Essen. Für ihren Protest gab’s nicht nur Beifall. Entmutigen lässt sie sich dadurch nicht. Wer ist die Frau, die sich Klimaschutz-Lobbyistin nennt?

Neulich ließ sie sich im Stadtgarten aus Protest an einen Baum fesseln. Mit Plastikfolie. Im Internet erntete sie dafür nicht nur Beifall. Einige überschütteten sie mit Spott und Häme. Eine Umweltaktivistin fesselt sich mit Einwegfolie an einen Baum? Was, bitteschön, soll das denn?

Mit der Aktion wollte Maria Lüttringhaus darauf aufmerksam machen, dass das viel zu kleine Baumbeet mit Kunststoffmatten abgedeckt ist. Warum auch immer. Regenwasser kann die Wurzeln dadurch nicht erreichen. Nur ging das in der medialen Berichterstattung leider unter.

Die 59-Jährige lässt sich durch so etwas nicht entmutigen. Es war nicht ihre Schuld. Fehlschläge wie dieser gehören dazu. Schließlich geht es um das große Ganze. Um den Klimaschutz. Um die Rettung der Welt. „Niemand soll sagen, wir hätten es nicht gewusst.“

Ihr Wohnzimmer im Essener Ostviertel wird zum Stadtteilbüro

Wer ist die Frau, die sich selbst Klimaschutz-Lobbyistin nennt? Maria Lüttringhaus ist promovierte Erziehungswissenschaftlerin, saß in den 1990er Jahren für die Grünen im Rat der Stadt. Lüttringhaus stammt aus München. Ihr Vater ist Pförtner, ihre Mutter Fleischfachverkäuferin. Während des Studiums wohnt sie in einer Garage für 400 Mark im Monat. Wohnungen sind in der Landeshauptstadt auch damals knapp und teuer. Dank eines Stipendiums bringt sie es zum Doktortitel. „Ich möchte dieser Gesellschaft auch etwas zurückgeben, weil ich ganz viel Glück hatte und Unterstützung“, sagt sie heute. Das Wissen, dass sie in ihrem Berufsleben erworben hat, wolle sie weitergeben.

1991 zieht sie nach Essen, arbeitet an der Uni am Institut für Stadtentwicklung. Sie wohnt im Ostviertel, libanesische Großfamilien sind ihre Nachbarn. Ihr Wohnzimmer wird zum Stadtteilbüro. Nicht Theorie ist ihr Ding, sondern Praxis.

Maria Lüttringhaus engagiert sich in der Kommunalpolitik, mischt bei den Grünen mit, ohne je Mitglied zu werden. Sie bekommt drei Kinder, baut ihr eigenes Institut für Sozialraumforschung auf und erwirbt damit bundesweites Renommee.. „Wie schaffst Du das bloß“, sei sie oft gefragt worden. Komisch. Ihren damaligen Lebensgefährten und Vater ihrer Kinder habe man das nie gefragt, wundert sie sich noch immer.

Maria Lüttringhaus engagiert sich ehrenamtlich für Inklusion und Klimaschutz.
Maria Lüttringhaus engagiert sich ehrenamtlich für Inklusion und Klimaschutz. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Aus der Politik zieht sie sich nach einigen Jahren zurück. Wer Beruf und Ehrenamt ernst nimmt, weiß wie schwer es ist, beidem gerecht zu werden. Lüttringhaus ist aber auch genervt vom ewigen Kleinklein. Von nicht enden wollenden Debatten, die sie manchmal an „Das Leben des Brian“ erinnern, den Kino-Klassiker der britischen Komikergruppe Monty Python: Judäische Volksfront gegen die Volksfront Judäas. „Wer hat Recht? Nur darum geht es? Ich hasse das“, sagt Lüttringhaus.

Auf ihrem Haus im Südviertel lässt sie eine Photovoltaikanlage installieren

Sie selbst hält mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg. Ehemalige Weggefährten bewundern sie noch heute wegen ihrer „Power“, wegen ihrer Beharrlichkeit: „Die gibt nie auf.“

Maria Lüttringhaus denkt und redet schnell. „Die Fridays-for-Future-Bewegung hat mich wachgerüttelt“, erzählt sie. Es seien die selben Themen wie damals als sie selbst jung war. „Ich habe den Club of Rome gelesen.“ 1972 warnte eine weltweite Expertenkommission vor den Grenzen des Wachstums und vor den Folgen für die Welt.

Maria Lüttringhaus engagiert sich in der Anti-Atomkraft-Bewegung, demonstriert in Gorleben, wo ein Endlager für radioaktiven Abfall entstehen soll. Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach einer Scheune ganz in der Nähe habe sie finanziert. Dieser Tage montieren Elektriker eine solche Anlage auf ihrem Haus im Südviertel, in den Keller kommt ein Stromspeicher.

Sie ist gläubig, hat mit der katholischen Amtskirche aber nichts am Hut

Maria Lüttringhaus will etwas für den Klimaschutz tun. Ihr Konsumverhalten hat sie verändert, sie lebt vegetarisch, verreist mit der Bahn. Anderen will sie zeigen, dass auch sie etwas tun können. Die energetische Sanierung ihres Altbaus soll als Beispiel dienen. Finanziell kann sie es sich erlauben. Ihr Institut hat sie verkauft, wirtschaftlich geht es ihr gut. „Aber ich arbeite nicht weniger als früher beruflich, sondern mehr“, erzählt sie.

Maria Lüttringhaus engagiert sich ehrenamtlich in diversen Initiativen. Als „Raumbotschafterin“ wirbt sie für eine klimagerechte Stadtentwicklung, sie initiiert ein Netzwerk für Klimainitiativen und übernimmt die Aufgabe der Inklusionsbeauftragten in der Bezirksvertretung. Aktuell ringt sie um den Erhalt der alten Kunstwerkerschule in Bergerhausen, ein ökologisches und inklusives Wohnprojekt soll dort entstehen. Maria Lüttringhaus tanzt auf vielen Hochzeiten. Im Gespräch kommt man als Zuhörer kaum hinterher, zuweilen klingt sie rastlos. Ja, sie könne eine Nervensäge sein, sagt sie selbst.

Im „Lüttringhaus“ Leben Menschen mit Behinderungen so selbstbestimmt wie möglich

Was treibt sie an? „Ich wurde katholisch erzogen“, erzählt Lüttringhaus. Mit der Amtskirche habe sie nichts am Hut. Aber ihren Glauben habe sie nie verloren. Demut und wie wertvoll das Leben ist, hat sie von ihrer Tochter Emma gelernt, die mit elf Jahren an Parkinson erkrankte.

Maria Lüttringhaus gründete den Verein „Emma und wir“ und das „Lüttringhaus“, ein Wohnprojekt in Frohnhausen. Das Ziel: Menschen mit Behinderungen sollen ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen. Im „Lüttringhaus“ sind sie heute zu acht. Emma ist vor zwei Jahren gestorben, 21 Jahre jung.

Maria Lüttringhaus erzählt von den leuchtenden Augen ihrer Tochter, die das Leben geliebt habe. Es ist ein stiller Moment. Nein! Aufgeben gilt nicht. Dafür lässt sie sich auch mit Plastikfolie an einen Baum fesseln. Mancher mag das lächerlich nenen oder Aktivismus. Bremsen wird sie das nicht.