Essen. Die weltweit gefeierte Performance-Künstlerin Marina Abramović unterrichtet in Essen. Krönung der Arbeit wird eine Performance im Museum Folkwang

Man hat in der Vergangenheit weit reisen müssen für eine Begegnung mit Marina Abramovic. In der Londoner Serpentine Gallery konnte man 2014 mit ihr gemeinsam schweigend auf weiße Wände starren. Und wer die Gelegenheit hatte, der Künstlerin 2010 bei ihrem legendären, über 700 Stunden dauernden Schweige-Konzil „The Artist is Present“ im New Yorker Museum of modern Art gegenüber zu sitzen, der erzählt heute noch davon. Mit Abramović ‘Berufung zur ersten Pina-Bausch-Professorin an der Folkwang Universität der Künste wird nun auch Essen zu einem der künstlerischen Abramović -Pilgerorte.

London, New York und nun auch Essen: Marina Abramović bitte zur Performance

Zum Abschluss der einjährigen Gast-Professur lädt die Grande-Dame der Performancekunst gemeinsam mit ihren 26 Folkwang-Studierenden vom 30. Juni bis 9. Juli zur „Long Durational Performance“ ins Museum Folkwang. Die Performances werden nach dem Willen der Künstlerin neun Tage lang ununterbrochen stattfinden, sechs Stunden pro Tag.

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Ausdauer ist eine der Grundprinzipien der weltweit gefeierten Abramović -Arbeiten, die immer auch körperliche und geistige Extremerfahrungen darstellen. Welchen Herausforderungen sich die 26 beteiligten Folkwang-Studierenden aus dem Bereich Tanz, Musik, Fotografie, Schauspiel und Komposition gestellt haben, wird man bei der öffentlichen Präsentation im Folkwang Museum sehen. Diese bislang einzigartig-umfangreiche Kooperation zwischen Folkwang-Uni und Folkwang Museum sei auch für sie ein Glücksfall, sagt Marina Abramović , denn: „Für meine Lehrmethode ist es sehr wichtig, die Studierenden schon in einem sehr frühen Stadium mit realen professionellen Arbeitsbedingungen und einem echten Publikum in Kontakt zu bringen.”

„Uaaaa“ und „aaaaa“: Auch das Publikum in der Neuen Aula der Folkwang Universität der Künste wird in die Lecture von Marina Abramović eingebunden und macht mit Inbrunst Laute.
„Uaaaa“ und „aaaaa“: Auch das Publikum in der Neuen Aula der Folkwang Universität der Künste wird in die Lecture von Marina Abramović eingebunden und macht mit Inbrunst Laute. © Ursula Kaufmann

Aber auch Zaungäste haben derzeit in Essen die Gelegenheit, Einblick in die „Methode Abramović “ zu bekommen, mit der die in Serbien geborene Künstlerin weltweit unterwegs ist. Und so ist die Neue Aula bei der öffentlichen Lecture in der Folkwang-Universität denn auch restlos ausverkauft, als die 75-Jährige auf die Bühne tritt – schwarzes Kleid, langes schwarzes Haar – und zunächst ein bisschen zu kämpfen hat mit der Projektionstechnik. Was sie ein wenig nahbarer macht, der doch sonst kein Messer zu scharf, kein Eisblock zu kalt ist, um ihren Körper damit zu drangsalieren und die Grenzerfahrungen von Strapaze und Schmerz zum Grundbestandteil ihrer Kunst zu machen.

Die Wanderung über die Chinesische Mauer wird zur extremen Herausforderung

Der Abend in Essen wird dann auch eine kleine Werk- und Zeitreise, die die Vielseitigkeits-Künstlerin als Opern-Schöpferin und Extremwanderin vorstellt; wie gemacht für so ein „Free Interdisciplinary Performance Laboratory“, das Abramović mit ihren internationalen Studentinnen und Studenten derzeit in Essen ausrichtet.

Im Rahmen der öffentlichen Lecture geht es dann erst einmal zurück in die Jahre, als die ja längst zur imposanten Großmutter der Performance-Kunst gereifte Abramović noch eine junge Frau ist, der schon damals kein Projekt zu extrem, kein Weg zu weit ist. Die aber erkennen muss, dass es für die Bezwingung der Chinesischen Mauer eben nicht nur viel Energie, Anstrengung und unbedingten Willen braucht, sondern auch Überredungskunst. Viele Jahre dauert der Abstimmungsprozess mit den chinesischen Behörden, bis sich eine Absicht des „Great Wall Walk“ 1988 schon wieder überholt hat. Aus dem anfänglichen Plan, mit ihrem Partner Ulay auf der Mauer eine Chinesische Hochzeitszeremonie abzuhalten, wird am Ende ein Trennungs-Treff.

Folkwang-Studierende werden tagelang nicht essen und nicht reden

Neue Professur in Essen

Marina Abramović ist die erste Inhaberin der Pina Bausch Professur. Die Folkwang Universität der Künste hat sie im Wintersemester mit Mitteln der Landesregierung NRW eingerichtet – benannt nach der weltberühmten Folkwang Alumna Pina Bausch und in Zusammenarbeit mit der Pina Bausch Foundation.

International herausragende Künstlerinnen und Künstler aus allen Disziplinen werden so als Gastprofessoren für jeweils ein Jahr an die Folkwang Universität der Künste berufen. Hier können sie gemeinsam mit den Studierenden neue Arbeitsweisen entwickeln sowie ein alle Grenzen überschreitendes Denken und Forschen umsetzen.

Wer die Bilder der kargen Lager, die ärmlichen Stuben sieht, in denen Abramović damals Rast macht, der ahnt, was da auf die Folkwang-Studenten zukommt, die im März in Griechenland zusammen mit der Künstlerin in Klausur gehen werden. Sie werden tagelang nicht essen, nicht sprechen, ihren Blick stundenlang auf eine Farbe richten, mit einem Spiegel vor der Nase rückwärts laufen und dabei hoffentlich jene Energie tanken, die Marina Abramović ihren Gästen auch an diesem Lecture-Abend in Werden zuteil werden lässt. Freilich nur unter aktiver Mitbeteiligung des Publikums.

Also Augen zu, Hand auf den Brustkorb und erst einmal ausgiebig „aaaaaaa“ sagen. Dass sich dem Sog der bisweilen ins Esoterische und Spirituelle driftenden Abramović kaum jemand entziehen mag, ist auch der Unbedingtheit und der famosen Aura geschuldet, die diese Mischung aus Weltverbesserin, Achtsamkeits-Guru und Kunst-Popstar in jeder Sekunde ausstrahlt. Sehen und gesehen werden sind Teil dieser globalen Kunst-Marke, die im virtuellen Vielerlei noch die Sehnsucht nach echter Begegnung bedient.