Essen. Immer noch packend: Die „West Side Story“ ist zu Gast in Essen. Das erstklassige Ensemble macht die Neuinszenierung zum Erlebnis.
Es war einmal in Amerika – der Traum von einer Liebe ohne Grenzen und Vorurteile. Als der von Jerome Robbins choreografierte und von Leonard Bernstein legendär vertonte Musicalstoff 1957 an den Broadway kam, war diese „West Side Story“ eine Revolution in der Geschichte des Musiktheaters. Wann jemals wurde der Nahkampf der großen Gefühle in so eine packende Mixtur aus klassischer Oper, Jazz und lateinamerikanischen Rhythmen verpackt. Der komplexe Klangkosmos betört bis heute.
Manche Neuauflage hat diese zeitlose Romeo-und-Julia-Variante aus den Straßenschluchten von New York seither erlebt. Doch wer die aufwendige Neuproduktion des Musical-Klassikers in der Essener Grugahalle erlebt hat, der dürfte keinen Zweifel mehr daran haben, dass das Original immer noch seine stärkste Wirkung entfaltet.
Weshalb auch sollte man den blutigen Clinch verfeindeter Einwanderer-Gruppen mit bemühten Gegenwartsbezügen aufladen, wenn ein Fingerschnippen immer noch die größte Spannung erzeugt. Fast raubtierhaft-lauernd nähern sich die verfeindeten Straßengangs im hoch beweglichen Bühnenbild von Anna Louizos einander an. Die einheimischen Jets und die puerto-ricanischen Sharks sehen in ihren Jeans und engen Shirts immer noch so aus, als wären sie gerade aus einer Filmszene mit James Dean entsprungen. Vitalität und Virilität dringen da aus jeder Pore. Nur der Tony von Jadon Webster ist sanfter angelegt. Große Stimme, großes Herz und nur Augen für – Maria. Sein sehnsuchtsvolles Schmachten auf der Feuerleiter bleibt eine der schönsten Liebeserklärung der Musicalgeschichte.
Melanie Sierra ist als Maria nicht nur stimmlich ein perfekte Besetzung. Strahlend und sicher in den Höhen, gelingt ihr auch der Wechsel zwischen übermütiger Leichtigkeit und tiefer Tragik hochgeschmeidig.
Wie scheinbar mühelos nicht nur die beiden Hauptdarsteller den anspruchsvollen Aufgaben-Dreiklang aus Gesang, Tanz und Schauspiel bewältigen, unterstreicht die Klasse der von Broadway-Regisseur und Schauspieler Lonny Price inszenierten Neuproduktion – und die Qualität des Castings. Aus über 1200 Bewerbern hat Veranstalter BB Promotion die Besetzung für ein Tourneestück gefiltert, das schließlich über mehrere Jahre weltweit für Verzückung und hier und da auch für ein paar Tränen sorgen soll.
Songs wie „Maria“, „Somewhere“ oder „Tonight“ sind zu Welthits geworden
Dass diese Lovestory ohne Zuckerguss ein dramatisches Ende nimmt, ist schließlich Teil der Erfolgsgeschichte wie die mitreißenden Tanzszenen, die Choreograf Julio Monge und das ebenso athletische wie ausdrucksstarke Ensemble noch einmal mit neuer Energie aufgepumpt haben.
Unter dem Dirigat von Grant Sturiale kommen die Welthits von „Tonight“ bis „Somewhere“ so geschliffen-brillant und mitreißend daher, dass die englischsprachige Tourneeproduktion (ohne deutsche Übertitel) auch zwischen den längeren Textpassagen sofort wieder Tempo aufnimmt, bis zum tragischen Finale. Denn schon die künstlerischen Revolutionäre von damals hatten wohl ihre Zweifel am Traum von einer Welt, in der Herkunft und Hautfarbe keine Rolle mehr spielen.
Bis 14. Januar, Grugahalle Essen, Messeplatz 2, Tickets ab 40 Euro unter Tel. 01806-101011 oder www.tickets-direkt.de