als der wahrscheinlichste Auslöser für das Flammeninferno im Februar des vergangenen Jahres.
Zwar sprechen die Ermittler deshalb weiterhin von fahrlässiger Brandstiftung. Weil diese Straftat am Ende jedoch „niemandem zugeordnet werden konnte“, so Staatsanwältin Sarah Erl auf Anfrage dieser Zeitung, sei das Verfahren nun eingestellt worden.
Was genau die glimmenden Tabakreste auf einem Balkon an der Bargmannstraße, der als „Brandentstehungsort“ gilt, entzündet haben, was also in der stürmischen Winternacht des 21. Februar dort zuerst Feuer gefangen hat - das habe sich nach dem massiven Schadensbild trotz der aufwendigen Spurensuche und -dokumentation nicht herausfinden lassen, sagte Erl.
Aus einem schwelenden Stummel wurde eine Feuersbrunst
Als die wahrscheinlichste aller denkbaren Varianten mag gelten: Angefacht von starken Winden wurde aus dem schwelenden Stummel am Ende eine Feuersbrunst, die sich rasend schnell über die Balkone entlang der Fassade ausbreitete, mit ihren höllischen Temperaturen von bis zu 700 Grad in kürzester Zeit die Vivawest-Immobilie bis auf ihr Stahl-Beton-Gerippe zerstörte und fast 100 Bewohnern die Bleibe nahm. Es klingt noch heute wie ein Wunder: Nur drei Bewohner erlitten eine leichte Rauchgasvergiftung und konnten das Krankenhaus bereits einen Tag später wieder verlassen.
Die Feuerwehr Essen umschrieb diesen glimpflichen Ausgang in einem internen Bericht so: „Zahlreichen glücklichen Umständen sowie dem baulichen Brandschutz ist es zu verdanken“, dass es nicht zu einer Katastrophe gekommen sei, als 35 Wohnungen binnen kürzester Zeit komplett ausbrannten.
„Die rasante und massive Brandausbreitung war selbst für erfahrene Einsatzkräfte außergewöhnlich“, schreibt die Behörde in dem Papier, das interessante Einblicke in die Abläufe einer Nacht liefert, die mit ihren fast schon apokalyptisch anmutenden Bildern für internationale Schlagzeilen gesorgt hat - selbst in China und den USA.
Der Wind findet eine große Angriffsfläche
Auszüge aus einem wahren Einsatzkrimi: Die ersten Kräfte, die nur wenige Minuten nach der Alarmierung am 21. Februar 2022 gegen 2.15 Uhr eintreffen, sehen sie bereits eine „ausgedehnte Flammenfront“ vom Erd- bis zum Dachgeschoss. Millionen Funken fliegen, die Gebäuderückseite zum Innenhof brennt zur Hälfte bereits lichterloh. Der Wind findet an der L-Form des Komplexes eine große Angriffsfläche und „treibt die Flammenfront regelrecht vor sich her. Zusätzliche Brandlasten auf den Balkonen wie zum Beispiel Gartenmöbel, Gasgrills, Auflagen und Balkonmöbel geben dem Brand zusätzliche Nahrung“, so die Feuerwehr.
Die Hitze ist schon so stark, „dass eine Annäherung selbst mit Schutzkleidung kaum möglich“ ist. Kaum dass die Retter zwei mobil eingeschränkte Mieter aus dem Haus geholt und sich die restlichen Bewohner „leicht bekleidet im letzten Moment selbstständig in Sicherheit gebracht“ haben, dringt der Brandrauch „mit Druck unter den Wohnungstüren in den Treppenraum ein“.
Die Kontrolle der einzelnen Wohnungen ist schwieriger als gedacht: Stahleinlagen in den Türen machen das Auftreten unmöglich, Motorkettensägen müssen den Weg bahnen, während die Sturmböen den Brand gnadenlos zu den angrenzenden Gebäuden mit den Hausnummern 27 und 29 tragen. Zu diesem Zeitpunkt hat die Wachabteilungsleiterin der Feuerwehr die vorausschauende Räumung der dortigen Wohnungen aber schon längst an die Polizei delegiert.
Die Wohnungen stehen schnell im Vollbrand
Derweil verschärft sich die Lage: Durchgängige Balkonverkleidungen und -bodenbeläge aus Kunststoff oder einem Holz-Kunststoff-Gemisch fangen über die gesamte Gebäudelänge Feuer. Nach Durchzündungen stehen die angrenzenden Wohnungen binnen kürzester Zeit in Vollbrand, alle Kräfte werden aus dem Innern abgezogen, nur noch eine Außenbrandbekämpfung ist möglich.
In der heißen Phase gehen mehr als 10.000 Liter Löschwasser pro Minute auf die Flammen nieder. Doch trotz der Bemühungen aller verfügbaren Einsatzkräfte gegen einen Brand, der erst nachlässt, als er keine Nahrung mehr findet - die Zerstörung ist nicht aufzuhalten und die Morgendämmerung zeigt ihr ganzes Ausmaß: Von dem über 60 Meter langen Komplex ist am Ende nur ein Skelett übrig, allein das Gebäude mit der Nummer 33 bleibt zumindest in Teilen unversehrt.
Bereits vor dem Jahrestag des Großbrands hat die Eigentümerin Vivawest entschieden, dass der unbewohnbare Riegel an der Bargmannstraße nicht abgerissen wird. Gutachter stellten fest: Eine Sanierung ist möglich. Das Unternehmen geht davon aus, dass ein Teil der 38 betroffenen Mietparteien in ihre ehemaligen Wohnungen im Westviertel zurückkehren wollen. Der Wiederaufbau soll im laufenden zweiten Quartal dieses Jahres starten.
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