Essen. Über zwei Jahre nach den Altenessener Krawallen entscheidet sich, welche der Angeklagten vor Gericht landen. Staatsanwaltschaft räumt Fehler ein.

Zwei Jahre lang sind die Strafverfahren nach der Silvesterrandale von Altenessen nicht von der Stelle gekommen, nun soll ein weiteres Gutachten endlich Bewegung in die Sache bringen - im wahrsten Sinne des Wortes: Wie Landgerichtssprecher Thomas Kliegel berichtete, rechnet die zuständige Kammer in der kommenden Woche mit einem Bericht einer Anthropologin aus Süddeutschland, die die Bewegungsmuster der Beschuldigten analysiert hat.

Auf Anfrage sagte Polizeisprecher Pascal Schwarz-Pettinato am Mittwoch, dass die mutmaßlichen Täter zu diesem Zweck ins Präsidium vorgeladen worden seien, um dort „einen vorgegebenen Parcours ähnlich einer Acht ablaufen zu müssen“. Diese Bilder wurden anschließend von der Expertin mit den Videos aus der Krawallnacht 2020/2021 verglichen, mit denen sich die Verdächtigen auf Internetforen ihrer Taten gebrüstet hatten.

Ob und welche Übereinstimmungen oder Gemeinsamkeiten die Menschenkundlerin entdeckt hat, ist mittlerweile zu einer entscheidenden Frage für den weiteren Verlauf des Verfahrens geworden.

Das neue Gutachten ist die letzte Chance

Denn nachdem ein Gesichtsgutachter im Vorfeld die Waffen gestreckt hatte, weil er die Verdächtigen anhand der Filmsequenzen nicht zweifelsfrei und damit gerichtsfest identifizieren konnte, gilt die Einschätzung der Bewegungsexpertin der Justiz als letzte Chance, um möglichst viele der Randalierer vor Gericht zu bringen.

Während man die eine Hälfte der ursprünglich acht Beschuldigten durch Beweismittel ausreichend belastet sieht, um gegen sie die Anklagen der Staatsanwaltschaft unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs zuzulassen, reicht die Erkenntnislage bei den übrigen bis heute nicht aus, um ihnen den Prozess machen zu können.

Was das „Vortanzen“ bei der Polizei tatsächlich gebracht hat, bleibt allerdings abzuwarten. Erst wenn die Schlüsse aus dem Bewegungsgutachten gezogen sind, wird die Kammer entscheiden, wer von den Beschuldigten zur Rechenschaft gezogen werden kann. Sicher ist nur eins: Einer von ihnen ist bereits ganz aus dem Schneider.

Staatsanwaltschaft missachtete einen Hinweis der Polizei

Wie Landgerichtssprecher Thomas Kliegel erklärte, habe die Staatsanwaltschaft eine der acht Anklagen im Oktober von sich aus zurückgezogen. Nicht auszuschließen, dass auch noch eine Zweite aufgehoben werde, noch bevor es für die übrig bleibenden Beschuldigten möglicherweise zum Prozess kommen könnte.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Polizei nach Informationen dieser Zeitung in dem Schlussbericht ihrer Ermittlungen bereits darauf hingewiesen hat, dass zumindest einem der jungen Männer rein gar nichts nachzuweisen sei. Dass er dennoch angeklagt wurde, sieht die Staatsanwaltschaft mittlerweile als Fehler an, sagte deren Sprecherin Anette Milk auf Nachfrage.

Den Gedanken, dass die Anklagen womöglich vorschnell unter dem hohen öffentlichen und politischen Druck nach der schlagzeilenträchtigen Silvesterrandale zustande gekommen sein könnten, weisen die Strafverfolger von der Zweigertstraße allerdings weit von sich.

Den Beamten bot sich ein Bild der Zerstörung

Ein Bericht des Innenministeriums schilderte die Ausschreitungen in der Neujahrsnacht so: Gegen 0.38 Uhr sei bei der Polizei die Meldung eingegangen, dass etwa 50 Personen am Altenessener Marktplatz Mülleimer anzündeten und Werbetafeln zerschlugen. Beim Eintreffen der Einsatzkräfte habe eine etwa 20-köpfige Gruppe Reißaus genommen.

Den Beamten habe sich ein Bild der Zerstörung geboten: „Mittig auf dem Marktplatz standen brennende Mülltonnen. Die Verglasung einer Bushaltestelle und eines Fahrplans der Ruhrbahn waren zerstört und mehrere Mülleimer bzw. Müllcontainer gewaltsam beschädigt und teils mitsamt Inhalt auf die Fahrbahn geworfen worden.“

Dass die Jugendlichen ihren Gewaltausbruch anschließend mit selbstgedrehten Videos im Internet feierten, hatte für große Empörung gesorgt.

Die festgenommenen Verdächtigen waren 17 bis 20 Jahre alt

Keine zwei Wochen nach den Krawallen rund um den Altenessener Markt hatte die Polizei bereits sechs Verdächtige ermitteln können. Nach Durchsuchungen an den jeweiligen Wohnadressen und vorläufigen Festnahmen der 17 bis 20 Jahre alten Deutschen mit türkischem und kurdisch-libanesischem Hintergrund sind die mutmaßlichen Randalierer vernommen und allesamt wieder entlassen worden. Die Strafe folgte alles andere als auf dem Fuße.