Essen. Vier Kangals warten im Tierheim Essen auf ein Zuhause. Manche schon jahrelang. Warum sie angeschafft werden und die Vermittlung so schwierig ist.
Die meisten von ihnen landen als Fundhunde im Tierheim Essen, angebunden oder ausgesetzt. Oftmals werden sie aus dem Türkeiurlaub mitgebracht und wachsen ihren Haltern dann nicht nur körperlich rasch über den Kopf: Vier Kangals warten derzeit auf ein neues Zuhause. Mitarbeiterinnen im Tierheim berichten, was die Herdenschutzhunde ausmacht, warum ihre Vermittlung so schwierig ist und die Hunde mitunter gefährlich sind.
Fancy ist nun ein gutes Jahr alt und lebt vier Monate davon im Tierheim, vor dem sie mit einer Eisenkette festgemacht worden ist. Es war abends in der Notbereitschaft, als Mitarbeiter sie entdeckten und schließlich mit Hühnchen in einen Zwinger locken konnten. Vermutlich kam sie von einem Hof, ganz sicher ist aber, dass die Hündin sich voll in der Findungsphase befindet.
Was Tierpflegerin Djanah Mostowfi recht neutral umschreibt, bedeutet, dass Fancy nun ihre Grenzen testet. Denn sie ist nicht nur ein verspielter, aufgeschlossener Junghund, sie hat mit einer Größe von 80 Zentimetern und 52 Kilogramm Gewicht vor allem immense Kraft. Wer sie aufnimmt, muss ihr daher nicht nur körperlich gewachsen sein, sondern sie jetzt in dieser Phase einschränken. „Sonst wird sie die Chefin im Ring.“
Denn außer ihre stattlichen Figur bringen Kangals als Herdenschutzhunde rassetypische Eigenschaften mit, die das Zusammenleben bestimmen und bei nicht artgerechten Umgang auch scheitern lassen. „Als Herdenschutzhunde bewachen Kangals in ihrer Heimat ihre Herde oftmals ohne menschliche Nähe und entscheiden selbst, wann und ob Gefahr droht“, beschreibt Tierheimleiterin Jeanette Gudd.
Aus kleinem Bärchen als Urlaubsmitbringsel wird ausgewachsener, eigenständiger Bär
Bis zu einem gewissen Maß könnten sie Regeln akzeptieren und Menschen tolerieren, wobei ihre Familie ein enger Kreis bleibe. Man könne einen Kangal durchaus erziehen, „aber er wird niemals ein Schäferhund, der dem Menschen gefallen möchte“, betont sie. So ist mancher überrascht und bald überfordert, wenn aus dem kleinen Bärchen als Urlaubsmitbringsel ein ausgewachsener, eigenständiger Bär wird. Manchmal würden Kangals in Deutschland auch als Labrador-Mischlinge vermittelt. „Die blonde Fellfarbe täuscht“, weiß Jeanette Gudd aus Erfahrung. Das gelte ebenso für andere Herdenschutz-Mischlinge (Mioritic, Sarplaninac), die derzeit etwa aus Rumänien angeboten werden.
Der Kangal sei zur beliebten Rasse und auch zum Statussymbol geworden, als andere wie Staffordshire Terrier, Pitbull Terrier und Bullterrier per NRW-Landesverordnung zu Listenhunden wurden, für deren Haltung es zahlreiche Auflagen zu erfüllen und in Städten wie Essen hohe Steuern zu zahlen gilt (852 statt 156 Euro). Diese sind 2001 als gefährliche Hunde eingestuft worden.
Wie gefährlich ein Kangal werden kann, das zeigen Vorfälle aus anderen Städten, bei denen etwa eine Seniorin in Süddeutschland an den Bissverletzungen starb. Im Essener Tierheim war es glücklicherweise ein erfahrener Gassigeher, der mit einem Kangal spazieren war, als dieser ihn angriff. „Wenn es jemand anders gewesen wäre, hätte dieser Vorfall ganz arg enden können“, sagt die Tierheimleiterin. Dieser Hund sei eingeschläfert worden.
Pascha hingegen, der als Sorgenfall an der Grillostraße galt, wurde im Vorjahr vermittelt. Möglich machen das die engagierte Arbeit der Tierpfleger und -pflegerinnen sowie die regelmäßigen Übungsstunden mit den externen Trainern, die zweimal in der Woche ins Tierheim kommen. „Im neuen Zuhause lebt Pascha inzwischen ohne Maulkorb“, berichtet Jeanette Gudd von der Verantwortung bei einer Vermittlung und den anfänglichen Problemen zwischen dem neuen Halter und dem Rüden, der fünf Jahre lang im Tierheim gelebt hat.
Nach seiner Vermittlung hat Pascha den Kontrolleur wieder heraushängen lassen
Dorthin kam Pascha, nachdem er in seiner früheren Familie den pubertierenden Sohn kontrolliert und dabei in die Ecke gedrängt hat. „Sein erster Besuch beim Tierarzt endete mit dem ausgerenkten Rücken der Pflegerin“, beschreibt Djanah Mostowfi den Rüden, der sich erst nicht streicheln und schließlich mit Keksen bestechen ließ. Nach seiner Vermittlung habe er nun den Kontrolleur wieder heraushängen lassen, die Menschen aber hätten den Kampf gewonnen, Pascha dürfe bleiben.
Wenn Cinnamon (gefunden von der Polizei an der Bochumer Landstraße) schneller auszieht, wäre das gut: Denn sie ist gerade einmal neun Monate alt, ist tapsig, verspielt, hat jede Menge Flausen im Kopf. Gleichzeitig braucht sie jemanden, der der etwas unsicheren Hündin klar macht, dass sie fremde Menschen nicht anknurren darf. „Das muss jetzt schon unterbunden werden, bevor sie jemanden stellt oder Schlimmeres passiert“, sagt Djannah Mostowfi.
Vorbesitzer wollte Hündin am Essener Hauptbahnhof an neue Halter übergeben
Für eine Vermittlung sollten Interessierte Hundeerfahrung mitbringen. Ein gesichertes Gelände wäre im künftigen Zuhause gut, eine Wohnung eher ungeeignet – die Großstadt ist das meistens auch. „Denn vom Bewachen wird man einen Kangal nicht abhalten“, sagt die Tierpflegerin über die Eigenschaft, die in der Rasse steckt. An Besucher werde man ihn ganz langsam gewöhnen und immer wieder damit rechnen müssen, dass ein Kangal hinterfragt, ob er wirklich das tun müsse, was die Menschen von ihm wollen.
Storms Vorbesitzer wollte die Hündin gerade am Hauptbahnhof an neue Halter übergeben, als die Polizei auf diese Art der Vermittlung aufmerksam wurde. Storm kam so vor sechs Monaten ins Tierheim, wo die Pfleger die Zweijährige als ausgelassen und verspielt beschreiben. Andere Hunde pöbelt sie gern an, setzt dabei an der Leine ihre ganze Kraft ein, so dass es ein regelrechter Kraftakt sein kann, sie zu halten. Bei Menschen kommt es im Umgang mit ihr darauf an, ob sie ihnen vertraut. Dann bindet sie sich wie an Djanah Mostowfi, die ihr im Zwinger sogar das Spielzeug abnehmen kann. Ihre Kollegin aber akzeptiert Storm nicht. „Würde meine Kollegin es weitertreiben, würde die Situation wohl eskalieren“, weiß die Tierpflegerin um die gebotene Vorsicht.
Die gilt bei Aslan ebenfalls, mit dem sie stets zu zweit spazieren gehen. Denn sieht der Kangal einen anderen Hund und kommt nicht hin, lässt er seinen Frust mitunter an seinen Gassigängern aus. Vor über vier Jahren war es ein kleiner Amoklauf in Duisburg – wie die Pfleger es nennen –, der ihn ins Essener Tierheim brachte. Der Rüde war aus seinem Gelände ausgebrochen und jeder Versuch ihn einzufangen, endete mit mindestens einem gebissenen Passanten oder Polizisten. Auch bei Aslan stand im Raum, ihn einzuschläfern. Doch mit Hilfe der Trainer hat er eine Chance bekommen.
Es bräuchte nochmals ein Wunder, so wie bei Pascha, um Aslan zu vermitteln
Eine Woche lang behielt Aslan den Maulkorb im Tierheim zunächst rund um die Uhr auf. Musste er zum Tierarzt, halfen nur Sedierung oder vier Männer, die ihn gleichzeitig festhielten. Im Laufe der Jahre hat Aslan manches gelernt, ist in vielen Situationen zu händeln. „Dazu tragen Alter und Vertrauen bei“, sagt Djanah Mostowfi, die ihn inzwischen bürsten kann und weiß, dass man mit einem Kangal einen loyalen Hund an seiner Seite hat.
Der Rüde wird ruhiger, das Fell an seiner Schnauze grauer. Immer noch reagiert er vehement auf fremde Menschen und auf Kinder, die sich schnell bewegen. Unterschätzen wird man ihn nicht dürfen, sondern vielmehr so nehmen müssen, wie er nun mit seinen etwa zehn Jahren ist. Es bräuchte nochmals ein Wunder, so wie bei Pascha, damit auch Aslan vermittelt wird. Darauf hofft seine Pflegerin sehr, die sich Tag für Tag um ihn kümmert. Ein bisschen traurig wäre sie schon, „aber viel schlimmer wäre es, wenn er hier im Tierheim stirbt.“