Essen. Das Müllunternehmen Remondis hat seinen Geschäftsführer bei den Entsorgungsbetrieben Essen ausgetauscht. Das sind die Hintergründe.
Wechsel an der Spitze der Entsorgungsbetriebe Essen (EBE): Das private Müllunternehmen Remondis, das 49 Prozent der Anteile der EBE hält, hat Karsten Woidtke zum neuen Chef des kommunalen Entsorgers berufen. Woidtke kommt von den Wirtschaftsbetrieben Oberhausen und zeichnet ab sofort in der EBE-Zentrale an der Pferdebahnstraße für das operative Geschäft verantwortlich. Die EBE führt er seit Jahresbeginn gemeinsam mit dem städtischen Geschäftsführer Ulrich W. Husemann. Der „blickt mit großer Zuversicht auf die künftige Zusammenarbeit“, wie es in einer Mitteilung der Entsorgungsbetriebe heißt.
Was sich liest wie eine x-beliebige Personalie, ist der Versuch eines Neuanfangs. Woidtke löst als Geschäftsführer der EBE den zuletzt ins Gerede gekommenen Stephan Tschentscher ab, den Remondis 2016 nach Essen entsandt hatte. Zuvor war Tschentscher für Remondis als Regionalmanager im Osten Deutschlands tätig.
Tschentschers Abschied fällt nach mehr als sechs Jahren bemerkenswert nüchtern aus. Während sein Nachfolger in Oberhausen mit Blumen und warmen Worten Richtung Essen verabschiedet wurde, sucht man in der Mitteilung der EBE vergebens nach einem Wort des Dankes. Dort heißt es als letzter Satz schlicht: „Karsten Woidtke übernimmt den Geschäftsführerposten von Stephan Tschentscher.“ Punkt.
Tschentschers üppig dotierter Vertrag, der ihm laut städtischem Beteiligungsbericht 2020 ein Jahresgehalt in Höhe von 207.652 Euro bescherte, war erst 2021 nach fünf Jahren verlängert worden. Zu diesem Zeitpunkt fiel Tschentschers Name bereits im Zusammenhang mit der sogenannten „Harmuth-Offensive“. Unter diesem Namen firmiert eine Vertriebsoffensive der EBE, die allem Anschein nach genügend Stoff für einen Skandal bietet und das Interesse der Staatsanwaltschaft geweckt hat.
![Vorgänge um eine Vertriebsoffensive im Containergeschäft lösten interne Ermittlungen bei der EBE aus und weckten das Interesse der Staatsanwaltschaft. Vorgänge um eine Vertriebsoffensive im Containergeschäft lösten interne Ermittlungen bei der EBE aus und weckten das Interesse der Staatsanwaltschaft.](https://img.sparknews.funkemedien.de/237349665/237349665_1673519471_v16_9_1200.jpeg)
Zur Erinnerung: Im Vertrieb tätige Mitarbeiter der EBE hatten sich Anfang 2021 an den Betriebsrat gewandt und gaben dort an, sie seien von ihrem Abteilungsleiter aufgefordert worden, bei der Auftragsakquise das Essener Entsorgungsunternehmen Harmuth, einen Konkurrenten im Containergeschäft, konsequent zu unterbieten. Remondis wolle Harmuth übernehmen. EBE-interne Informationen über Angebote, Preise und Kunden seien regelmäßig an die Remondis-Zentrale weiterzuleiten.
Die Beschäftigten hatten Zweifel daran, dass dies mit rechten Dingen zuging. Zwar ist Remondis an der EBE beteiligt. Hier schien es aber um eigene Interessen des privaten Mitgesellschafters zu gehen.
Offenbar waren die Zweifel berechtigt. Eine auf Compliance-Fragen spezialisierte Anwaltskanzlei, die der Aufsichtsrat mit der Aufklärung der Vorgänge beauftragt hatte, will einen Anfangsverdacht für diverse Rechtsvergehen erkannt haben, darunter Untreue, Beihilfe zur Untreue und Verstöße gegen das Datenschutzgesetz.
Nicht nur der Geschäftsführer der EBE wurde abberufen
Die Ermittler gehen davon aus, dass besagter Abteilungsleiter nicht auf Eigeninitiative handelte, als er seine Mitarbeiter anwies, interne Informationen an Remondis weiterzureichen. Vieles spreche dafür, dass die Anweisung von ganz oben kam – aus der Geschäftsführung auf Bitten von Remondis. Der Vertrag des Abteilungsleiters mit der EBE wurde im gegenseitigen Einvernehmen und unter Verzicht auf etwaige Schadenersatzansprüche aufgelöst, bevor die Vorgänge um die „Harmuth-Offensive“ öffentlich wurden und Wellen schlugen.
Tschentscher ist nicht der einzige Manager, der die EBE verlassen hat. Nach Informationen hat Mitgesellschafter Remondis auch Guido Hanning abberufen. Letzterer ist Geschäftsleiter bei Remondis und vertritt die Interessen des Entsorgers in diversen kommunalen Unternehmen, an denen das private Müllunternehmen beteiligt ist.
Seit den frühen 2000er Jahren gehörte Hanning als Vertreter von Remondis dem Aufsichtsrat der Entsorgungsbetriebe Essen an, war stellvertretender Vorsitzender. Tschentscher und Hanning sollen sich dort bereits im Dezember verabschiedet haben. Tschentscher hat seinen Schreibtisch bei der EBE inzwischen geräumt und soll, so heißt es, im weiten Remondis-Reich eine andere Beschäftigung finden.
Oberbürgermeister Thomas Kufen will endlich Ruhe bei der EBE, heißt es
Dem Vernehmen nach ging der Abberufung des Spitzenpersonals durch Remondis eine stille Vereinbarung zwischen Oberbürgermeister Thomas Kufen und dem privaten Mitgesellschafter voraus. Kufen wolle, bei der EBE endlich Ruhe, heißt es.
Die Stadt Essen hatte die „Müll-Ehe“ mit Remondis im vergangenen Jahr bis 2028 verlängert. Der Rat der Stadt entschied sich damit gegen eine Rekommunalisierung der EBE. Die „Harmuth-Offensive“ sorgte da bereits für Schlagzeilen.
Wohl aus diesem Grund beinhaltet die mit Remondis getroffene Vereinbarung über die Fortführung der Zusammenarbeit bei der EBE eine Ausstiegsklausel. Und zwar für den Fall, dass staatsanwaltschaftliche Ermittlungen im Zusammenhang mit der sogenannten „Harmuth-Offensive“ zu rechtlichen Konsequenzen gegen handelnde Personen führen sollten.
Die Stadt Essen hat die Zusammenarbeit mit Remondis bis 2028 verlängert
Auch wenn namentlich niemand genannt wird, hätte Kufen dieses Thema abgeräumt. Denn die handelnden Personen sind nun nicht mehr im Hause EBE.
Eine Rekommunalisierung der Entsorgungsbetriebe würde die Stadt nach Berechnung des Kämmerers übrigens 38 Millionen Euro kosten. Wohl Grund genug, die Müll-Ehe mit Remondis fortzusetzen. So sah es jedenfalls die Mehrheit im Rat der Stadt.
Remondis-Mann Karsten Woidtke lässt derweil wissen, er freue sich auf die Arbeit und auf das Team bei der EBE. „Die Entsorgungsbetriebe Essen mit ihrer Größe und ihrem spannenden Aufgabenfeld haben mich sehr gereizt“, wird Woidtke in der Mitteilung der EBE zitiert. Was man eben so sagt.
Wie lange die Vorfreude anhält, bleibt abzuwarten. Dass Verhältnis zwischen Geschäftsführung und Belegschaft gilt seit Jahren als schwierig. Daran hat sich offenbar auch nach der Berufung des städtischen Geschäftsführers Ulrich W. Husemann nichts geändert.
Vorher arbeiteten sich Arbeitnehmervertreter und Remondis-Mann Stephan Tschentscher aneinander ab, als dieser die EBE vorübergehend alleinverantwortlich führte, da die Stadt Essen noch keinen Geschäftsführer benannt hatte. Wie es heißt, wurden diverse Konflikte vor dem Arbeitsgericht ausgefochten. Aktuell bemühe sich eine Unternehmensberatung um den Betriebsfrieden.
Nach Ruhe klingt das nicht.