Essen. Die Zahl der Kirchenaustritte stieg 2022 auf Rekordhöhe. Das Amtsgericht Essen warnt vor Angeboten im Netz: Online-Austritte sind nicht möglich.
Die Zahl der Kirchenaustritte, ist in Essen im vergangenen Jahr erneut sprunghaft angestiegen: 5708 Essener und Essenerinnen verließen 2022 die Kirche, im Jahr 2021 waren es noch 4145. Die katholische Kirche ist von der Entwicklung deutlich stärker betroffen als die evangelische.
Austrittswillige müssen oft monatelang auf einen Termin bei dem für sie zuständigen Amtsgericht warten. Inzwischen bieten diverse Internetportale an, Anträge auf Kirchenaustritt online zu erstellen. Dabei handelt es sich augenscheinlich um Geschäftemacherei: „Die Erklärung des Kirchenaustritts kann nach dem Gesetz nicht online oder in einfacher Schriftform erfolgen“, betonen die Amtsgerichte auf ihren Homepages.
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Im Internet werde derzeit ein Service angeboten, der es ermöglichen soll, die Kirche gegen eine Gebühr von 29,90 Euro zu verlassen. Die Amtsgerichte weisen daraufhin, dass eine Zahlung an die Online-Anbieter „nicht von der Zahlung der gerichtlichen Gebühr und der Erklärung vor dem zuständigen Amtsgericht entbindet“. Austrittswillige Essener und Essenerinnen müssten je nach Wohnort beim Amtsgericht Essen, Borbeck oder Steele persönlich vorsprechen oder „bei einem Notar in öffentlich beglaubigter Form“.
Amtsgericht Essen warnt: Online-Kirchenaustritte sind nicht möglich
Die fragwürdigen Service-Angebote sind offenbar mit dem zuletzt rasanten Anstieg der Kirchenaustritte aufgekommen, der die Gerichte zusehends fordert. Man warne seit dem vergangenen Jahr davor, sagt der Sprecher des Amtsgerichts Essen, Michael Schütz: „Die Gebühr für den Kirchenaustritt beträgt 30 Euro, die in bar an der Gerichtskasse zu entrichten sind.“ Den Termin für einen Austritt buche man am besten über das Justizportal www.justiztermine.nrw.de
Kurzfristig wird man so jedoch keinen Termin ergattern: Bei der Buchung müsse man mit Wartezeiten von bis zu drei Monaten rechnen. „Derzeit sind die Online-Termine bis Ende März vergriffen. Die Termine für April werden am 1. Februar freigeschaltet“, erklärt Schütz. Grundsätzlich sei ein Austritt beim Amtsgericht Essen während der Sprechzeiten auch ohne Termin möglich. Angesichts des ungebrochenen Andrangs sollte man aber wohl Zeit mitbringen: Allein im Dezember 2022 erklärten 421 Gläubige beim Amtsgericht Essen ihren Austritt. Nur im Juli verzeichnete man eine noch höhere Zahl.
Acht bis zehn Wochen wartet man beim Amtsgericht Steele auf einen Austrittstermin
Beim Amtsgericht Steele lag die Austrittszahl im Dezember 2022 zwar bei „nur“ noch 77 und damit deutlich unter dem Spitzenwert vom Februar 2022, als 107 Austritte verbucht wurden. Doch auch hier brachte das vergangene Jahr insgesamt einen Rekordwert mit 851 Austritten: Im Jahr 2021 waren es noch 590 Austritte, in den beiden Jahren davor jeweils gut 400. In Steele laufe die Terminvergabe telefonisch. „Derzeit muss man mit acht bis zehn Wochen Wartezeit rechnen“, teilt das Amtsgericht mit. In dringenden Fällen sei der Austritt auch ohne Termin möglich.
„Über die Motivationen zum Austritt liegen keine Erkenntnisse vor“, teilt das Amtsgericht Borbeck mit. Ähnlich äußert sich Michael Schütz für das Amtsgericht Essen. Generell werden die Austrittswilligen nicht nach ihren Beweggründen gefragt. Allerdings teilten viele ihre Motivation von sich aus mit, sagt die Direktorin des Amtsgerichts Steele, Birgit Nitsch. „Zum Teil haben sie auch den Eindruck, dass sie sich für ihren Austritt rechtfertigen müssen.“
Auffällig ist, dass an allen drei Amtsgerichten die Zahl der Katholiken, die ihrer Kirche den Rücken kehrten, erheblich höher liegt als die der Protestanten. Ende 2021 gab es stadtweit noch 177.673 Katholiken und Katholikinnen – nun sind es knapp 3700 weniger.
Noch vor wenigen Jahren bewegten sich die Austritte bei beiden Konfessionen auf einem ähnlichen Niveau, wie beispielhaft die Zahlen des Amtsgerichts Essen zeigen: 2016 traten dort 822 Katholiken aus und 719 Protestanten, 2017 waren es 802 und 711. Im vergangenen Jahr verließen bei Essens größtem Amtsgericht dann 2552 Katholiken die Kirche und 1521 Protestanten – ein Unterschied von mehr als tausend verlorenen Schafen.
Ruhrbischof spricht von einer Existenzkrise der Kirche
Für viele Katholiken dürften die Missbrauchsskandale in ihrer Kirche und der Umgang der Verantwortlichen damit die entscheidenden Gründe für ihre Abkehr sein. Die Austrittswelle sei Zeichen „eines schier unaufhaltsam steigenden Vertrauensverlustes der katholischen Kirche“, formulierte der Generalvikar des Ruhrbistums, Klaus Pfeffer, im vergangenen Jahr. Zuvor hatte auch Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck deutlich gemacht, dass man es nicht mit einem vorübergehenden Phänomen zu tun habe: Schonungslos sprach er von einer „Existenzkrise der Kirche“.