Essen. Ein neues Essener Forschungszentrum widmet sich der Migration: Wie gelingt Integration? Wie lässt sich eine wachsende Radikalisierung vermeiden?

Salafisten, Dschihadisten, die „Steeler Jungs“ und rechtsradikale Chatgruppen bei der Polizei… „Die Themen liegen hier auf der Straße“, sagt Burak Copur. Deshalb sei es alles andere als ein Zufall, dass das „Zentrum für Radikalisierung und Prävention“ seinen Sitz mitten im Ruhrgebiet hat. Als Einrichtung der Internationalen Hochschule (IU) betreiben Wissenschaftler ab sofort Ursachenforschung und suchen gemeinsam mit Experten aus der Praxis nach Lösungen.

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Burak Copur saß zehn Jahre für die Grünen im Rat der Stadt Essen, war Vorsitzender des Integrationsrates und Sprecher seiner Fraktion. Als Politikwissenschaftler wurde der Türkei-Experte zum Leiter der neuen Forschungseinrichtung mit Sitz an der Kruppstraße gewählt.

Die anstehende Parlaments- und Präsidentschaftswahl, zu der auch in Deutschland lebenden Türkinnen und Türken aufgerufen, ist nur ein aktuelles Thema, dass den Politologen und sein Team umtreibt. „Essen ist eine Hochburg der AKP in Deutschland“, sagt Copur. Bei der vergangenen Wahl gaben 80 Prozent der Partei von Staatspräsident Erdogan ihre Stimme. Der Experte wagt die Prognose, dass das Ergebnis bei der kommenden Wahl kaum anders ausfallen wird.

Das neue Essener Forschungszentrum will „intellektuelle Feuerwehr“ sein

Wie sollen Stadt und Gesellschaft mit dem Rechtspopulismus unter Migranten umgehen? Wie mit einer Radikalisierung, die ihren Ausdruck in Corona-Leugner und Verschwörungstheorien findet und die bis in die bürgerliche Mitte reicht? Das Spektrum ist breit, die Probleme, denen sich das neugegründete Forschungszentrum annehmen will, sind vielfältig. Der eigene Anspruch ist dieser: nicht im Elfenbeinturm verharren, sondern „intellektuelle Feuerwehr“ sein, wie es Burak Copur formuliert.

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, suchen die Theoretiker den Schulterschluss mit Praktikern. Kooperationspartner ist die CSE, der Zusammenschluss von Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Thomas Rüth ist dort Abteilungsleiter und Sozialarbeiter. Seit Jahrzehnten beschäftigt er sich mit den Lebensverhältnissen insbesondere im Essener Norden. Als profunder Kenner gibt Rüth die Richtung vor: „Wir müssen die Probleme beim Namen nennen. Diese Region kann Zuwanderung.“ Aber: „Wir befürchten, dass wir an eine Grenze geraten.“

Integration ist auch eine Herausforderung für die Stadtentwicklung

Rüth erinnert an den Anschlag auf den Sikh-Tempel im Jahr 2016, begangen von drei Heranwachsenden, und an Moscheen, die unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen. „Das sind Realitäten, mit denen wir umgehen müssen.“

Die brennende Frage, die sich stellt: Wie lässt sich verhindern, dass sich insbesondere Jüngere radikalisieren? „Wir brauchen ein kommunales Konfliktmanagement“, sagt Rüth, ein Zusammenspiel Stadtverwaltung, Polizei und Sozialverbänden.

Prävention soll bestenfalls verhindern, dass es erst gar nicht brennt. Die bisher praktizierten Ansätze werde man auf den Prüfstand stellen, kündigt CSE-Geschäftsführer Andreas Bierod an. Thomas Rüth sieht nicht zuletzt die Stadtentwicklung in der Verantwortung: „Wie lassen sich Quartiere gestalten, dass Integration gelingen kann?“ Das neue „Zentrum für Radikalisierung und Prävention“ dürfte sich auch damit befassen. „Wir wollen uns einbringen und einmischen“, kündigt Burak Copur an.

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