Essen. Marcel Preuß (37) wurde im Februar aus dem brennenden Wohnkomplex im Essener Uni-Viertel gerettet. Wie er das Erlebte verarbeitet hat.

Was ihm fehlt, wird er womöglich erst im Dezember merken, wenn die Kerzen brennen und er zum Fotoalbum greifen möchte, um darin zu blättern. So hatte es Marcel Preuß vor einigen Monaten formuliert. Das Album mit den Fotos seiner Kindheit und Jugend gab es da nicht mehr. Es war verbrannt mit allem, was der 37-Jährige sonst noch besaß.

Geblieben war ihm nur sein Schlafanzug, sein Handy und der Rollstuhl, mit dem ihn zwei Nachbarn in der Nacht vom 20. auf den 21. Februar aus dem brennenden Wohnkomplex an der Bargmannstraße im Essener Universitätsviertel trugen.

Rund 130 Bewohner des Universitätsviertels wurden in der Brandnacht gerettet

Marcel Preuß ist einer von rund 130 Bewohnern, die damals gerettet wurden. Mehr als zehn Monate sind seit dem verheerenden Großbrand vergangen. Im Rückblick sagt Marcel Preuß heute: „Für mich war es ein gutes Jahr, auch wenn es paradox klingt.“

Marcel Preuß hat sich längst eingelebt in seiner neuen Wohnung in Rüttenscheid. Die erste Nacht hatte er mit Nachbarn im Audimax der Universität verbracht, wo die Retter eine Notaufnahmestelle eingerichtet hatten. Danach fand er eine vorübergehende Bleibe im Studentenwohnheim „Die Brücke“, bis ihm der Bürger- und Verkehrsverein Rüttenscheid eine behindertengerechte Wohnung anbot, wo er seitdem lebt.

Marcel Preuß berichtet, wie es ihm seit dem Großbrand an der Bargmannstraße ergangen ist.
Marcel Preuß berichtet, wie es ihm seit dem Großbrand an der Bargmannstraße ergangen ist. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Seitdem kämpfe er täglich mit den Mängeln des öffentlichen Personen-Nahverkehrs. „Selbst im hippen Rüttenscheid ist der ÖPNV eine Katastrophe“, erzählt Preuß, der seit seiner Geburt schwerstbehindert ist und im Rollstuhl sitzt.

Wer weiß, hätten seine Nachbarn in der Brandnacht nicht beherzt zugepackt, die Geschichte wäre womöglich weniger glimpflich ausgegangen. Damals rettete ein Rauchmelder ihm das Leben. Er sei kurz eingenickt, dann schlug der Rauchmelder an. Kurz darauf zerbarst die Scheibe seines Schlafzimmers. Preuß flüchtete in den Hausflur, wo er gerettet wurde.

Nein, Alpträume habe er keine, erzählt Marcel Preuß. Auch verspüre er weder Angst noch Brandgeruch in der Nase. Um herauszufinden, ob tief in seinem Inneren etwas zurückgeblieben ist aus der Brandnacht, hat er die Probe aufs Exempel gemacht. „Ich habe mir bei Ikea eine Kerze gekauft, die nach Buchenholz roch.“ Ausgelöst habe der Geruch nichts. „Dafür ging damals wohl alles viel zu schnell.“

Die Spuren des Brandes sind nicht zu übersehen.
Die Spuren des Brandes sind nicht zu übersehen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Das Erlebte hat Marcel Preuß verarbeitet. Dass er von Hause aus Physiker ist, mag es ihm leichter gemacht haben. Von seinem Arbeitsplatz bei einem Unternehmen aus der Energiebranche ist es nicht weit zu seiner alten Wohnung an der Bargmannstraße. Hin und wieder mache er einen Schlenker, um zu sehen, wie es heute dort heute aussieht, erzählt er.

Die Spuren, die das Feuer hinterlassen hat, sind nicht zu übersehen. Doch sein früheres Zuhause sei ihm fremd geworden. Sechs Jahre hat Marcel Preuß in der Bargmannstraße gewohnt. Die Nachbarschaft beschreibt er als anonym. „Es gibt keine Verbindungen mehr.“ Auch nicht zu seinen Rettern, denen er dankbar ist. Berichte in der Presse über den Brand verfolgt er. Die Brandursache ist bis heute ungeklärt, der Abschlussbericht der Sachverständigen steht noch aus. Wüsste man, was die Katastrophe entfacht hat, es würde nichts ändern, sagt Preuß. Das Leben geht weiter.

Seine Daten sollte man vor einem Totalverlust sichern, rät Brandopfer Marcel Preuß

Dankbar sei er vor allem den Freunden und Kollegen, die ihm geholfen haben, sich in seinem neuen Leben zurechtzufinden. Indem sie ihm bei Einkaufen halfen, beim Einrichten der neuen Wohnung oder weil sie einfach nur für ihn da waren.

Was nimmt er mit aus dem Erlebnis in besagter Februarnacht, das man jedem ersparen möchte? Dass Digitalisierung ungemein wichtig sei. Seine Daten solle man regelmäßig in einer Cloud speichern, damit bei einem Brand oder einer anderen Katastrophe nicht der Totalverlust droht, sagt Preuß.

Ein neues Fotoalbum ist noch ein Projekt, kein digitales, sondern eines zum Anfassen. Die Bilder will er sich bei seinen Geschwistern besorgen. „Ich bin ja auch darauf“, sagt Marcel Preuß. Auch das sei für ihn ein Perspektivwechsel.